Ut pictura poesis — wie Joan Miró sich der Wortkunst näherte

Zur Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum

Joan Miró (1893-1983): Peinture-poème („Une étoile caresse le sein d’une négresse”) (Bild-Gedicht [„Ein Stern liebkost die Brust einer Schwarzen]), April 1938, Tate, London, © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Die Werke von Joan Miró bestechen durch Lin­ien, Kreise, Fig­uren, Punk­te, die in kraftvolle Far­ben ein­tauchen und zu schweben scheinen. Das hat einen absoluten Wieder­erken­nungswert mit bestem Ver­mark­tungsef­fekt und ist so einem Mil­lio­nen­pub­likum auf Tassen, Kalen­dern, Notizbüch­ern und nicht zulet­zt Postkarten begeg­net. Und natür­lich in den inter­na­tionalen Kun­st­museen.

So zeigt das Bucerius Kun­st Forum aktuell die Schau Miró. Malerei als Poe­sie. Ein wahrer Besucher­mag­net, grif­fig gehängt, ver­ständlich beschildert, mit viel Platz für die Besuch­er-Fan­tasie.

Der spanis­che Maler hat sich auf das The­ma Dichtkun­st ein­ge­lassen und bee­in­flusste die sur­re­al­is­tis­che Szene deut­lich: Er begriff die Wort-Bild-Kom­bi­na­tion als reine Inspi­ra­tionsquelle und gab die Idee weit­er — etwa an René Magritte. Das ut pic­tura poe­sis des Dichters Horaz (lateinisch »wie ein Bild (sei) das Gedicht«)  ist hier Assozi­a­tion in Rein­form. Das nimmt sich der Besuch­er dann auch vor, er enträt­selt, baut zusam­men, schmun­zelt beim Kopfki­no — allein auch im Hin­blick auf die fan­tasievollen Bildti­tel. Wie etwa Une étoile caresse le sein d’une négresse, über­set­zt mit Ein Stern liebkost die Brust ein­er Schwarzen.

Joan Miró (1893-1983): Peinture-poème (
Joan Miró (1893–1983): Pein­ture-poème (“Une étoile caresse le sein d’une négresse”) (Bild-Gedicht [“Ein Stern liebkost die Brust ein­er Schwarzen”]), April 1938, Tate, Lon­don, © Suc­ces­sió Miró/VG Bild-Kun­st, Bonn 2015
Miró ist ein­er der beliebtesten Kün­stler des vorigen Jahrhun­derts, das liegt vor allem auch an sein­er Art, seine Kun­st mit ein­er energie- und fan­tasiege­lade­nen Bild­sprache umzuset­zen, mit viel Spiel­raum für Gefühl und Wirkung. Ihm lag weniger daran, die Real­ität zu inter­pretieren, vielmehr erfand er etwa eigene, emo­tionale Sym­bole für Mond, Sterne, Vogel, Auge und Frau. So rang­ierte seine Kun­st ganz oben auf der Bekan­ntheits- und Beliebtheitsskala. Die Werke fernab vom Gegen­ständlichen erhal­ten dadurch auch etwas Magis­ches.

Der junge Kün­stler aus Barcelona, einem kreativ­en Melt­ing-Pot während des Ersten Weltkriegs, hat­te die kubis­tis­che Malerei ken­nen­gel­ernt und strebte nach Paris, der damals pulsieren­den Metro­pole für Kun­st und Lit­er­atur. Denn er hat­te neue Ten­den­zen in franzö­sis­chen und kata­lanis­chen Avant­garde-Zeitschriften gese­hen. Da wollte er nun mit­mis­chen: Miró hat­te zahlre­iche Schrift­steller­fre­unde, und sie inspiri­erten sich gern gegen­seit­ig. Auch waren viele Lit­er­at­en auf der Suche nach etwas völ­lig Neuem, sie woll­ten sich lösen von dem Altherge­bracht­en, weg vom ratio­nalen Denken, in Rich­tung Anti-Dich­tung gehen. Der Leser sollte sein­er Fan­tasie freien Lauf lassen — wo er nur kon­nte.

Das dadais­tis­che Prinzip gefiel Miró, und er über­set­zte es mit dem Pin­sel auf seine Lein­wand: Wie schwebend muten die Hiero­glyphen, Sil­ben­ze­ichen, Buch­staben, Striche auf ein­far­bigen Unter­grün­den an. So gab es für Miró wertvolle, regelmäßige Tre­f­fen mit André Mas­son, Max Jacob, Pierre Reverdy und Tris­tan Tzara und eine Beteili­gung an deren Dada-Aktiv­itäten. Sie unter­hiel­ten sich über Niet­zsche, Dos­to­jew­s­ki und sym­bol­is­tis­che Dichter — das beein­druck­te ihn mehr als der Aus­tausch mit anderen Malern. Doch Miró wiederum übte auf seine Kol­le­gen­schaft Ein­fluß aus: Die Sur­re­al­is­ten mit ihrer Idee von Traum­bildern waren fasziniert, wie beispiel­sweise der Maler Max Ernst oder auf der lit­er­arischen Seite, André Bre­ton.

Beson­ders sehenswert sind die Maler­büch­er Mirós, hochw­er­tige Aus­gaben in klein­er Auflage, oft auf handgeschöpftem Papi­er gedruckt — vom Schu­ber über den Umschlag bis zu jed­er einzel­nen Buch­seite ein liebevoll-sorgfältiges Gesamtkunst­werk, ent­standen in jahre­langer Zusam­me­nar­beit mit dem Autor. So wurde aus Malerei Poe­sie — fan­tastisch.

Miró war ein lei­den­schaftlich­er Men­sch, der die Ein­flüsse aus sein­er Umwelt auf­sog wie ein Schwamm. So hat­ten ihn die poli­tis­chen Wirren sein­er Zeit eben­so wie die Stu­den­ten­be­we­gun­gen in den Sechzigern sehr bewegt, das set­zte er in seine Bild­sprache um.

Wie geschaf­fen für eine fan­tasievolle Gedanken­reise ist diese Ausstel­lung, nicht nur an einem ver­reg­neten Son­ntag, um diesen zu erhellen, son­dern auch ger­ade, wenn die Sonne scheint, um das Leucht­en noch inten­siv­er genießen zu kön­nen. ¡Muchas gra­cias Miró!

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