Ne? Ja!

Jette Steckels "Don Karlos" am Hamburger Thalia Theater

Haller
Philipps Welt

So kann es gehen. Da ste­ht ein Schaus­piel­er und spricht und redet Dinge, die wir in diesen Zeit­en schw­er ver­ste­hen müssen. Er redet von hohen Ide­alen und in einem Vers­maß, das die meis­ten Men­schen von heute nicht ein­mal mit dem Namen ken­nen, und spricht während fast vier Stun­den ein­er Auf­führung viel, sehr viel. Aber man liebt ihn und seine Sprache. Der Schaus­piel­er heißt Jens Harz­er und er hat einen wirk­lich großen Abend als Mar­quis Posa in Schillers “Don Kar­los”. Der heißt an diesem Thalia-Abend “Don Car­los” und insze­niert hat ihn Jette Steck­el, die sich noch gar nicht vor allzu­langer Zeit in den kom­plizierten Net­zen des “Woyzeck” so ver­strickt hat­te. An diesem Abend hat sie so ziem­lich alles richtig gemacht, allem voran in der glück­haften Beset­zung ihrer Pro­tag­o­nis­ten.

Dieser Posa spricht deut­lich, scharf akzen­tu­ierend, scharf denk­end – so nimmt man ihm wohl ab –, aber die Kun­st des Jens Harz­er liegt in der Brechung der achsoschw­eren Schiller­schen Sprache. Kein jam­bis­ches Gere­ite, kein deklam­a­torisches Gesten­ze, nein, ein Stil, der eigen ist in sein­er frem­dar­ti­gen Dik­tion, in sein­er natür­lichen, fast naiv­en Sprech­weise (man mag da schon an Schiller denken, vielle­icht an Kleist in sein­er “allmäh­lichen Ver­fer­ti­gung”). Der Atem stimmt und der Fluss der Rede, geschmei­dig gemacht durch die Alltäglichkeit der Ansprache, die plaud­erischen Zwis­chen­laute der Kon­ver­sa­tion. Der hohen Absicht wird ein schnelles “Ne?” nachgeschoben, ger­adlin­ig auf den Kern ein­er Aus­sage zuges­teuert, eine Forderung wird real durch ihre Beiläu­figkeit. Und nicht ein­mal die Alltäglichkeit wirkt dabei banal. Harz­ers Posa ist ein gutausse­hen­der Mann, ein­er, der sich die Orden sein­er mil­itärischen Erfolge nur nach Bedarf und Zer­e­moniell an den blauen Zweirei­her steck­en muss, nicht etwa, um dadurch zu wirken. Nicht ein­mal der volk­stüm­lich über dem Stück schwebende “Gedankenfreiheits”-Vers schafft es, sich in die Höhe der Zitier­würdigkeit zu schrauben. Da sitzt die Pause wie eine Pointe, das Pub­likum wartet auf das nachgeklappte “Sire” und es kommt nicht von vorne, es kommt aus dem Par­kett, als sei die Unvoll­ständigkeit des Bekan­nten nicht zu ertra­gen. Das ist beein­druck­end.

An diesem Abend spielt der Namensge­ber des Schiller­schen Dra­mas keine wirk­liche Rolle. Mir­co Kreibisch macht seine Sache wirk­lich exzel­lent, aber dieser Don Kar­los ist mit Fug und Recht als Pfeife zu beze­ich­nen. Die Weigerung seines Vaters, ihm die Macht zu übergeben, ist hart, aber für uns plau­si­bel. Wirk­lich nie­mand im vollbe­set­zten Thalia würde diesem jun­gen Mann auch nur die Schlüs­sel seines Fam­i­lien­wa­gens anver­trauen. Der sitzt, hüb­sch gestal­tet mit langem Mit­telschei­t­el und Ringel­hemd schon beim Ein­lass auf der Vor­bühne und malt mit dick­em Filzs­tift Parolen auf ein Protest­plakat. Der für alles engagierte Attac-Aktivist mit krausen Gedanken und vie­len Ideen mag da Pate ges­tanden haben, ein Mach­er ist dieser Typ gewiss nicht. Und nie­mand ver­ste­ht so recht, was Elis­a­beth oder die Eboli an diesem laschen Typen begeis­tern kann. Die kom­men allerd­ings auch nicht so recht aus den Start­blöck­en, eigentlich erstaunlich für die Insze­nierung ein­er Regis­seurin dieser Gen­er­a­tion. Ein biss­chen amüsant wird dann auch die Kon­fronta­tion zwis­chen der Gräfin Eboli und Don Kar­los, deren Fla­menco­ge­habe ger­ade so an der unfrei­willi­gen Komik vor­beis­chlid­dert – ja, in Spanien ist das Teil der Volk­skul­tur und in Spanien spielt das ja auch alles.

Schwarz
Schwarz

Über­haupt gibt es solche Gren­zsi­t­u­a­tio­nen in einem eigentlich stim­mig scheinen­den Konzept gele­gentlich, die zu einem “ger­ade nochmal gut­ge­gan­gen” Seufz­er ver­leit­en kön­nen. Sich­er, dazu gehört auch der Wel­ten­monolog Philipps, gar­niert mit einem Chap­lin-Bal­let mit ein­er offen­bar aufge­blase­nen, nicht sicht­baren Weltkugel. Aber der Mann, der das spielt, heißt Hans Kre­mer; vor Jahren, 1985, war er ein bon­bon­bunter Car­los am Rande der Lächer­lichkeit in München unter Alexan­der Lang – hier bewahrt er die Würde eines großen Schaus­piel­ers. Fein ist der Ges­tus, ent­täuscht die Hal­tung, kon­se­quent sach­lich sein Han­deln. Er ste­ht Harz­ers Posa, dem schar­fen Ide­al­is­ten, als ein Man­ag­er in ein­er schwar­zled­er­nen USM-Haller-Welt, dessen Nach­fol­geprob­lem offen­sichtlich ist, gegenüber. In dieser Szene heißt das ja wohl “auf Augen­höhe”. Steck­el hat sich sein Fontainebleau von ihrem Büh­nen­bild­ner Flo­ri­an Lösche als ein wun­der­lich­es Getriebe aus 80 mit schwarzem (Kunst-)Leder bespan­nten rechteck­i­gen Ele­menten bauen lassen, die einen trapezför­mi­gen Hor­i­zont bilden. Die Ring­drehbühne des Thalia ermöglicht eine schnelle, oft tänz­erisch anmu­tende Ver­wand­lung der Räume, die Ele­mente wirbeln umeinan­der, fest ist da nichts im königlichen Schlosse, ein Quirl der Beziehun­gen ist dieser Wald aus Wän­den. Zwis­chen­drin sieht man das Maßw­erk der Rück­kon­struk­tion dieser Wände, da wird es dann eng und pirane­sisch in den Räu­men.

Der “Kar­los” ste­ht in sein­er Auf­führungs­geschichte für viel Poli­tik, für ide­al­is­tis­chen Szene­nap­plaus in unguten Zeit­en. Dieser hier ist unpoli­tisch bis zur Schmerz­gren­ze. Was da wirk­lich inter­es­sant zu sein scheint, ist die Beziehung der Per­so­n­en zueinan­der, die Dreiecks­beziehung zwis­chen Vater, Sohn und Posa, die Auseinan­der­set­zung auf der gesellschaftlichen Ebene ist Machtkampf zwis­chen den Pro­tag­o­nis­ten, kein Kampf der Sys­teme oder gar Gedanken. Das funk­tion­iert in der Tiefe her­vor­ra­gend und ist schon etwas größere The­ater-Kun­st, an der Ober­fläche gibt es dann aber doch gele­gentlich ein­mal Ent­gleisun­gen.

Tat­säch­lich muss sich das so gelun­gene “Pri­vat­stück” die eine oder andere Frage gefall­en lassen, etwa genau nach diesem Defiz­it ein­er poli­tis­chen Hal­tung. Daran ändert auch das vor­angestellte und auf den eis­er­nen Vorhang pro­jizierte seit­en­lange krude Man­i­fest eines Julian Assange nichts, das die Sache wohl in die Welt von Glob­al­isierung, Web 2.0 und ähn­lichem zur Zeit durch die Medi­en getriebe­nen Zeugs bugsieren soll. Erschließen tut sich das nicht, es ist aber auch vol­lkom­men egal, da die Binnenebene so sehr und anrührend gelun­gen ist.

Nachzufra­gen ist auch der inten­sive Ein­satz von Pro­jek­tion­stech­niken. Die schwarzen Hin­ter­gründe eignen sich gut für so etwas, allein, was erzählt es? Wozu die Entkör­per­lichung durch Close­up-Ein­spiel­er? Näher an die Per­so­n­en kommt man damit nicht, im Gegen­teil, der Ver­lust an räum­lich­er Tiefe und Ent­fer­nung schafft eher Dis­tanz, da sieht es schw­er nach Mod­ernismus aus. Hin und wieder gelin­gen für den Moment schöne Ein­drücke, Philipps Traum, mit der Ein­spielung eines krabbel­nden Säuglings schafft einen schlüs­si­gen Assozi­a­tion­sraum, doch dieser Ein­druck ist flüchtig, wiederum flächig und schwappt über in filmisch-ästhetis­che Gefäl­ligkeit. Und das ist genau dann schade, wenn die präzise Per­so­n­en­führung dieser doch sehr tal­en­tierten Regis­seurin hin­ter solchen Mätzchen ver­schwindet, weil alle auf die “Glotze” star­ren, die über der Szene schwebt. Das mit dem Film, ins­beson­dere das New Amer­i­can Cin­e­ma, ist wohl auch ein The­ma für sie. Der Schluss ist die the­atrale Umset­zung eine Taran­ti­no-Szene, Kar­los und Elis­a­beth ster­ben unter pop-musikalis­chen Inserts (Aca­pul­co? Las Vegas …) im Kugel­hagel, blut­durchtränkt ihre Zivilk­lei­dung. Auch das ist frag­würdig in der Umset­zung und frag­würdig ist auch die schon vergessen geglaubte Attitüde, filmis­che und the­atrale Ästhetiken zu ver­men­gen. Das hat nie funk­tion­iert und hier tut es das auch nicht. Es bleibt – trotz alle­dem und alle­dem – ein guter Abend.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*