Narren des Schicksals

Jette Steckel inszeniert zur Spielzeiteröffnung »Die Tragödie von Romeo und Julia« am Thalia Theater

Exploding to Space (Bild: www.eso.org)
Explod­ing to Space (Bild: www.eso.org)

Am Anfang ist Gewalt, Schlägerei. Jette Steck­el springt in medias res mit ihren Schaus­piel­ern — und lässt dann gle­ich einen Chor der Feier­wüti­gen aufs Pub­likum los: Par­ty bei den Capulets. Har­ter Beat, Tänz­er mit Masken, eine sich windende Menge, Exzess. Die Musik gle­ichzeit­ig Schlag ins Gesicht und großer Auf­takt. 42 Jugendliche haben an der Pro­duk­tion mit­gewirkt, immer wieder einge­bun­den in Massen­szenen —  im Pro­grammheft gelis­tet als 23 Julias und 19 Romeos.

Zwei Haupt­darsteller hat dieser Abend. Sie heißen nicht Romeo und Julia. Sie heißen Anja Plaschg, das Alter Ego von Julia, die immer dann am Klavier sitzt oder zum Mikro greift, wenn auf der Bühne die Worte aus­ge­hen. Zweit­er Haupt­darsteller: das Büh­nen­bild von Flo­ri­an Lösche. Lichter­vorhänge, die die Bühne teilen, ein­gren­zen, Räume schaf­fen und — im Moment, wo alle herun­terge­lassen sind, — ein unendlich­es Ster­nen­meer bilden. Das ist so sim­pel wie atem­ber­aubend. Dazu die Drehbühne und zwei Flügel, fer­tig ist die magis­che Welt ein­er großen Liebe.

Zwei Pubertierende, fast noch Kinder sind es, die sich da ineinan­der ver­guck­en, während um sie herum die Par­ty tobt. Ger­ade noch hat Mut­ti Capulet lustvoll mit Tybalt gezün­gelt, ger­ade noch waren die Beats laut und dumpf, da ist die Bühne plöt­zlich fast im Fin­stern, die Horde Romeos und Julias läuft leise gegen Drehbüh­nen­rich­tung, nur zwei bleiben ste­hen: Julia (Birte Schnöink) und Romeo (Mir­co Kreibich). Die Zwei, die da jet­zt umeinan­der kreisen, ohne sich zu rühren, von Amors Pfeil getrof­fen, in diesem Moment der Stille: ein­er der magis­chen Momente des Abends. Ein junger Kerl mit Pfeil und Bogen darf übri­gens tat­säch­lich über die Bühne pirschen.

Zwei Kinder also, die sich da ver­lieben. Zum Glück verzichtet Steck­el darauf, nur die Tee­nie-Romanze zu insze­nieren. Dafür hat ihr Konzept dann doch zu viel Wucht. Zwar ist der Alters­durch­schnitt weit unter nor­malem B‑Premierenniveau, doch erstaunlicher­weise bleiben die Handys um mich herum in den Taschen. Ein paar Giekser und Gekich­er, wenn Romeo, Mer­cu­tio und Ben­vo­lio herum­blödeln oder einen dreck­i­gen Witz machen, aber ins­ge­samt konzen­tri­erte Stille. Die Dreier­szenen von Mir­co Kreibich, Julian Greis und Pas­cal Houdus (Romeo, Mer­cu­tio, Ben­vo­lio) gehen übri­gens als echt Shakespeare´sche Rüpel­szenen durch, derb, tem­por­e­ich, wortver­liebt und kör­per­lich; doch wer­den sie lei­der oft nicht gut gesprochen, wegge­blödelt, kurz: ver­spielt.

Und dann geht alles furcht­bar schnell: Bei Pater Lorenz wird geheiratet — im Schluffi-Look mit Blüm­chen-Hose und Longsleeve. Und danach dür­fen die bei­den zeigen, was Spiel­freude ist. Liebes­bilder im Zeitraf­fer wirbeln mit großer Leichtigkeit vor­bei: Torte anschnei­den, Self­ies schießen, Braut­strauß wer­fen, Cham­pag­n­er entko­rken, die Hebe­fig­ur von “Dirty Danc­ing” nach­stellen usw. Ein Strudel, in den die bei­den hinein­taumeln, fol­gerichtig direkt im Anschluss der Absturz: der Mord an Mer­cu­tio, dann Tybalt. Romeo, der auf der Bühne ste­ht mit hän­gen­den Schul­tern. “Ich Narr des Schick­sals. Ich.”

Die Neuüber­set­zung von Frank-Patrick Steck­el ist par­tiell roh, unbe­hauen wie die Gesellschaft, in die das junge Paar hineingerät. Sie passt zur Wucht von Steck­els starken Bildern und blitzt dann wieder feingeschlif­f­en und voller Wortwitz. Wenn Julia sich im Dia­log mit ihrer Mut­ter ver­meintlich zur Hochzeit mit Graf Paris überre­den lässt, ficht die Sprache wie ein Duell mit dem Flo­rett. Wort- und punk­t­ge­nau, dop­peldeutig und ele­gant. Und sie darf komisch sein, augen­zwinkernd, die vierte Wand ein­reißen. Als Julia das Gift nehmen soll, im schön­sten Kleid mit leuch­t­en­dem Reifrock, schon her­aus­geputzt für eine Hochzeit, die sie nicht will: “Ich will die Amme rufen. Was hil­ft sie mir? Die Sterbeszene muss ich alleine spie­len.” Feine Dop­peldeutigkeit.

Wir sind mit­ten im Abschied der Lieben­den, als uns wieder eines dieser Steck­el-Bilder umwirft. “Es ist die Nachti­gall und nicht die Lerche,” kommt hier trost­los und endgültig. Romeo muss gehen, den Bann zu befol­gen, sein Leben zu ret­ten. Er dreht sich um, da greift Anja Plaschg zum Mikro und singt — zornig. Und die bei­den verkeilen sich ineinan­der, eine Umar­mung so voller Wut und Endgültigkeit, dass einem der Atem stockt. Und der Chor aus Romeos und Julias stürmt die Bühne und trägt die bei­den fort.

Man hätte sich ins­ge­samt mehr von dieser Kon­se­quenz gewün­scht. Par­tiell zer­fällt der Abend in Einzel­stücke, rei­ht Bild an Bild, Lied an Lied. Doch möchte man ihn auch nicht mis­sen. Diese ganz beson­deren, diese magis­chen Momente des The­aters, die es nur ganz, ganz sel­ten gibt, find­en sich hier eben auch.

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