Gastbeitrag: Das Gottesgeschenk

Ein Gastbeitrag von Natalie Fingerhut, Autorin und Dramaturgin aus München, zur gestrigen Podiumsdiskussion im Kulturwerk West zur Zukunft des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg

Ein eisiger Wind weht in der Ham­burg­er Kul­tur­poli­tik, und so gibt es Glüh­wein im Kul­tur­w­erk West in Altona. Und But­tons mit der Auf­schrift “Ich bin das Schaus­piel­haus” gibt es auch. Aber die hat ja ohne­hin schon jed­er am Revers, der Stel­lung beziehen möchte in der Hans­es­tadt.

Quo vadis, Schaus­piel­haus fragt die hochkarätig beset­zte Diskus­sion­srunde auf dem Podi­um. Jack Kur­fess, kaufmän­nis­ch­er Direk­tor und Inter­ims-Inten­dant des Schaus­piel­haus­es, Klaus Schu­mach­er, Leit­er des Jun­gen Schaus­piel­haus­es sowie Jour­nal­ist und Autor Till Briegleb sollen dem Pub­likum die Rich­tun­gen und Wege aufzeigen, die das Ham­burg­er Schaus­piel­haus in Zukun­ft gehen kön­nte. Und das Pub­likum erscheint zahlre­ich, nicht nur, um sich die Hände an den Glüh­wein­bech­ern zu wär­men.

Inter­esse am The­ma ist da, das haben die Stel­lung­nah­men, Demon­stra­tio­nen und Liebes­bekun­dun­gen der Ham­burg­er auf die Kürzungsankündi­gun­gen über­raschend klar gemacht. Ob man auf­grund dieses plöt­zlichen Erwachens der Bürg­er­schaft Kul­turse­n­a­tor Rein­hard Stuth als “Gottes­geschenk” beze­ich­nen möchte, wie Mod­er­a­torin Jana Marko es pro­vokant im Schluss­wort for­muliert, sei an dieser Stelle unkom­men­tiert.

6,7 Mil­lio­nen Euro soll die Ham­burg­er Kul­turbe­hörde bis 2020 eins­paren. Das Schaus­piel­haus trifft es mit 1,22 Mil­lio­nen. Inten­dant Schirmer nahm seinen Hut, und den­noch sitzt Inter­ims-Inten­dant Kur­fess mit nahezu gelassen­er Heit­erkeit auf dem Podi­um. Ver­li­est Inter­view-Zitate von Erfol­gsin­ten­dant Frank Baum­bauer, der bere­its 1998 – zu sein­er Zeit als Schaus­piel­haus-Inten­dant – vor weit­eren Kürzun­gen warnte. Jährlich steigende Zusatzkosten, die durch Tar­ifver­trags- und Mehrw­ert­s­teuer-Erhöhun­gen entste­hen, brin­gen die The­ater seit Jahren in schwindel­er­re­gende Sparbedräng­nis. Dazu noch zusät­zliche Kürzun­gen? Auf lange Sicht bedeuten diese eine Ver­lust­spi­rale, wie Kur­fess ein­drück­lich klar macht. Je mehr gekürzt wird, desto schlechter die kün­st­lerische Qual­ität, desto weniger Zuschauer kom­men, desto weniger Ein­nah­men usw.

Da wird es Schu­mach­er dann doch zu bunt, oder sagen wir bess­er: zu trist, denn er ist gegen diese “ökonomis­che Logik”, er will kon­struk­tiv denken. Mit sechs Schaus­piel­ern macht er seit der Spielzeit 2005/2006 für das Junge Schaus­piel­haus ein bre­it gefächertes Pro­gramm, das mit ein­er Aus­las­tung von über 90 Prozent punk­ten kann und dabei noch Ausze­ich­nun­gen und Preise satt gewin­nt. Das Pub­likum klatscht und pfeift, “Das ist an diesem Haus möglich!”, man ist ein biss­chen stolz darauf, fast so, als hätte man selb­st insze­niert. Mod­er­a­torin Marko nutzt die Woge der Begeis­terung, um iro­nisch die Abwe­sen­heit eines Vertreters der Kul­turbe­hörde zu kom­men­tieren, das Gejohle wird lauter, man schämt sich gern ein wenig fremd für die feige Poli­tik.

Autor Briegleb stellt die Kürzun­gen als struk­turelles Prob­lem der Stadt Ham­burg dar. Ex-Kul­turse­n­a­torin Karin von Weick, deren Ver­sprechun­gen, dem Schaus­piel­haus unter die Arme zu greifen, in ihrem Rück­tritt gipfel­ten, sieht er dafür als Parade­beispiel. Man könne die (Sub­ven­tions-) Auf­gaben der Poli­tik nicht so lange brach liegen lassen, bis die Bürg­er­schaft dafür ein­ste­ht. Struth sei daraufhin nur die logis­che Kon­se­quenz gewe­sen, denn kein ver­nun­ft­be­gabter Men­sch hätte sich dieses Scher­ben­haufens frei­willig angenom­men, außer ein­er mit einem großen „Gel­tungs­be­wusst­sein und Machtbedürf­nis“.

Gebraucht würde in Ham­burg nicht ein architek­tonis­ches Renom­mier­pro­jekt wie die Elbphil­har­monie. Gebraucht wür­den Kün­stler, die die Gesellschaft und deren Entwick­lung neu und pos­i­tiv denken. Und genau das geschähe an den The­atern, auch wenn diese an gesellschaftlich­er Bedeu­tung einge­büßt hät­ten.

Das lassen Schu­mach­er und Kur­fess nicht auf sich sitzen. Wenn die Feuil­letons das Schaus­piel­haus nicht in die Bedeu­tungslosigkeit geschrieben hät­ten – und gegen diese spräche ja beispiel­sweise die exzel­lente Aus­las­tung des Jun­gen Schaus­piel­haus­es –, wäre die Poli­tik gar nicht auf die Idee gekom­men, die Kürzungss­chere an dem geschwächt­en Haus anzuset­zen. Beleg­bar sitzen die Mit­glieder der Kul­turbe­hörde dort aus­ge­sprochen sel­ten im Pub­likum. Sich eine Mei­n­ung aus den Mei­n­un­gen Drit­ter bilden, ist ja derzeit ohne­hin en vogue, wie man es bei Thi­lo Sar­razins Amt­sent­bindung beobacht­en durfte. Briegleb nimmt die Jour­nal­is­ten­schelte gelassen hin: “Man kann doch nicht das schreiben, was die Poli­tik­er ver­ste­hen. Wo kom­men wir denn da hin?” Gelächter auf der Bühne und im Pub­likum.

Kün­st­lerische Abstriche bleiben bei der­lei ekla­tan­ten finanziellen Prob­le­men nicht aus. Ein Koop­er­a­tionspro­jekt mit der Kul­turhaupt­stadt Tallinn für 2011 musste abge­sagt wer­den. Die Münch­n­er Kam­mer­spiele haben sich der Pro­duk­tion angenom­men, die ursprünglich von Dra­matik­er Simon Stephens für das Schaus­piel­haus Ham­burg geschrieben wurde. Das ist die falsche Rich­tung, macht Briegleb deut­lich, um Ham­burg als Metro­pole nach vorne zu brin­gen. „Es muss Geld in die Hand genom­men wer­den, damit Ham­burg wieder inter­na­tion­al mit­spie­len kann.“ Er hält Konkur­ren­zen zwis­chen Städten und auch zwis­chen The­atern untere­inan­der für sehr pro­duk­tiv.

Aber wo, fragt man sich, ist denn nun der eigentliche Anlass des Abends geblieben? Wie geht’s denn jet­zt weit­er mit dem Schaus­piel­haus? “Wollen wir mal sehen, was da wird” meint Kur­fess gelassen. Im April 2011 stellt er den Spielplan für die kom­mende Sai­son vor. Sein Ensem­ble habe den Kampf aufgenom­men. Der Kon­takt zu den Bürg­ern sei da. Der neue Inten­dant, und das ist wahrlich ein Prob­lem, käme mit­ten in das Sanierungs­jahr hinein, wenn er näch­ste Spielzeit seine Tätigkeit aufnehme. Ende Dezem­ber wird klar, wer das sein wird und wann er begin­nt.

“Ich höre von allen Eck­en, dass diverse Regis­seure angerufen und gefragt wer­den, ob sie Bock hät­ten,” so Briegleb, “mir wäre an Eur­er Stelle schwumm­rig.” Nie­mand hat erwartet, dass die bish­erige Kul­tur­poli­tik Ham­burgs sich jet­zt struk­turi­ert und geplant auf Inten­dan­ten­suche beg­ibt. Aber diese Herange­hensweise ist dann doch einen Lach­er wert. Dem Pub­likum fällt dazu nichts mehr ein, und so find­et eine anschließende Diskus­sion nicht statt. Quo vadis, Schaus­piel­haus? Applaus, Applaus, und alle Fra­gen offen.


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