Bene-Diktum: Zwiesprache mit den Toten halten

Ein Beitrag zu 70 Jahre Feuersturm

Feuersturm
Kein Eck mehr. (Bild: Bun­de­sarchiv, Bild 183–16012-0002/Hugo Schmidt/CC-BY-SA 3.0)

 

Auf dem Fried­hof Ohls­dorf sind in Mas­sen­gräbern die fast 40.000 nichti­den­ti­fizierten Toten der schreck­lichen Bombe­nan­griffe auf Ham­burg, genan­nt Oper­a­tion Gom­or­rha, von Ende Juli/Anfang August 1943 beige­set­zt – in kreuzför­mig angelegten Feldern mit den großen Balken, auf denen die Namen der Ort­steile ste­hen, ich nenne nur Barm­bek, Win­ter­hude, Hamm, Horn, Ved­del, Rothen­burgsort, Wands­bek; Neustadt, Alt­stadt, Altona, Eims­büt­tel. In der Mitte das Mah­n­mal mit der Skulp­tur von Ger­hard Mar­cks von dem Toten­fährmann Charon, der ein anmutiges Braut­paar, einen Mann, eine Mut­ter mit Kind und eine Greis über den Acheron set­zt, den Strom, der die Ober­welt vom Reich der Schat­ten tren­nt. Er wirkt erstar­rt  und sym­bol­isiert so die Gle­ichgültigkeit des organ­isierten Massen­todes. Meine Gedanken gehen zu  diesem großen Toten­feld.

Der dama­lige Ham­burg­er Bürg­er­meis­ter Brauer sagte bei der Ein­wei­hung des Mah­n­mals für die Bombenopfer von 1943 auf dem Fried­hof Ohls­dorf im August 1952: “An dieser Stätte sollen sich die Bürg­er dieser Stadt vere­ini­gen kön­nen, um Zwiesprache mit den Toten zu hal­ten. Ihr Erin­nerungs­bild ist uns allen so nahe, als weil­ten sie noch heute in unser­er Mitte.”

Das war vor 61 Jahren, vor fast zwei Gen­er­a­tio­nen also. Das Erin­nerungs­bild der Bombenopfer ist inzwis­chen verblasst, die meis­ten sind vergessen, weil die, die sie kan­nten und  liebten, nicht mehr leben. Schon das Gedächt­nis der Enkel ist schwäch­er. Da ist das große Mas­sen­grab, das Feld mit den Toten, unüberse­hbar. Ange­hörige der Toten haben an den Rän­dern einzelne Grab­steine geset­zt, die meis­ten Namen sind ver­wit­tert, kaum 200 sind noch les­bar.  Wir haben kaum noch eine Vorstel­lung von ihnen.

Zwiesprache mit ihnen hal­ten heißt: sich dem Grauen von damals stellen. Etwa dem  Text von Gretl Büt­tner, die von der Ham­burg­er Luftschut­zleitung als “Berich­terin” einge­set­zt wor­den war.Sie doku­men­tierte im Sep­tem­ber 1943 ihre Erfahrun­gen bei Fahrten in die noch bren­nen­den Trüm­mer­land­schaften, und zuweilen kon­nte ich nicht weit­er­lesen:

Was dann kam, war ohn­mächtiges schüt­tel­ndes Grauen. Die Ham­mer­land­straße war voller Men­schen sie hock­ten auf den Trep­pen­stufen der Böschung, sie saßen an Bäume gelehnt, sie lagen mit hil­fe­heis­chend  aufgereck­ten Armen auf dem Pflaster. Nur Tote, Tote. Viele von ihnen hat­te die Glut in phan­tastis­che irrsin­nige Stel­lun­gen gezwun­gen. Langsam und wie an Ket­ten ging der Blick von den ver­renk­ten Gliedern zu den  nicht mehr men­schlichen, in ihrer Grauen­haftigkeit dro­hen­den Gesichtern(…)

Dort lag eine alte Frau. Ihr Gesicht war friedlich, weich und müde, ihr weißes Haar leuchtete…Und dort eine Mut­ter, an jed­er Hand ein Kind. Sie lagen alle drei auf dem Gesicht, in ein­er anmuti­gen fast gelösten Bewe­gung. So hat­te die Ohn­macht sie sinken lassen. Und dort der Sol­dat mit den verkohlten Stümpfen der Beine (…)”

Gretl Büt­tner schaut hin, wen­det den Blick nicht ab, ver­sucht das Grauen des Bomben­todes im Feuer­sturm zu beschreiben. Und die Ver­störung der Über­leben­den:

Kinder irrten und riefen nach den ver­bran­nten Eltern. Müt­ter saßen wie ver­stein­ert saßen wie ver­stein­ert am Wegrand und warteten, daß man ihnen den Sohn brin­gen würde, oder die Tochter. Lange Wochen nach diesem fürchter­lich­sten der Angriffe noch irrten sie herum und sucht­en und hofften und sucht­en – und waren wie aus Stein.”

70 Jahre danach, “Zwiesprache mit den Toten hal­ten”  heißt aber nicht, den Schreck­en ihres Todes immer wieder zu beschwören. Ja, es war grauen­haft für die, die vom Feuer­sturm erfasst wur­den, ver­bran­nten und zu Asche zer­fie­len. Die ver­schüt­tet wur­den und erstick­ten. Die von her­ab­stürzen­den Trüm­mern erschla­gen wur­den. Aber das rit­u­al­isierte Wieder­holen dieser Fak­ten kann dazu führen, möglicher­weise ihren Tod zu ver­gle­ichen mit anderen schreck­lichen Toden während dieses grauen­haften Krieges, etwa gar mit den Mil­lio­nen Opfern der Juden­ver­nich­tung und der anderen KZ-Opfer? Etwa vom “Bomben-Holo­caust” in Ham­burg zu sprechen, wie das die NPD 2003 tat?

Nein, ich glaube Zwiesprache mit den Toten zu hal­ten, heißt etwas anderes. Es heißt nach so langer Zeit sie in auch Ruhe zu lassen, ihr schreck­lich­es Ster­ben  nicht immer wieder her­aufzu­rufen, um zu zeigen, wie schreck­lich sie gelit­ten haben, wie ein­ma­lig und grausam ihr Ster­ben war. Ja, es war so schreck­lich wie das der Opfer von Guer­ni­ca, Warschau, Rot­ter­dam, Lon­don und Coven­try, wo die deutsche Luft­waffe mit den Bombe­nan­grif­f­en zuerst begann, was dann die noch schreck­lichere  Vergel­tung nach sich zog.

Aber das immer wieder zu beschwören in nicht enden wol­len­der Erin­nerung und Ver­gle­ichung ist auch nicht heil­sam. Es ist wahr, Ver­brechen gegen die Men­schlichkeit ver­jähren nicht. Aber vielle­icht war es weise von früheren Gen­er­a­tio­nen, in die Friedensverträge eine Vergessen­sklausel einzubauen über die Untat­en, die man sich gegen­seit­ig ange­tan hat­te. Sie soll­ten vergessen wer­den, um in Zukun­ft friedlich zusam­men­leben zu könne.

Und das ist aus­ge­hend von der Nagelkreuzge­mein­schaft der Kathe­drale von Coven­try auch geschehen zwis­chen den ehe­mals ver­fein­de­ten Englän­dern und Deutschen. Erin­nern und vergessen im Sinne von: nicht mehr aufrech­nen, verzei­hen, sich ver­söh­nen. Diese Stimme der Toten sollen wir hören.

Zwiesprache hal­ten mit den Toten. Ich lese die weni­gen ver­wit­terten Namen. Ja, sie sind schreck­lich gestor­ben, ver­bran­nt, erschla­gen, erstickt. Aber jet­zt sind sie schon lange tot. Sie haben sich, wenn ich das so sagen darf, an ihr Tot­sein gewöh­nt, auch an die Art ihres Todes. In mein­er Zwiesprache mit den Toten höre ich die Stim­men der Kinder, die erschla­gen, ver­bran­nt und erstickt sind. Was sagen sie mir? Ich höre sie sagen, sie wussten nicht, dass gle­ichzeit­ig hun­dert­tausende von jüdis­chen Kindern in die Ver­nich­tungslager trans­portiert und dort ermordet wur­den, darunter auch Ham­burg­er jüdis­che Kinder, die nicht emi­gri­eren kon­nten. Aber sie ahn­ten etwas, weil diese Nach­barskinder auf ein­mal weg waren. Doch die Eltern hät­ten gesagt, halt den Mund, frag nicht weit­er. Jet­zt aber sei es anders, man habe sich wieder getrof­fen. Diese Ham­burg­er Kinder, die Bombenopfer und die Opfer der Juden­ver­nich­tung, die nicht gemein­sam “Anner Eck stei­ht ein Jung mit d‘m Tüdel­band,” sin­gen kon­nten, weil eine ver­brecherische Rassen­poli­tik es ihnen ver­bot, ich höre sie dieses Lied sin­gen.

Zwiesprache mit den Toten hal­ten. Ich höre die  Müt­ter, die lange darunter lit­ten, dass sie ihre Kinder nicht ret­ten kon­nten. Den Mann, der auf der Flucht vor dem Feuer seine Frau hin­ter sich ließ, den Brud­er, der seine Schwest­er im Gewühl ver­lor, Schick­sale über Schick­sale. Aber ich höre die Toten, wie sie zu  ihnen sagen: Lass es gut sein, mach dir keine Vor­würfe, denn hier im Reich der Schat­ten gibt es keine Vor­würfe mehr, hier sind wir gle­ich, ich erwarte dich, gräme dich nicht, es ist nicht zu ändern. Wir haben uns an unser Tot­sein gewöh­nt.

Zwiesprache mit den Toten hal­ten von Ham­burg 1943. Sie waren nicht alle gle­ich, manche waren Nazis, manche Mitläufer, manche in der inneren Emi­gra­tion, manche woll­ten nur ihr Leben leben und küm­merten sich nicht um Poli­tik. Viele, weil sie in bes­timmten Stadt­teilen wohn­ten, traf es  beson­ders schlimm, vor allem die Arbeit­er. Und dann höre ich sie in einem baby­lonis­chen Stim­mengewirr von Opfern der Gewalt.

Ich sehe die große weltweite Ver­samm­lung aller Opfer von Krieg und Gewalt, ein gewaltiges Heer, ein riesiges Toten­feld, und darin sind die Toten des Ham­burg­er Feuer­sturms ein ganz klein­er Bere­ich. Vielle­icht tauschen sie sich mit den anderen aus, wie bist du zu Tode gekom­men. Vielle­icht lächeln sie sog­ar über die infer­nalis­chen Anstren­gun­gen, mit denen man sie getötet hat. Und wenn ich jet­zt eine Litanei anstimmte und erzählte, wer dort alles ver­sam­melt ist, wir müssten noch mehrere Stun­den aushar­ren. Vielle­icht sagen die Toten aber zu den andern auch nur: Lasst uns in Ruhe tot sein.

Die Oper­a­tion Gom­or­rha war schreck­lich, die Hölle, wie viele sagten. Trotz­dem —  Ham­burg hat das über­standen und ist schön­er wieder­aufge­baut als zuvor, eine blühende lebendi­ge Stadt mit fröh­lichen Men­schen. Kaum noch Spuren der Zer­störung von 1943.

Rufen die Toten jet­zt – aber du über­siehst unser Schick­sal? Nein, ich höre das nicht, denn die Toten wis­sen, dass ich sie nicht vergesse, dass wir sie nicht vergessen, auch wenn wir nur noch gele­gentlich an sie denken. Allen Opfern der Gewalt ist ein län­geres Gedenken sich­er als denen, die sozusagen nor­mal, auf übliche Weise das Zeitliche seg­neten. Sie haben Denk- und Mah­n­mäler. Das Unrecht, das ihnen geschah, ist auf Steinen und in Skulp­turen verewigt. Wenn wir davor immer wieder mal innehal­ten wie vor den vie­len Stolper­steinen der deportierten und ermorde­ten jüdis­chen Mit­bürg­er, dann ist es gut.

Denn die Toten möcht­en auch ihre Ruhe haben, nicht benutzt wer­den für andere Zwecke – etwa: Ham­burg, die Opfer­stadt schlechthin. Die Wieder­aufer­ste­hung der Stadt soll auch vom Odem Gottes zeu­gen, sprich von der Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht nur vom Geist des Kon­sums und des schö­nen Lebens. Zwiesprache mit den Toten hal­ten, sie  nicht vergessen und sie doch in Ruhe lassen. Darauf hof­fen, dass Gott alle Trä­nen abgewis­cht hat von ihren Augen, wie es im Buch der Offen­barung heißt und dass sie Ruhe gefun­den haben.

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