Wenn ich Dizzy höre, muss ich grinsen

Der Jazz-Trompeter Nils Wülker wandert zwischen Genregrenzen. Ein Gespräch.

Nils Wülker
Miles ahead: Nils Wülker (Bild: Stefan Albrecht/HHF)

Nils Wülk­er ist ein­er der erfol­gre­ich­sten Jazz-Trompeter der jün­geren Gen­er­a­tion, seine Plat­ten wur­den mit ein­er Fülle von Preisen aus­geze­ich­net. Auf seinem 2015 erschiene­nen Album “Up” (ama­zon Part­ner­link) arbeit­et er mit ver­schiede­nen Kün­stlern aus dem Pop-Busi­ness zusam­men, darunter so unter­schiedliche Musik­er wie der deutsche Soul­sänger Max Mutzke oder der in Hol­ly­wood erfol­gre­iche schot­tis­che Filmkom­pon­ist Craig Arm­strong (“The Great Gats­by”). Das Album ist für den ECHO Jazz 2016 nominiert, der am 26. Mai auf Kamp­nagel ver­liehen wird, live hören kann man ihn einen Tag davor im Ham­burg­er Mojo-Club. Wir trafen Nils Wülk­er in Ham­burg und sprachen mit ihm über Gen­re­gren­zen und den neuen und alten Jazz.

HHF: Du hast lange in Ham­burg gelebt – wie war dein let­ztes Konz­ert hier in der Stadt? Was für ein Pub­likum kommt in einen Club wie das neue Mojo, um deine Musik zu hören? Ein reines Jazz-Pub­likum?

Nils Wülk­er: Es ist eigentlich eine ziem­lich bunt gemis­chte Truppe von Leuten. Solche, die viel Jazz hören und da vielle­icht für sich andere Dinge in der Musik ent­deck­en. Und andere, die sagen, ich war noch nie auf einem Jaz­zkonz­ert, ich wusste nicht, ob das Jazz ist oder kein Jazz, oder ich wusste nicht, dass das über­haupt Jazz ist. Am lieb­sten ist mir eigentlich immer, wenn sich die Leute unvor­ein­genom­men Musik anhören.

HHF:  Es gibt sehr viele unter­schiedliche Auf­fas­sun­gen über Musik­gen­res, immer mehr Sub­gen­res wer­den von Plat­tenin­dus­trie und Musikjour­nal­is­ten definiert. Du hast ein­mal Jazz als den “wahren Crossover” beze­ich­net. Was ist denn “Jazz”? Was bedeutet der Begriff  heute, wo wir so eine Fülle von Stilde­f­i­n­i­tio­nen haben?

Nils Wülk­er: Es gibt natür­lich sehr unter­schiedliche Auf­fas­sun­gen, was Jazz ist, und meine ist die ein­er gewis­sen Hal­tung des Musizierens. Für mich ist Jazz keine abgeschlossene Kun­st­form, die man jet­zt schon irgend­wie ins Muse­um stellen kann. Das kann man unter Umstän­den mit Strö­mungen des Jazz, man kann beispiel­sweise sagen: BeBop, das ist der Sound der 40er und 50er. Meine Wahrnehmung von Jazz ist eigentlich – und darauf spielt das Crossover-Zitat an –, dass es immer eine Musik war, die links und rechts geguckt hat und immer wie ein Schwamm alle möglichen anderen Strö­mungen aufge­so­gen hat.

Ob das jet­zt Cool Jazz oder Miles (Davis) war, der sich har­monisch von Debussy hat inspiri­eren lassen, ob das dann wie in den 50ern kuban­isch war oder in den 60ern Bossa Nova und Third Stream, oder danach Jaz­zRock, oder Hen­drix. Dieses Über-den-eige­nen-Teller­rand-Guck­en ist für mich ganz ele­mentar­er Bestandteil dessen, was Jazz ist. Deswe­gen tue ich mich sel­ber schw­er mit ein­er Hal­tung, die Jazz stärk­er abgren­zt. Aber das ist auch meine Sicht der Dinge, da gibt es kein Richtig und kein Falsch. Wyn­ton Marsalis wird das sich­er anders empfind­en. Aber für mich ist das in der Geschichte des Jazz ver­ankert, das Links- und Rechts-Guck­en ist Bestandteil der Musik.

HHF: Ein bekan­nter Ham­burg­er Jazzmusik­er hat mir in einem Gespräch mal gesagt, Jazzmusik­er seien wegen ihrer Uni­ver­sal­ität auch in anderen Musik­for­men sehr beliebt – »die kön­nen alles«. Ist das ein Wider­spruch?

Nils Wülk­er: Das stimmt, aber das finde ich, ist gar kein Wider­spruch. Für mich ist das mehr ein kom­pos­i­torisch­er Blick­winkel. Das, was er wohl meint, ist: Was bring ich als Instru­me­na­tal­ist mit? Es gibt wahnsin­nig tolle Rock-/Pop-Musik­er, die viel spie­len kön­nen. Jemand kann berührende Musik machen und nicht beson­ders gut Gitarre spie­len, so wie manche Singer/Songwriter, aber im Jazz kommt man, wenn man sein Instru­ment nicht beherrscht, schnell an die Gren­zen der Aus­drucksmöglichkeit­en. Und deswe­gen ist es tat­säch­lich so, dass Jazzmusik­er gut an ihrem Instru­ment sind. Sie spie­len ja auch eine Musikrich­tung, die die Basis von vielem Anderen ist. Jazz hat sowohl Rock und Pop sowie Soul bee­in­flusst, und ich glaube, deswe­gen bringt man da viel mit.

Einen guten Song zu schreiben, hat man trotz­dem nicht automa­tisch drauf, auch wenn man ein guter Jaz­zkom­pon­ist ist. Die Fähigkeit, in Reduk­tion viel zu sagen – kom­pos­i­torisch und vom Über­bau her –, kann man als Jazzmusik­er nicht automa­tisch mitbe­di­enen. Das ist eine Qual­ität für sich, sowohl in der Kom­po­si­tion als auch als Inter­pret. Nur weil jemand ein wahnsin­nig guter und sehr vir­tu­os­er Jaz­zsänger ist, der alles mit sein­er Stimme anfan­gen kann, heißt das noch nicht, dass er beispiel­sweise die »Hurt«-Version von Jon­ny Cash sin­gen kann und man davon Gänse­haut bekommt. Und genau­so kann es vorkom­men, dass jemand, der die Fähigkeit hat, abstrak­te Sachen zu kom­ponieren, nicht zwin­gend eine ein­fache, aber tief­gründi­ge Melodie schreiben kann. Das sind dann doch noch sehr ver­schiedene Dinge.

HHF:  Viele haben den Jazz schon als tot beze­ich­net. Er war nie ganz weg, oder doch? In den let­zten Jahrzehn­ten hat sich vor allem die Pop­musik immer wieder ein­mal geöffnet, ein­er der ersten war möglicher­weise Sting, der mit dem Key­board­er Ken­ny Kirk­land und dem Sax­o­phon­is­ten Bran­ford Marsalis seine Solo-Kar­riere ges­tartet hat. Wenn ich mich recht erin­nere, war das Pub­likum beson­ders bei den Live-Auftrit­ten Mitte der 80er-Jahre regel­recht schock­iert, wenn Ken­ny Kirk­land zu seinen halb­stündi­gen Soli ange­set­zt hat.

Nils Wülk­er: Echt? Es gibt ja das Liveal­bum »Bring on the Night«, das ist eine  totale Stern­stunde, sein Solo.

HHF: Vielle­icht waren die vie­len Police-Fans damals noch etwas über­fordert mit dieser aus­greifend­en Form. Wie hat sich der Weg des Jazz entwick­elt, ist der Jazz reich­er gewor­den durch diese Koop­er­a­tio­nen oder kocht da jed­er wieder seine eigene Suppe? Wie stark sind die Abgren­zun­gen zwis­chen den “Fusion”-Verfechtern und den Vertretern ein­er “reinen” Lehre?

Nils Wülk­er: Ich würde da gar nicht zwei Rich­tun­gen aus­machen wollen, son­dern sagen, dass die Vielfalt mit jedem Jahr zusät­zlich­er Geschichte ein­fach wächst. Eben weil diese Musikrich­tung kon­tinuier­lich links und rechts schaut, nimmt auch die Anzahl der Ein­flüsse zu, das führt zu mehr Vielfalt. Für mich ist das keine Diskrepanz, dass unter dem Ober­be­griff »Jazz« so viele unter­schiedliche Sachen segeln. So wie man jede Menge Epochen unter »Klas­sik« sam­melt, ist es ähn­lich mit dem Jazz – es ist inzwis­chen ein Über­be­griff für sehr, sehr unter­schiedliche Musik. Das Prob­lem in der Kom­mu­nika­tion von »Jazz« ist, dass Leute eine dif­fuse Vorstel­lung davon haben, was Jazz eigentlich ist und denken, das sei eine homo­gene Sache. Da gibt es doch die unter­schiedlich­sten Assozi­a­tio­nen, ob diese Sache dann Dix­ieland ist, oder andere denken, es sei Free-Jazz, und wieder anderen denken, es sei BeBop – ohne es vielle­icht sel­ber so benen­nen zu kön­nen. Die meis­ten Leute sind sich nicht bewusst, dass es diese große Vielfalt gibt. Das ist dann vor allem eine Her­aus­forderung in der Kom­mu­nika­tion über den Jazz.

HHF: Betra­chtet man die erfol­gre­ichen Pro­jek­te der let­zten Jahre, so sind das eher Stil­for­men, die sich “weich­er” präsen­tieren und der Pop­musik geöffnet haben. Der leichtere Ton herrscht vor, man denke an Gre­go­ry Porter oder die Skan­di­navier aus der ACT-Schiene – wir wollen da auch deinen sehr geschmei­di­gen Sound nicht ganz aus­nehmen. Es gab andere Zeit­en, die zupack­endere Stile pflegten, der schon ange­sproch­ene Bebop oder der brodel­nde und wilde Free- Jazz der 60er und 70er. Warum sind die smoothen Sounds ger­ade heute so pop­ulär?

Nils Wülk­er: Das ist gar kein jaz­zspez­i­fis­chen Ding, son­dern ich glaube, dass es Hörge­wohn­heit­en sind. Ich setz mich ja auch nicht am Reißbrett hin, son­dern ich habe auch eine sehr intu­itiv­en Zugang zum Musik-Machen. Meine Empfind­ung war immer schon so, dass ich sehr melodisch motiviert war. Im Pop/Rock ist es wahrschein­lich auch ähn­lich. In Zeit­en von »Bitch­es Brew« (Miles Davis, Anm. d. Red.) klang auch andere Musik anders. Es gab ja auch son­nig-ver­spielte Sachen wie etwa Super­tramp zu der Zeit, lauter kleine Oden. Arvo Pärt klingt halt auch anders als Pierre Boulez. Ich glaube, wahrschein­lich ist es eine ganzheitliche Wahrnehmung der Zeit, es gibt ja diesen Mode­be­griff wie »Suche nach Entschle­u­ni­gung«. Das ist eine Geschichte, die man auch ganz musikalisch sehen kann. Im Pop geht das ja auch eher über »Sound«, Klangver­frem­dun­gen, Elek­tro­n­is­ches, »Kante« passiert dann nicht über rohe Energie, punkmäs­sig, son­dern auf ein­er anderen Ebene.

HHF: Dann gibt es eine Zeit­wahrnehmung, die so etwas braucht, zurückgenom­men aus der alltäglichen Belas­tung her­auszukom­men? Ist das eine Art Welt­flucht?

Nils Wülk­er: Ein Inter­pre­ta­tionsver­such: Ich erin­nere mich ger­ade an ein Gespräch mit Peter Vetesse (»Jethro Tull«), mit dem ich für das Album “Up” zusam­mengear­beit­et, der meinte: »Bei uns war’s so ein­fach – alles was wir gemacht haben, war neu«. Es war damals immer alles geschicht­s­los, und es war sehr leicht, aufzubrechen.

HHF: Und das ist heute angesichts der Vielfalt der Ein­drücke anders?

Nils Wülk­er: Es ist schon schwieriger. Das heisst nicht, dass nicht voll­ständig indi­vidu­elle und neue Dinge passieren kön­nen, aber es ist eine andere Zusam­menset­zung. Es hat nicht mehr die offen­sichtliche Auf­bruch­skraft, wie der Men­sch, der als erster seine Gitarre verz­er­rt oder der erste Syn­the­siz­er eingestöpselt wird – so wie bei Jethro Tull, wo Peter damals auf ein­mal die Syn­thies reinge­bracht hat. Oder HipHop, als der kam, das war etwas, das ganz neu war, oder wahrschein­lich auch Tech­no. Ich hab mal ein Inter­view gele­sen über das Per­cus­sion-Instru­ment »Hang«, das ist so ein biss­chen klangschalen­mäs­sig, aber sehr tonal. Der, der das Instrun­ment spielte, meinte, das Reizvoll­ste für ihn sei, dass das Instru­ment keine Geschichte hat – also das es keine Vor­bilder gibt und nichts, woran man gemessen wird. Ich glaube, dass es zwis­chen den 60ern und 80ern einen Kom­plet­tauf­bruch gab, der heute wesentlich schw­er­er fall­en würde, so dass man sich heute mehr seine exter­nen Ein­flüsse sucht.

HHF: Warten wir auf einen neuen Auf­bruch in der Musik?

Nils Wülk­er: Peter meinte: »Ich benei­de euch nicht darum, wie es ist.” Ich empfinde das nicht als Ein­schränkung. Natür­lich ist es ganz erftrischend, wenn irgend­was kommt, was man sich jet­zt nicht vorstellen kann. Aber das, was ver­meintlich heute im Jazz »Avant­garde« genan­nt wird, ist ja auch keine »Avant­garde« im Wortsinne, wenn man sich über­legt dass Hard­Bop auch nur 10 Jahre vor kom­plett freier Impro­vi­sa­tion stattge­fun­den hat. Das ist aber auch schon wieder 50 Jahre her, dann ist für mich frei zu spie­len auch nicht unbe­d­ingt avant­gardis­tisch.

HHF: Es gibt Band­pro­jek­te im Jazz, die die Tra­di­tio­nen wieder aufnehmen, sie spie­len Stan­dards, also das “Great Amer­i­can Song­book” und brechen gle­ichzeit­ig mit den Tra­di­tio­nen. Ein Beispiel wäre das Flech­sen­har-Trio aus Berlin, das so vielle­icht aus der Tra­di­tions­falle aus­brechen möchte, die andere soge­nan­nte “Retro”-Konzepte eventuell haben …

Nils Wülk­er: Ja, die kenne ich auch. Ich empfinde das gar nicht so sehr als Falle, wenn man authen­tisch seine eigene Strö­mung darin find­et. Das ist vielle­icht auch ein gutes Beispiel, so wie die halt zwei Dinge verbinden, das Amer­i­can Song­book und die 40er Jahre mit was Freiem. Das sind auch zwei Dinge, die es schon gab, und die find­en ihre eigene Verbindung. Man ist auf eine Art sehr frei darin, sich seine Ein­flüsse zu suchen – nicht so wie früher, wenn es hieß, du musst es frei spie­len, oder du durftest nicht frei spie­len.

HHF: Kön­nte man sagen, das Dog­ma­tis­che ist weg?

Nils Wülk­er: Genau, das ist kom­plett weg. Man kann auch musikalisch nicht mehr schock­en. Auf textlich­er Ebene geht das sich­er noch, aber musikalisch, rein mit klan­glich­er Härte, ist alles aus­gereizt. Man wird jet­zt auch nicht wilder wer­den als Peter Brötz­mann. Es wurde schon sehr viel bedi­ent, und jet­zt ist es ein freies Feld, auf dem man sich undog­ma­tisch bewe­gen kann.

HHF: Auf dem aktuellen Album spielst du mit Musik­ern, die teil­weise aus dem Pop-Genre kom­men, manche davon sind rel­a­tiv promi­nent, wie Xavier Naidoo oder die mehrfache Gram­my-Gewin­ner­in Jill Scott – hat­ten die Lust auf Jazz?

Nils Wülk­er: Das hat schon ein wenig Neugierde von deren Seite erfordert, weil das nicht deren Feld ist. Das waren alles Leute, die gerne etwas aus­pro­bieren woll­ten. Und mit allen war es sehr ein­fach. Mit Max Mutzke zum Beispiel war das auch so. Er war der einzige, den ich vorher schon kan­nte, wir haben schon ein­mal zusam­men gespielt. Wir sind musikalisch sehr see­len­ver­wandt.

HHF: Wie waren die Auswahlkri­te­rien für dich, warum mit genau diesen Leuten?

Nils Wülk­er: Ich hab ja jahre­lang die Dinge etwas eigen­bröt­lerisch betrieben, und hat­te bei dem Album mal Lust, für mich den Prozess zu öff­nen. Und dann war es ein­fach wirk­lich so, dass ich Leute, die ich als Sänger schätze, gesucht habe, und dann ein­fach ins Blaue gefragt habe: »Hast du Lust, das mal auszupro­bieren«?« Und dann wollte ich auch gar nicht im Vor­feld die Sit­u­a­tion über­höhen, ich wollte für mich ergeb­nisof­fen in jede Begeg­nung gehen, und sehen, wo es hin geht. Es ist ja nur Musik, und das Schlimm­ste, was passieren kann, ist, das man sich am Ende eines Tage in die Augen schaut und sagt »War nix.«

HHF: Was hat dich an Naidoo gereizt? Die Ver­spieltheit?

Nils Wülk­er: Die Stimme. Das Klang­far­bliche.

HHF: Naidoo ist ja auch ein Sänger, der tech­nis­che Vir­tu­osität und Mod­u­la­tion sehr in den Vorder­grund stellen kann, was ja dur­chaus etwas Artis­tis­ches hat. Wie wichtig ist die Tech­nik für dich? Wie wichtig ist das Instru­ment?

Nils Wülk­er: Das Instru­ment an sich ist nicht so entschei­dend. Klar, es muss funk­tion­ieren, es muss zu mir passen, aber generell ist es so, dass das Instru­ment bei einem Blech­bläs­er eine etwas gerin­gere Rolle spielt. Jedes Instru­ment beste­ht aus einem Klang-Gen­er­a­tor und einem Res­onator. Die Gen­er­a­tor­funk­tion übern­immt bei den meis­ten Instru­menten ein Bauteil des Instru­ments, und bei Blech­bläsern sind’s halt die Lip­pen. Das Instru­ment ist nur Res­onator, das heißt, es ist ohne­hin mehr im Men­schen ver­ankert. Sound, so würde ich sagen, ste­ht für mich an erster Stelle. Das war das Erste was mich fasziniert hat, als ich das erste Mal Miles Davis gehört habe. Ich war kom­plett unb­eleckt, was Jazz betraf, da hat mir jemand die »Kind of Blue« vorge­spielt. Die Inten­sität, die in einem Ton liegen kann, das war es.

HHF: Wenn man Miles Davis live erlebt hat, hat man immer gese­hen, wie er seinen Sound auch räum­lich und kör­per­lich gesucht hat. Das Abwen­den vom Pub­likum, die gebück­te Hal­tung, um einen Ton an ein­er spez­i­fis­chen Stelle zu find­en – wie entschei­dend ist die Kör­per­lichkeit des Spiels für dich?

Nils Wülk­er: Der Motor ist die Atmung, deswe­gen kommt viel aus dem Bauch, Zwer­ch­fel­lat­mung, Brus­traum, aber let­z­tendlich ist es der ganze Kör­p­er, der mitschwingt, resoniert. Trompete zu spie­len, ist auch dadurch, dass man so viel atmet, ein sehr kör­per­lich­es Gefühl. Aber trotz­dem, im Ide­al­fall, wenn alles läuft, fühlt sich das Instru­ment wie eine Erweiterung des Kör­pers an. Das ist dann nicht mehr so, als bedi­ene ich ein Gerät, son­dern ist es dann so, dass man vergißt, was man in der Hand hat. Für das Jaz­zar­tige, das Impro­visieren, das Reagieren, braucht man auch dieses Unmit­tel­bare. Die Trompete ist dann manch­mal ein etwas undankbares Instru­ment, man muss viel für es tun. Man bekommt auch immer wieder vom Instru­ment vorge­führt, wo die Unzulänglichkeit­en sind – dann »bedi­ent« man das Instru­ment wieder mehr, aber im Ide­al­fall ist es so, dass man auf der Bühne ste­ht und das das nur noch ein kör­per­lich­er Akt ist.

HHF: Die Trompete war auch immer ein Showin­stru­ment, man denke an die grossen Namen wie Har­ry James, Satch­mo, Miles Davis, auch der Kol­lege Brön­ner stellt das Enter­tain­ment sehr in den Vorder­grund. Du stehst für einen zurückgenomme­nen Stil, wie erk­lärt sich das?

Nils Wülker
Nils Wülk­er spielt mit sein­er Band am 25. Mai im Ham­burg­er Mojo-Club und am 13. Juli in Tim­men­dor­fer Strand im Rah­men des Schleswig-Hol­stein Musik Fes­ti­vals. (Bild: Ste­fan Albrecht/HHF)

Nils Wülk­er: Das ist eine Typfrage. Miles war als Per­son sehr exaltiert, musikalisch war das ja eher nicht so.

HHF: Und Dizzy Gille­spie?

Nils Wülk­er: Anders. Dizzy war auch so ein Aus­bund an Lebens­freude. Für mich ist das zum Beispiel immer so: Wenn ich Dizzy höre, muss ich grin­sen. Das klingt nach totaler Freude. Es gibt Momente, wo ich sehr vir­tu­os spiele und sehr ener­getisch, das ist aber vor allem von der Musik vorgegeben.

Solche Momente gibt es live, vor ein­er Woche hab ich mit EST Sym­pho­ny und Iiro Ranta­la gespielt, da gibt es Sit­u­a­tio­nen, wo man auch mal richtig »abdrückt«. Das ist für mich kon­textab­hängig, es muss sich aus der Musik her­aus ergeben. Das Strahlende an der Trompete, das war für mich als Kind ein­drucksvoll.

Was das Instru­ment für mich aus­macht, ist, dass man klan­glich eine extrem große Band­bre­ite hat. Du kannst halt dieses strahlende Hero­is­che und auch das Vir­tu­ose machen, das Los­rotzen, aber man kann auch sehr zer­brech­lich, delikat und weich klin­gen. Das ist das, was für mich Trompete aus­macht.

HHF: Vor­bilder – wenn du aus drei großen Trompetern auswählen dürftest: Dizzy Gille­spie, Miles Davis oder Chet Bak­er?

Nils Wülk­er: Chet wird eher häu­figer bei mir assozi­iert, da ist ja auch nix verkehrt dran. Ich hab ihn nie viel gehört, ich hab mit Abstand am meis­ten Miles gehört, nicht so viel die alten Meis­ter. Was mich so richtig ange­sprochen hat, ging am ehesten bei Dizzy und Miles los. Ich hab dann viel Fred­die Hub­bard und Woody Shaw und die Typen gehört, ein­fach wahnsin­ng viel geübt und Soli raus­ge­hört. Ich dachte auch immer, ich will so Fred­die-Hub­bard-mäßig “abdrück­en”, und auch noch während des Studi­ums sehr viel die Rich­tung pro­biert.

Aber ich habe gemerkt, wenn ich nicht darüber nach­denke, was ich spie­len möchte, son­dern die Dinge passieren lasse, dann kommt eben nicht Fred­die dabei rum, son­dern das Lyrische. Und wenn es vir­tu­os wird, live in der Zusam­me­nar­beit mit der Band und über große Bögen hin­weg, dann kommt es vor, dass es ener­getisch wird.

HHF: Inwieweit lässt du dich von anderen Bere­ichen der Kul­tur bee­in­flussen? Eines der Stücke auf der Plat­te heisst “Kelv­in­grove”, ein berühmtes Muse­um in Glas­gow, dein Part­ner bei diesem Song war der erfol­gre­iche Filmkom­pon­ist Craig Arm­strong, der den Sound­track für Baz Luhrmanns Romeo und Julia kom­poniert hat. Das let­zte Album des bel­gis­chen Musik­ers Ozark Hen­ry, mit dem du auch zusam­men gear­beit­et hast, heisst “Para­mount”, auch so eine Fil­mas­sozi­a­tion. In Inter­views mit dir taucht der Begriff “Kopfki­no” auf, also eine Form der bildlichen Imag­i­na­tion. Man kön­nte meinen, dass es eine beson­dere Affinität zu diesem The­ma bei dir gibt?

Nils Wülk­er: Ja. Ich mag Filme sehr, ich bin sel­ber jemand, der sehr assozia­tiv reagiert, auch als Hör­er. Mir ist Atmo­sphäre sehr wichtig und ich glaube, das gener­iert die Musik, die für viele Leute bildlich ist. Es ist nicht so, dass ich mir das vornehme, son­dern das entste­ht durch die Art, wie ich ticke, und dass ich aus Stim­mungen her­aus Musik mache. Dadurch wirkt es bildlich .

Was man viel mit Film assozi­iert, ist so etwas wie »Stim­mungs­dra­maturgie«. Das ist etwas, was ich an Musik sehr schätze, sowohl als Musizieren­der, als auch als Hör­er. Das muss ich mir aber nicht vornehmen, es ist ein­fach meine Art des Musik­machens. Es ist tat­säch­lich so, dass ich das sehr schön finde, wenn Leute assozia­tiv auf Musik reagieren. So sehr ich auch »Songs« liebe, ist es eine hohe Qual­ität von instru­men­taler Musik, dass sie so viel Inter­pre­ta­tions- und Assozi­a­tion­sraum lässt, weil man nicht über die textliche Ebene eine Rich­tung vorgibt.

HHF: Wie wichtig sind denn Texte für dich? Du hast dich ein­mal als “Singer/Songwriter” beze­ich­net.

Nils Wülk­er: Für mich ist das Musikschreiben ver­woben mit dem Musikspie­len. So wie ein Singer/Songwriter für sich die Stücke schreibt, habe auch ich das Gefühl, dass die Art, wie ich spiele, die Art, wie ich schreibe, bee­in­flusst, und ander­sherum. Wohinge­gen sich viele Jazzmusik­er in erster Lin­ie als Inter­pret gese­hen haben, was nicht heißt, dass sie nicht schreiben kon­nten. Aber es ist die Basis, um darauf als Spiel­er glänzen zu kön­nen, für mich hat bei­des den gle­ichen Stel­len­wert und ist eng miteinan­der ver­woben. Insofern füh­le ich mich der Denkweise eines Singer/­Song­writer-Konzepts nah. Musikschreiben ist für mich ein direk­ter, intu­itiv­er Prozeß, beim Tex­ten bin ich darauf angewiesen, das mit jeman­dem zusam­men zu machen.

HHF: Eines der Stücke auf dem Album, dass du zusam­men mit Ozark Hen­ry spielst, heisst “Kaf­ka on the Shore”, nach einem Roman von Haru­ki Muraka­mi. Da klingt schon eine gewichtige Assozi­a­tions­kette an, von Descartes wird da gesprochen und von Spin­oza. Wie sind da die Anteile verteilt zwis­chen Ozark Hen­ry und dir bei so ein­er Kom­po­si­tion?

Nils Wülk­er: Das war textlich seine Idee. Es heißt: Nur weil du dich mit einem Stoff befasst hast, macht dich das nicht zum Philosophen, richtet sich also ein biss­chen humorig gegen »Dünnbret­tbohrer«. Mit dem Gedanken kann ich was anfan­gen. Es war so, dass wir an dem Text zusam­men saßen, und er kam dann am näch­sten Tag zurück und sagte, ich hat­te gestern den total­en Fluß, was hälst du davon? Ich kon­nte mich damit anfre­un­den. Und dann ist es für mich auch gut, es ist Teil des ergeb­nisof­fe­nen Rein­find­ens. Wenn man was zusam­men macht, muss Raum für zwei Indi­viduen bleiben.

HHF: »Play that Fluegel­horn« heißt es dann weit­er in diesem Song – in diesem Sinne: Wir danken für das Gespräch!

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