Terror im Kopf

Kleine Bühne, großer Abend. Foto: Jonas Dienst
Kleine Bühne, großer Abend. Foto: Jonas Dienst
Kleine Bühne, großer Abend.
Foto: Jonas Dienst

Schade ist das, dass die Thalia Gauß Garage nur Platz für so wenige Besuch­er bietet. Wer „Ich rufe meine Brüder“, das kluge Kam­mer­spiel ein­er Real­itätsver­schiebung, anse­hen möchte, muss schnell sein, um eine Karte zu ergat­tern. Aber begin­nen wir von vorn.

Anton Kurt Krause und seine zwei Schaus­piel­er brauchen nicht viel. Ein abgek­lebtes Spielfeld in der Mitte der Büh­nen­bre­ite, eine Instal­la­tion aus schwarzen Reise­taschen links davon und ein Klavier. Pas­cal Houdus lässt einen fer­nges­teuerten Helikopter kreisen, als das Pub­likum zum Sitzen kommt. „Ver­hal­tet Euch in den näch­sten Tagen ruhig“, emp­fiehlt er, nach­dem er das Spielzeug in eine der Taschen geräumt hat. Denn es scheinen schlimme Ereignisse bevorzuste­hen, aber wir, so ver­sichert er uns, haben damit nichts zu tun.

So ein­fach das Set­ting, so klar das Zeichen. Eine Reise­tasche ohne Besitzer am Flughafen bedeutet Son­dere­in­satz und Evakuierung. Eine Reise­tasche ohne Besitzer ste­ht für Ter­ror. Sie ste­ht aber auch für die Wahrnehmung ein­er Welt, die in dif­fuse Panik aus­bricht vor einem Gefühl der Ohn­macht, vor Unwis­senheit und Vorurteilen. Wer steckt dahin­ter, oder anders: Was steckt da drin? Genau das fragt sich Amor, der junge Pro­tag­o­nist aus Jonas Has­sen Khemiris Stück. Allerd­ings hat er keine Angst vor dem Anschlag. Er hat Angst davor, ihn selb­st verübt zu haben.

Für Amor ver­schiebt sich die Real­ität. Ger­ade noch war er betrunk­en tanzen in einem Club. Dann explodiert in Stock­holm eine Auto­bombe, und er geht nicht ans Handy; denn es ist sein Fre­und Shavi, und der hat seit der Geburt sein­er Tochter nur noch Baby­brei im Kopf. Und plöt­zlich fühlt Amor sich als Ter­ror­ist. Nicht etwa, weil er verdächtigt würde, son­dern weil seine Real­ität ihm keine klaren Zeichen mehr sendet. Oder die falschen, und davon zu viele. Schließlich passt er ins Raster: ein junger Mann mit Migra­tionsh­in­ter­grund, der allein auf­grund seines Äußeren den Anschlag verübt haben kön­nte. Nicht mehr. Aber weniger eben auch nicht.

Amor fehlt die Spiegelung von außen, die ihn seine Para­noia über­winden ließe. Seine Cou­sine spricht am Tele­fon vom „eisi­gen Wind, der über dich und deine Brüder hin­wegfe­gen wird“, und schon steigt der Büh­nen­nebel auf zwis­chen den Reise­taschen. Ali­cia Aumüller, kon­ge­niale Büh­nen­part­ner­in von Hou­dos, legt am Klavier ein grandios­es „Wind of Change“-Cover von den Scor­pi­ons hin. Über­haupt ist Kraus­es Ver­sion des Stück­es geprägt von diesen iro­nis­chen und komis­chen Brüchen, die Hou­dos und Aumüller mit aus­geze­ich­netem Tim­ing set­zen. Dass sie dabei viel selb­st machen, das Licht dim­men, den Nebel anstellen, das Roll­tor öff­nen, die Kam­era auf sich richt­en, ste­ht dem Text gut. Die Bilder, Szenen und Äng­ste, die Amor verun­sich­ern, erzeugt er schließlich auch selb­st.

Auch Vale­ria, seine große Liebe, will nicht mit Amor abhauen. Zwar darf die Welt kurz rosa wer­den, wenn er mit ihr am Tele­fon spricht, und eine Musi­cal­num­mer beschwört die ewige Liebe her­auf. Aber ein Teil der Gle­ichung stimmt nicht. „Amor, du warst doch dieser Chemie-Nerd, der eine Frau gestalkt hat, bis sie die Stadt ver­lassen musste.“ Wir ver­ste­hen, so war das also. Die Welt zwis­chen Innen und Außen, Amors Wahrnehmung ein­er roman­tis­chen Liebe und das, was wirk­lich geschah, sind nicht mehr deck­ungs­gle­ich. Es braucht eine Weile, bis man das im Lauf des Abends begreift, dafür kommt die Ein­sicht umso heftiger. Wir nehmen auss­chließlich Amors Welt wahr. Und die ist weit ent­fer­nt von der Real­ität.

Auch wenn Hou­dos sich in das klis­chierte Abbild eines Islamis­ten ver­wan­delt und sich mit Maschi­nen­pis­tolen behängt, wird schnell deut­lich: Diese Sicht auf sich selb­st find­et im Kopf der Fig­ur statt. Sie hat ihre Wurzel in Vorurteilen, denen er begeg­net, und der nicht unkom­plizierten Sit­u­a­tion ein­er Iden­tität, die aus zwei Kul­turen kommt und keine Zuge­hörigkeit find­et. Kon­se­quenter­weise hat Krause die Per­so­n­e­nan­zahl des Stück­es von vier auf zwei reduziert. Zwei Aus­nahme-Schaus­piel­er, eine Spielfläche von ein paar Quadrat­metern und ein klares Konzept – mehr braucht dieser Text eben nicht. Ein geschickt gear­beit­eter, komis­ch­er und zugle­ich tief­trau­riger Abend, der uns mit der Frage entlässt, was unser Blick auf andere erzeu­gen kann. Es lohnt sich also, schnell zu sein für die Thalia Gauß Garage.

1 Kommentar

  1. Sehr plas­tis­ch­er und anschaulich­er Kom­men­tar; man kommt sich vor wie im Stück! Wäre nicht die 800km-Dis­tanz von MUC nach HH, säße ich mor­gen in der Thalia Gauß Garage, um selb­st haut­nah zu erleben.
    MF aus München

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