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Wo in Argentinien Schmetterlinge flattern: »Die Generalversammlung der Welt« des freien Ensembles Meyer + Kowksi im Hamburger Museum für Völkerkunde

But­ter­fly Effect (Bild: Wikipedia)

Von all den möglichen Kon­greßorten in der großen Stadt ist dieser Saal sicher­lich der Schön­ste von allen. Steil ragen die Sitzrei­hen auf, keine gepol­sterten Klapp­sitze, nur das nachge­dunkelte Holz der Sitzflächen, seit Jahrzehn­ten blankgescheuert, wie der Linoleum­bo­den und die hun­dert­fach gebrauchte Schiebetafel. Auch die Wände des Hör­saals sind mit Holz getäfelt, einziger Raum­schmuck sind an diesem Tag zwei große blaue Ban­ner mit dem Logo der Ver­anstal­tung, das eine stil­isierte Weltkugel darstellt.

Die Ver­anstal­tung begin­nt mit leichter Ver­spä­tung, einziger Red­ner des heuti­gen Abends ist der Chi­nese Lobo Chan, dessen Vor­trag von einem Stu­den­ten simul­tan aus dem Kan­tone­sis­chen über­set­zt wird.

Seine Idee: Man möge anstatt ein­er virtuellen Ver­net­zung für eine reale Ver­samm­lung der Welt­bevölkerung an ein­er Stelle sor­gen.

Chan ist – trotz der über­brück­enden Über­set­zung – ein char­man­ter Red­ner, der die Vor­trag­steil­nehmer zu fes­seln weiß. Er leit­et seine Grun­didee his­torisch her, weist auf ähn­liche Pläne in der Ver­gan­gen­heit hin. Detail­vers­essen entwirft er einen Plan ein­er Gen­er­alver­samm­lung der Welt, erwägt das Für und Wider. Eine seine Bezugsper­so­n­en in der Vision ist Buck­min­ster Fuller, seine “Bedi­enungsan­leitung für das Raum­schiff Erde” liegt auf dem Tisch des Vor­tragssaales.

Buck­min­ster Fuller war eine Art Uni­ver­sal­ge­nie, eine der let­zten Erfind­er­per­sön­lichkeit­en des tech­nis­chen Zeital­ters. Während seines lan­gen Lebens (1895 — 1983) ent­warf er Gebäude, Autos und ent­deck­te ein nach ihm benan­ntes Ele­ment. Fuller war beseelt von dem Gedanken der Mach­barkeit durch die Vision eines einzel­nen Men­schen. Damit ist er nicht weit ent­fer­nt von den The­o­rien der mod­er­nen Chaos­forsch­er und ihrem Schmetter­lings­the­o­rem, nach dem kleine Hand­lun­gen unvorherse­hbare und mächtige Fol­gen haben kön­nen. Inter­es­san­ter­weise war auch er es, der eine neue völ­lig neue Art der Karten­prospek­tion entwick­elte, die eine Welt ohne oben und unten, ohne Nord und Süd und ohne soziales Gefälle propagierte.

Eine der entschei­den­den Fra­gen zur Mach­barkeit der Chan­schen Vision liegt in Auswahl des Ortes für die große Zahl der Teil­nehmer. Im Laufe des Vor­trages ergibt sich auch hier eine Lösung – im argen­tinis­chen Patag­o­nien unter­hält die Land­schaft­sar­chitek­tin Han­na Kaluza eine Farm riesi­gen Aus­maßes, die auf­grund ihrer exponierten Lage unter Umstän­den Platz für die Welt­bevölkerung bietet.

Eine junge Frau, die den Auf­trag hat­te, über diesen Ort zu recher­chieren, ist an diesem Abend eben­falls anwe­send, ger­ade aus dem Flugzeug gestiegen, berichtet Sie von ihren Ein­drück­en. Genug jeden­falls, um den Anwe­senden bei der fol­gen­den Pub­likums­be­fra­gung Mate­r­i­al zu liefern.

Etwas son­der­bar ist allerd­ings, daß am Ende des Vor­trags nie­mand die aus­gegebe­nen Frage­bö­gen ein­sam­melt und sich sowohl die junge Frau als auch Chan und sein Über­set­zer unter dem Beifall der Anwe­senden ver­beu­gen. Es ist The­ater.

Mey­er + Kows­ki, dahin­ter ver­ber­gen sich die Ham­burg­er The­ater­ma­ch­er Marc von Hen­nig und Susanne Reifen­rath, haben dieses schöne Beispiel des soge­nan­nten unsicht­baren The­aters im Ham­burg­er Muse­um für Völk­erkunde erdacht und real­isiert.

Der Abend läßt keine Momente des Zweifels zu, son­dern ist ein steter Fluß an Inspi­ra­tion und Gedanken­bil­dung. “Was wäre wenn?” – das ist ein­er der entschei­den­den Gedanken, der jedem Zuschauer kom­men soll und muß.

Die sub­tile Ein­dringlichkeit des real möglichen Vor­trags, die überzeu­gende natür­liche Aufgeregth­eit der Schaus­pielerin Anja Her­den, die von ihrer fik­tiv­en Reise zur autis­tis­chen (sic!) Han­na Kaluza berichtet, die in einem Art Hor­tus Con­clusus, einem vergesse­nen utopis­chen Paradies lebt, all das schafft eine der Uran­forderun­gen des The­aters, die Berührbarkeit des Pub­likums.

Anders näm­lich als bei den in den 70ern ver­bre­it­eten the­ater­päd­a­gogis­chen Mit­machkonzepten, deren Grund­lage die Ver­let­zung der gesellschaftlichen Schutzmech­a­nis­men war, läßt die Insze­nierung den Einzel­nen in Ruhe, gibt ihm die Möglichkeit, die Gedanken zum The­ma schweifen zu lassen.

Um diese Möglichkeit und die davor herrschende Angst geht es näm­lich, die Frage nach dem Mut zum Ver­lassen der per­sön­lichen Kom­fort­zone ist die zen­trale Idee des Abends. Dazu gehört – naturgemäß – die Frage nach dem, was nach jedem Wag­nis kom­men kann, näm­lich die Angst vor der Kon­se­quenz des ger­ade gewagten. Und die bleibt in der Tat unbeant­wortet und darf get­rost nach Hause getra­gen wer­den, wie die aus­ge­füll­ten Frage­bö­gen.

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