Treffpunkt Studio – Stippvisite von Nord nach Süd

Zwei Abende und vier Stücke beim Körber Studio Junge Regie auf dem Thalia Gaußstraßengelände

Immer höher, immer weiter. Doch wer zu hoch baut, hat beim Jenga letzten Endes doch verloren. Bild: Thalia Theater Stop Being Poor Norwegische Theaterakademie Fredrikstad Von und mit Anders Firing Aardal, Matias Askvik, David Jensen, Marthe Sofie Løkeland Eide, Ylva Owren und Heiki Eero Riipinen Abdruck honorarfrei gegen Nachweis: Körber-Stiftung /Krafft Angerer Kontakt: Körber-Stiftung Kehrwieder 12 20457 Hamburg 040-808192-172 lubbe@koerber-stiftung.de www.koerber-stiftung.de

Fünf Tage, 13 Stücke, drei Büh­nen: Das Kör­ber Stu­dio Junge Regie ist – neben dem jährlich stat­tfind­en­den Schaus­pielschul­tr­e­f­fen – der ide­ale Ort, um sich einen Überblick über den Regien­ach­wuchs im deutschsprachi­gen Raum zu schaf­fen. Ein­mal im Jahr wird das Gaußs­traßen­gelände von Regie- und Schaus­piel­studieren­den der Aus­bil­dungsin­sti­tute aus Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz bevölk­ert. 2015 nimmt zudem die Nor­wegis­che The­at­er­akademie Fredrik­stadt am Wet­tbe­werb teil – eine Entwick­lung, die zeigt, das auch das Schaus­piel, gle­ich­wohl es von der Sprache lebt, immer inter­na­tionaler wird.

Die Schulen nutzen die Chance, sich zu zeigen, und Inten­dan­ten, Regis­seure und Dra­matur­gen die Möglichkeit, junge Tal­ente zu ent­deck­en. Vere­inzelt trifft man hier inter­essiertes Pub­likum. Doch eigentlich ist das Kör­ber Stu­dio ein Branchen­markt. Sehen und gese­hen wer­den im besten Sinne, dazu Dia­log, Aus­tausch, Diskus­sio­nen. Pro Tag wer­den bis zu drei Stücke gezeigt, nach jedem Stück gibt es ein Pub­likums­ge­spräch, danach ein schnelles Getränk, bevor man in die näch­ste Spiel­stätte weit­erzieht. Für die Studieren­den find­en zudem – nicht öffentliche – Gespräch­srun­den statt, um Arbeitsweisen und Ideen zu disku­tieren.

Bespielt wer­den das Thalia in der Gaußs­traße und das JungeSchaus­piel­Haus, disku­tiert wird – mal mehr oder weniger ambi­tion­iert und gehaltvoll – in der Thalia Garage. Vor den­jeni­gen, die die ganzen fünf Tage durch­ste­hen, darf man respek­tvoll den Hut ziehen, ins­beson­dere aber vor der Jury, die zum Ende des Fes­ti­vals ein Siegerstück kürt. Es ist eine Menge an Ein­drück­en, Hand­schriften, Stück­en­twick­lun­gen und Bear­beitun­gen, die man hier zu sehen bekommt. Ein großer, aufre­gen­der, aber auch anstren­gen­der Spielplatz der The­ater­szene.

Ein Kommentar zu „Faust“

Die The­men reichen von klas­sisch bis heutig, von Ibsen bis Stück­en­twick­lung. Doch es sind eher wenige, die sich an einen großen Stoff der The­ater­lit­er­atur her­antrauen. Ein „Volks­feind“ ist zu sehen (Akademie für Darstel­lende Kun­st Baden-Würt­tem­berg, Lud­wigs­burg), dazu „Vor Son­nenauf­gang“ vom Mozar­teum Salzburg und Hebbels „Judith“ von der Folk­wang Uni­ver­sität der Kün­ste Essen. An den Judith-Stoff wagen sich gle­ich zwei Insti­tute, näm­lich auch eine Per­for­mance von der Uni­ver­sität Hildesheim — allerd­ings mit Titelver­frem­dung (“J.U.D.I.T.H”) und Alters­beschränkung ab 16 Jahren. Wer weiß, ob es ärg­er­lich ist, dass ich am Frühabend des 13. Juni nicht kann, aber im Pro­gramm­fly­er wird Fol­gen­des angekündigt: “Die Wahrnehmung und Weltan­schau­un­gen der Zuschauen­den kön­nen ins Wanken ger­at­en, wenn Dil­dosauri­er durch die Orgas­mus­land­schaft tanzen und die Vul­va anfängt zu sin­gen.” Schon die gen­der-kor­rek­te Schreib­weise der “Zuschauen­den” lässt fem­i­nis­tis­ches Gedankengut ver­muten, und das von zwei Regis­seurin­nen mit Geburt­s­jahr 1988 hätte mich dur­chaus inter­essiert.

Das über­ge­ord­nete Mot­to lautet „Spiel-Räume“, und die sind, das wird schnell klar, so vielgestaltig, dass bei der Per­for­mance „Flim­mer­sko­tom“ des Insti­tuts für Ange­wandte The­ater­wis­senschaft Gießen das Licht die Haup­trol­le übern­immt – geführt von ein­er einzel­nen Per­formerin, deren klare Posi­tion im Büh­nengeschehen, so ent­nehmen wir der Jury-Diskus­sion am let­zten Tag, lei­der im wahrste Sinne des Wortes im Dunkeln bleibt.

Wir steigen fre­itags bei som­mer­lich­er Hitze ein mit Elfriede Jelinek, die übri­gens gle­ich zweimal auf dem Fes­ti­val vertreten ist, mit „Ulrike Maria Stu­art“ und „FaustIn and out“. Jelineks Textflächen sind ja schon an sich ehrgeizige Unter­fan­gen für Regie und Dra­maturgie. Doch das kann junge Regie-Studierende nicht schreck­en. Beherzt greift sich Pauli­na Neukampf von der That­er­akademie Ham­burg den Faust-Kom­men­tar, um ihn als Pam­phlet über die Frau in der heuti­gen Gesellschaft zu insze­nieren. Dass die Vor­lage sich auch mit den Fällen Natascha Kam­pusch und Elis­a­beth Frit­zl auseinan­der­set­zt, tritt hier in den Hin­ter­grund. In Jelineks Text, der sich an Frauen­bildern und dem bürg­er­lichen Fam­i­lien­mod­ell abar­beit­et, kann man das Einges­per­rt-Sein im Keller gut als inneren Zwang begreifen, her­vorgerufen durch eine männlich dominierte Welt in all ihrer Bru­tal­ität.

Das set­zt Neukampf mit ihren sieben Schaus­pielerin­nen deut­lich um. Zu Beginn gebären zwei der Fig­uren einen „Faust“-Band unter Schmerzen, aus dem dann gele­sen wird – ein starkes Bild, ein Ein­stieg, der knallt. Ins­ge­samt ist die Vordiploms-Insze­nierung sprach­lich und handw­erk­lich aus­geze­ich­net gear­beit­et. Doch so abgeschlossen sie zu Beginn aussieht, so konzep­tionell durch­dacht sie auf den ersten Blick wirkt, wird doch auch im Pub­likums­ge­spräch klar, dass hier viel intu­itiv ent­standen ist. Dem durch­weg weib­lichen Team ist vor allem Wut darüber anzumerken, dass der Fem­i­nis­mus heute irgend­wo steck­en geblieben, irgend­wie uncool gewor­den ist – obwohl doch ungezählte Missstände auf die Aktu­al­ität der Gretchen-Rolle hin­weisen. Fol­gerichtig set­zt Pauli­na Neukampf dem Jelinek´schen Kom­men­tar auf Goethes Faust die Ver­fil­mung von 1926 ent­ge­gen. Die Welt, die die Fig­uren im Keller von außen mit­bekom­men, ist fast 100 Jahre alt. Hat der Fem­i­nis­mus wirk­lich so einen Bart?

Zwei Stimmen im Kopf

Eine ehrgeizige Stück­en­twick­lung hat sich Annale­na Maas von der Bay­erischen The­at­er­akademie August Everd­ing vorgenom­men. „Weiße Wüste“ heißt der Text, den ihre Fre­undin Lau­ra Schu­bert für sie geschrieben hat. 70 lose Seit­en Text­ma­te­r­i­al über die Volk­skrankheit Depres­sion hat sie geliefert, 14 Seit­en davon hat Annale­na Maas auf zwei Rollen verteilt.

Annale­na Maß insze­niert die zwei Fig­uren als spring­fi­dele Häsin, die am lieb­sten von Par­ty zu Par­ty hop­peln würde, und einen asketisch anmu­ten­den jun­gen Mann, der von oben bis unten mit weißem Medi­z­in­tape bek­lebt ist. Bei­de kämpfen sich aus dem überdi­men­sion­ierten Inneren ein­er mon­strösen Torte, während aus dem Off Stim­men über die Entschei­dungsvielfalt unseres Daseins philoso­phieren. Das Ich ist von sein­er unbändi­gen Frei­heit über­fordert, soviel wird zu Beginn gle­ich klar – und lei­der bleibt das auch die einzige Aus­sage, die das Stück let­ztlich trifft.

Wie bei der kleinen Meer­jungfrau ist es noch heute, find­et der depres­sive Mann in Weiß: Beine oder Stimme. Es fall­en Sätze wie “Frei­heit reicht aus, um uns völ­lig unglück­lich zu machen”. Das ist Quatsch, find­et die Hasendame. Ihrer Mei­n­ung ist das ganze Leben ein Pro­dukt, das uns glück­lich macht, wenn wir uns nur richtig entschei­den. Um diesen Kern disku­tieren, tanzen, kämpfen, rin­gen die bei­den Fig­uren, die uns das Pro­grammheft als zwei Stim­men ausweist: “Exis­ten­zangst und Selb­stver­wirk­lichungs­drang”. Der Schaus­piel­er, der bib­bert, stot­tert und stockt, ist eben­so in sich selb­st gefan­gen wie die fidele Mäusin, die man­isch mit­ten ins Leben sprin­gen und von Vergnü­gung zu Vergnü­gung rasen möchte. Am Ende ste­ht sie am Torten­rand, weinend. Und das Stück entlässt uns mit dem Loop der Stim­men vom Beginn, bevor es dunkel wird über dem rosa Torten­land.

Der Gen­er­a­tio­nen­text, der uns vor Augen führt, dass die Möglichkeit der Wahl für viele Indi­viduen im wahrsten Wortsinn zur Qual wer­den kann, kratzt lei­der nur an der Ober­fläche, und so tut es auch die Regie. Ein biss­chen viel Aktion­is­mus, etwas zu viel Lärm und Gerangel, keine Aus­sage, die ein­fach mal ste­hen gelassen wird. Man wün­scht sich eine entsch­iedene Dra­maturgie, die öfter mal den Mut zum Weglassen emp­fohlen hätte. Und kurz stellt sich die Frage, warum die Lehren­den der August Everd­ing-Akademie bei der Stück­auswahl nicht mehr zur Seite standen. Aber das denken wir nur kurz, denn: Es ist ein Drit­t­jahre­spro­jekt, das Diplom kommt erst noch. Wann sollen junge Regis­seure sich aus­pro­bieren, wenn nicht jet­zt?

Unter Haien

Am Son­ntag, dem let­zten Fes­ti­val­t­ag, zeigt sich das Wet­ter wieder gewohnt ham­bur­gisch kühl, und das Fes­ti­val­gelände hat ein biss­chen was von seinem Som­mer­camp-Flair ver­loren. Auch der let­zte Tag begin­nt mit ein­er Stück­en­twick­lung, die bere­its bei Rowohlt ver­legt wird. “Der Volk­shai” des Autoren­du­os Jakob Nolte und Michel Decar ver­mengt Motive aus Ibsens “Volks­feind” und dem Filmk­las­sik­er “Der weiße Hai” zu ein­er intel­li­gen­ten und mit spitzer Fed­er geschriebe­nen Real­satire. Im Rim­i­ni von 1980 sind Poli­tik wie Presse gle­icher­maßen im WM-Fieber – bis die Leiche eines kleinen Jun­gen am Strand gefun­den wird. Die schöne Bade­meis­terin Giu­lia will einen Hai gese­hen haben – ein Skan­dal! Das kann jet­zt wirk­lich kein­er brauchen. Ver­tuschung, Kor­rup­tion und Eit­elkeit­en bes­tim­men die bit­ter­böse Textvor­lage, die vor Komik strotzt.

Man muss fair­erweise vorauss­chick­en, dass das Stück eigentlich außer Konkur­renz laufen müsste. Die Autoren, die bere­its bei sein­er Vordiplom­sin­sze­nierung mit Regis­seur Matthias Rip­pert gear­beit­et haben, möcht­en bezahlt wer­den. Und so kämpft Rip­pert dafür, sein Diplom an einem Stadtthe­ater machen zu dür­fen. Das The­ater Bonn – fernab der Aus­bil­dungsstätte, dem Max Rein­hardt Sem­i­nar Wien – nimmt die Her­aus­forderung an. In nur sechs Wochen erar­beit­en Schaus­piel­er, Autoren und Regie das Stück. Her­aus­gekom­men ist eine sehr spiel­bare Fas­sung, die vielle­icht noch etwas Fein­schliff und manche Kürzung ver­tra­gen hätte, ins­ge­samt aber durch ihren satirischen Charak­ter überzeugt. Die pro­fes­sionellen Pro­duk­tions­be­din­gun­gen eines Stadtthe­aters allerd­ings machen die Insze­nierung eigentlich zu einem Abend, der sich nicht so recht ins uni­ver­sitäre Exper­i­men­tierum­feld des Kör­ber Stu­dios fügen möchte.

Eine sim­ple, mul­ti­funkionale Büh­nenkulisse haben Fabi­an Liszt und Seli­na Traun für den Text gebaut, und die machen sich die aus­geze­ich­net geführten Schaus­piel­er entsch­ieden zueigen. Das Spiel ist kör­per­lich, stark und über­zo­gen, das Ensem­ble agiert an der Gren­ze zum satirischen Stereo­typ mit solch­er Leichtigkeit, dass das Pub­likum vom ersten Moment an mit­ten in der bösen Komödie steckt. Kaum tritt der Reporter voll sozial­is­tis­ch­er Überzeu­gun­gen auf, wird er massiert, gekrault, gefügig gemacht, und wenn der Bürg­er­meis­ter im tro­pis­chen Bade­man­tel mit ihm im Autoscoot­er sitzt und aufs Meer blickt, wird schnell klar, dass das für die Anschau­ung des einst inves­tiga­tiv­en Jour­nal­is­ten kein gutes Ende nimmt: “Demokratie begin­nt am Küchen­tisch, aber so´n Golf­platz am Strand, wie geil ist das denn?”. Da kann man die Sache mit dem Hai ruhig mal unter den Tisch fall­en lassen und nachts mit der Polit­promi­nenz Särge über die Bühne schlep­pen.

Bade­meis­terin Giu­lia wird kurz­er­hand für ver­rückt erk­lärt, und ihre Liebe zum bär­ti­gen Lino zer­bricht daran, dass er ihr die Haigeschichte auch nicht mehr abn­immt. Einst war er “ein fein­er Boy”, aber jet­zt ist die Luft raus. Und so nimmt das Elend in Rim­i­ni seinen Lauf, bis kein­er mehr wirk­lich weiß, wer das Blut­bad angerichtet hat. Ins­ge­samt hätte man dem Team etwas mehr Proben­zeit gewün­scht, damit Stück und Insze­nierung noch ein wenig an Dichte und Tiefe gewin­nen. Nichts­destotrotz: Autoren­duo und Regie soll­ten ihre Zusam­me­nar­beit unbe­d­ingt fort­führen, wün­scht man sich.

Freundschaft = Liebe – Sex

Das let­zte Stück der fünf Fes­ti­val­t­age kommt mit dem etwas sper­ri­gen Titel “Société des Amis – Tin­der­match im Oder­bruch” von der Zürcher Hochschule der Kün­ste. Regie führt bei der Stück­en­twick­lung Jan Koslows­ki, die “kün­st­lerische Leitung” übernehmen er und Nele Stuh­ler. Was genau das für den Proben­ablauf bedeutet, wird im Pub­likums­ge­spräch zwar nicht ganz klar, aber das ist bei dem höchst vergnüglichen Ergeb­nis eigentlich auch völ­lig Wurst. Denn was bei diesem Zitat des Kinder- und Jugend­traums end­los­er Som­mer­fe­rien her­aus­gekom­men ist, ist ungewöhn­lich, char­mant und komisch, ohne dabei platt oder gewollt zu wirken. Nicht umson­st platziert die Jury das Stück auf der Short List der besten drei Fes­ti­val­beiträge.

Fünf Performer_innen in zün­fti­gen Wan­der­out­fits mit Kniestrümpfen und Ruck­säck­en marschieren im Gle­ich­schritt und Enten­marsch zwis­chen spiegel­nden Dreieck­en auf die Bühne. Cho­risch und aus­druck­s­los skandieren sie: “Frohlock­et! Heißa! Heure­ka! Yab­ba dab­ba doo!” Hier freuen sich fünf so richtig doll. Oder zumin­d­est wird erwartet, dass man sich bei diesem Aus­flug so richtig doll zu freuen hat. Bei dem utopisch-folk­loris­tis­chen Feri­en­camp der fünf Fre­unde wird alles bemüht, was Lager­feuer-Roman­tik aus­macht: Wolken­bruch und Aben­teuer, Gruseln im Dunkeln und das Hände-Reiben über dem Feuer. Aber: So richtig Roman­tik kommt nicht auf, denn Klis­chees wer­den gebrochen, wo es nur geht.

For­mal­is­tis­ches Spiel, sprach­liche Präzi­sion­sar­beit, vor allem bei den Chor­pas­sagen, her­vor­ra­gen­des Tim­ing bei den Pointen und absurde Ele­mente schaf­fen das Augen­zwinkern zum Klis­chee. Abstrak­te Bilder von Roman­tik, die man vom end­losen Som­merurlaub mit den besten Fre­un­den hat, erzeu­gen Komik. Und so kom­men unter­schwellig auch all die Ent­täuschun­gen, Brüche und Zwistigkeit­en, die in so ein­er Fün­fer-Clique aufkom­men kön­nen, nach und nach an die Ober­fläche.

Sie hät­ten Enid Bly­tons “Fünf Fre­unde” im Kopf gehabt, erk­lärt das Duo Koslowski/Stuhler im Pub­likums­ge­spräch. Bei­de ken­nen sich schon vom Jugendthe­ater­club der Volks­bühne Berlin, bei­de haben erst getren­nt voneinan­der studiert (er an der ADK in Baden-Würt­tem­berg, sie Ange­wandte The­ater­wis­senschaft in Gießen), um dann an der Zürcher Hochschule der Kün­ste wieder zusam­men­zutr­e­f­fen und zu arbeit­en. Sie grün­den ein The­aterkollek­tiv mit dem unprä­ten­tiösen Namen “Leien (!) des All­t­ags”. Kein Einzelfall: Allein vier der 13 Fes­ti­val­beiträge sind aus Regie- und Schaus­pielkollek­tiv­en ent­standen. Auch die Zusam­me­nar­beit von Regie und Dra­maturgie – so scheint es zumin­d­est in den Pub­likums­ge­sprächen – ist eng verzah­nt. The­ater als echte Zusam­me­nar­beit, als kreatives Erleb­nis eines Kollek­tivs zeigt der Fokus der Spiel-Räume auf.

Die Kunst des Urteils

Auch wenn man nicht alle Fes­ti­val­beiträge gese­hen hat, sollte man sich keines­falls die Jurysitzung ent­ge­hen lassen. Sel­ten bekommt man so inten­sive Ein­blicke in die Bew­er­tung the­atraler Arbeit – so neu­tral wie möglich und doch mit per­sön­lich-sub­jek­tiv­er Drauf­sicht, die The­ater so span­nend macht. Hier sitzt geballte Kom­pe­tenz aus der deutschsprachi­gen The­ater­land­schaft und disku­tiert die Beiträge auf offen­er Bühne. 2015 set­zt sich die Jury aus The­ater­ma­ch­ern unter­schiedlich­ster Diszi­plinen zusam­men: Peter Carp (Inten­dant The­ater Ober­hausen und Regis­seur), Cor­nelia Fiedler (freie Jour­nal­istin, u.a. Süd­deutsche Zeitung, The­ater Heute), Dr. Christoph Rodatz (The­ater­wis­senschaftler, Autor und freier The­ater­ma­ch­er), Rita Thiele (stel­lvertre­tende Inten­datin und Chef­dra­matur­gin Deutsches Schaus­piel­haus) und Roger Von­to­bel (freier Regis­seur). The­ater heute-Redak­teurin Bar­bara Burkhardt mod­eriert die Diskus­sion unaufgeregt, ein­fühlsam und gewohnt kom­pe­tent.

Zehn Insze­nierun­gen wer­den im Rah­men ein­er kurzen Kri­tik besprochen. Jede Insze­nierung hat einen Für­sprech­er, der kurz umschreibt, was an der Arbeit die Jury bein­druckt und im Zweifel nicht so gefall­en hat. Die Fes­ti­val­beiträge, darüber ist sich die Jury einig, tra­gen alle­samt span­nende Hand­schriften, sind meist sauber und rhyth­misch klar gear­beit­et. Doch, auch das wird schnell deut­lich, eini­gen fehlt in den Augen der Jury die inhaltliche Tiefe. “Manch­mal hat­te ich das Gefühl, die jun­gen Regis­seure trauen ihren eige­nen Insze­nierun­gen nicht”, ver­sucht Rodatz das Gefühl in Worte zu fassen. Manch­es sei auch ein­fach zu brav, zu wenig radikal, ver­mei­de poli­tis­che und gesellschaftliche Rel­e­vanz. Auch stark poli­tis­che Texte wie beispiel­sweise “Ulrike Maria Stu­art” von Elfriede Jelink zieht sich ins Pri­vate zurück, der Text bleibt “harm­los durch die man­gel­nde poli­tis­che Ebene”, so Fiedler.

Der zweite Jelinek-Text “FaustIn and Out” wird von Roger Von­to­bel besprochen. Fig­ure­nar­beit und Schaus­piel­er­führung haben ihn begeis­tert, vor allem die per­sön­liche Ebene der Spielerin­nen und die musikalis­che, stark rhyth­misierende Arbeitsweise, die dem the­atralen Moment ver­traut. Aber wo driftet das Team­pro­jekt in die Radikalisierung? Auch hier ver­misst die Jury die poli­tis­che Schärfe des Textes. Pauli­na Neukampf kann trotz­dem zufrieden sein. Ihre Insze­nierung gewin­nt – ver­di­ent – den undotierten Pub­likum­spreis, und die überdi­men­sion­ierte Flasche Schaumwein wird später im Foy­er vom Damenteam laut­stark geköpft.

Auch “Weiße Wüste” hät dem fundierten Blick der Juroren nicht stand. Die Textgrund­lage wird von Peter Carp als schwach wahrgenom­men, die Bipo­lar­ität ein­er Depres­sion sieht er als nicht klar genug her­aus­gear­beit­et. “Soci­eté des Amis” hinge­gen schafft es auf die Short­list der besten drei Beiträge. Von­to­bel lobt die Zusam­me­nar­beit des Ensem­bles, vor allem aber den per­sön­lichen Zugang zum The­ma, die Auseinan­der­set­zung mit rück­wirk­enden Pro­jek­tio­nen, das Kratzen am Lack eines idyl­lis­chen Kind­heit­sklis­chees. Die “Vari­a­tion auf Som­mer­nacht­straum”, wie Thiele das Stück nen­nt, wird im Jurorenkreis als Geschenk wahrgenom­men. Laut Von­to­bel tritt hier ein, was beglück­ende Ensem­blear­beit aus­macht, der inten­sive Dia­log: “Set­zt euch einan­der aus. Tretet in Kon­takt miteinan­der!”

Immer höher, immer weiter. Doch wer zu hoch baut, hat beim Jenga letzten Endes doch verloren.  Bild: Thalia Theater Stop Being Poor Norwegische Theaterakademie Fredrikstad Von und mit Anders Firing Aardal, Matias Askvik, David Jensen, Marthe Sofie Løkeland Eide, Ylva Owren und Heiki Eero Riipinen Abdruck honorarfrei gegen Nachweis: Körber-Stiftung /Krafft Angerer   Kontakt: Körber-Stiftung Kehrwieder 12 20457 Hamburg 040-808192-172 lubbe@koerber-stiftung.de www.koerber-stiftung.de
Immer höher, immer weit­er. Doch wer zu hoch baut, hat beim Jen­ga let­zten Endes doch ver­loren. Bild: Kör­ber-Stiftung /Krafft Anger­er

Das scheint der Pro­duk­tion “Stop Being Poor” der Nor­wegis­chen The­at­er­akademie Fredrik­stad gelun­gen. Fünf Absol­ven­ten der Bach­e­lorstu­di­engänge Schaus­piel und Büh­nen­bild haben sich einan­der aus­ge­set­zt und – laut Jury – poli­tis­che Rel­e­vanz bewiesen. Und zwar bei einem ganz ähn­lichen The­ma wie “Weiße Wüste”: Im Pro­grammheft wird die Gen­er­a­tion geschildert, die an der Über­forderung ihrer Möglichkeit­en scheit­ert. “Sei glück­lich. Depres­sion ist für Ver­sager. Ver­let­zlichkeit ist für Ver­sager. Ver­sagen ist für Ver­sager.” Die Grup­pe­nar­beit von Anders Fir­ing Aardal (*1987), Matias Askvik (*1992), David Jensen (*1987), Marthe Sofie Løke­land Eide (*1989), Ylva Owren (*1991) und Hei­ki Eero Riip­inen (*1990) ern­tet ein­hel­lige Jury-Begeis­terung.

Preisträger 2015: v.l.n.r. Anja Paehlke,  (Mitglied im Vorstand der Koerber-Stiftung), Matias Askvik, Marthe Sofie Lokeland Eide, David Jensen, Ylva Owren und Anders Firing Aardal Bild: Körber-Stiftung /Krafft Angerer
Preisträger 2015 (v.l.n.r.) Anja Paehlke (Mit­glied im Vor­stand der Koer­ber-Stiftung), Matias Askvik, Marthe Sofie Loke­land Eide, David Jensen, Ylva Owren und Anders Fir­ing Aardal. Bild: Kör­ber-Stiftung /Krafft Anger­er

Die Kör­ber-Stiftung unter­stützt die Gewin­ner bei ihrer neuen Regiear­beit an einem renom­mierten Stadt- oder Staat­sthe­ater oder alter­na­tiv in der Freien Szene durch einen Pro­duk­tion­skosten­zuschuss in Höhe von 10.000 Euro. Was für ein Erfolg für ein junges Ensem­ble! Da darf man schon mal strahlen.

Und den inter­essierten Zuschauern sei für das Kör­ber Stu­dio Junge Regie 2016 emp­fohlen, sich diesen jun­gen Hand­schriften auszuset­zen. Allen. Und auf jeden Fall inklu­sive Jurysitzung. Soviel geballte Kom­pe­tenz und Beurteilungskraft, gepaart mit einem liebevollen Blick auf junge The­ater­ma­ch­er, wer­den son­st schw­er­lich zu find­en sein. Wir wün­schen jet­zt schon mal viel Vergnü­gen.

 

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