Bene-Diktum: Erinnerung an eine »prächtige Sommernacht« im August

HHF-Kolumnist Hans-Jürgen Benedict sieht Eichendorff in der Stadt

Ich sitze im blühen­den Som­mer­garten mit Fre­un­den am Abend eines wirk­lich schö­nen Som­mertags. Langsam senkt sich die Nacht hernieder. Die Noc­tur­na-Blume, die mir der Fre­und eben gezeigt hat, ent­fal­tet ihre gel­ben Blüten, die im Dunkel zu leucht­en begin­nen. Sterne sind noch nicht zu sehen, zu groß ist die urbane Lichtver­schmutzung. Dafür die Posi­tion­slichter von lan­den­den und star­tenden Flugzeu­gen. Wir reden von alten Zeit­en, trinken, dann schweigen wir lange.

Die schöne Som­mer­nacht macht uns ergrif­f­en stumm. Auf ein­mal hören wir die Det­o­na­tio­nen eines Feuer­w­erks von der Elbe her, das Dröh­nen  von Schiff­s­sire­nen. Ach ja, Ham­burg feiert die soge­nan­nten Cruise Days, ein Event, der jedes Jahr zehn­tausende von Zuschauern anzieht. Fünf große Kreuz­fahrtschiffe haben im Hafen fest­gemacht und wer­den jet­zt am Abend , begleit­et von vie­len kleinen Booten, elbab­wärts die Hans­es­tadt Rich­tung Nord­see ver­lassen. Ich wollte ohne­hin auf­brechen, schwinge mich auf mein Rad und fahre zur Elbe. In Ottensen, unge­fähr dort, wo das Garten­haus von Salomon Heine ste­ht (“Haus Affron­tenburg” nan­nte es sein dich­t­en­der Neffe) rei­he ich mich unter die Zuschauer ein, die von der Höhe des Elb­hangs die “Aus­lauf­pa­rade” beobacht­en.

Die Hafe­nan­la­gen, Kräne, Docks, Lager­häuser und Brück­en sind von einem soge­nan­nten Lichtkün­stler blau illu­miniert wor­den. Zusam­men mit den unzäh­li­gen Lam­p­en, die den Hafen, in dem auch nachts gear­beit­et wird, taghell machen, schon  eine beein­druck­ende “Licht­show”.  Und auch die Schiffs­flotille, die jet­zt an uns vor­beizieht, ist immer wieder hier und dort blau erleuchtet. Die fünf großen Dampfer, die mit tausenden von Pas­sagieren und Besatzung an Bord sich auf Kreuz­fahrt begeben, ans Nord­kap, in die Ost­see, ins Mit­telmeer oder über den Atlantik bis in die Karibik und weit­er, wer­den von vie­len kleinen Schif­f­en begleit­et – Motor­booten, Barkassen, Segelschif­f­en, Aus­flugs­dampfern, die um die Ozean­riesen herumwieseln. Die Pas­sagiere ste­hen an der Rel­ing und winken. Und neben mir  höre ich einen der Zuschauer zu sein­er Frau sagen: “Wäre das schön, jet­zt auf einem dieser Schiffe in so ein­er Nacht mitreisen zu kön­nen.”

Es erin­nert mich an eine Zeile aus einem Eichen­dorff-Gedicht, das aber eine ganz andere Szener­ie aufruft.  Das dich­t­ende Ich ste­ht ein­sam am Fen­ster und hört aus weit­er Ferne “ein Posthorn stillen Land”. Da “ent­bren­nt ihm das Herz im Leibe” und es denkt heim­lich: “Ach, wer da mitreisen kön­nte in der prächti­gen Som­mer­nacht.”

Hier der Trubel des Events, tausende von Zuschauern, ver­stopfte Wege, der Lärm der Stadt mit ihren vie­len Autos, denn viele sind mit ihrem Wagen an die Elbe gefahren, dort die Ein­samkeit. Aber in bei­dem die Sehn­sucht.

Bei Eichen­dorff heißt es weit­er:

“Zwei junge Gesellen gin­gen
Vorüber am Berge­shang
,
Ich hörte im Wan­dern sie sin­gen,
Die stille Gegend ent­lang:

[…] Sie san­gen von Mar­mor­bildern
Von Gärten, die überm Gestein
In däm­mern­den Lauben ver­wildern,
Palästen im Mon­den­schein,
Wo die Mäd­chen am Fen­ster lauschen,
Wann der Laut­en Klang erwacht
Und die Brun­nen ver­schlafen rauschen
In der prächti­gen Som­mer­nacht.”

Es ist nicht nur Ital­ien, es ist die Tran­szen­denz der Sehn­sucht selb­st, die dies Gedicht in Worte fasst mit dem Bild der “prächti­gen Som­mer­nacht”. Das Adjek­tiv ver­weist auf den bestirn­ten Him­mel, der wie ein prächtig bestick­ter Man­tel leuchtet, sozusagen der Vorhang vor dem unge­heuren Weltall. Den wir in der Stadt aber nicht mehr sehen kön­nen. Je mehr wir illu­minieren, umso weniger sehen wir noch “die Lichter, die Gott an den Him­mel geset­zt.”  Sie sollen  in ihrer Pracht an unsere Bes­tim­mung, an unsere Gren­zen erin­nern. Ich sehne mich zurück aus dem Licht-Trubel um mich herum in den stillen Garten, in dem jet­zt nur noch die Nacht­blu­men leucht­en.

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