Ein Glas auf uns und eins auf die See

Wo sind sie, die gro­ßen Schif­fe, die uns in fer­ne Län­der brin­gen? (Bild: HHF)

Es gibt sie, die­se Momen­te, in denen Musik und Lite­ra­tur aufs Schöns­te zusam­men­kom­men. Wo eben nicht gele­sen wird, und dann wird gesun­gen, dann wie­der gele­sen, son­dern wo ein Text und Melo­die nicht nur von der Stim­mung her inein­an­der grei­fen. Ein sol­cher Abend erwar­tet Besu­cher, wenn das Trio Hafen­nacht eV mit sei­nen hoch talen­tier­ten nord­deut­schen Musi­kern auf Autor Kon­rad Lorenz trifft.

Der Logen­saal der Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le bie­tet den pas­sen­den Rah­men mit sei­nen Bis­tro­ti­schen und dem guten Blick auf die Büh­ne. Noch bes­ser wäre eine Hafen­knei­pe, aber viel­leicht wäre das schon wie­der zu viel Lokal­ko­lo­rit. Viel­leicht ist die­se Thea­ter-Kaba­rett-Atmo­sphä­re genau der rich­ti­ge Rah­men, um die Phan­ta­sie zu beflü­geln, in frem­de Wel­ten zu ent­füh­ren. Sehn­suchtsor­te ent­wirft Hafen­nacht eV mit sei­ner Musik, und die wil­de, dre­cki­ge Rea­li­tät der Häfen in aller Welt setzt Lorenz dem mit Pas­sa­gen aus sei­nem Roman »Rohr­kre­pie­rer« entgegen.

Sein Held Kal­le durch­lebt in der Nach­kriegs­zeit eine Jugend auf St. Pau­li, die sich gewa­schen hat. Zwi­schen Zuhäl­tern, See­leu­ten und Klein­bür­gern gibt es aller­hand Aben­teu­er zu erle­ben, aber vor allem das eine gro­ße: der ers­te Kuss, der ers­te Sex, die ers­te Lie­be. Die­se Mäd­chen auf St. Pau­li, die mit ihren dün­nen Bei­nen aus­se­hen wie »komi­sche Vögel« und in Schwär­men auf­tre­ten, kön­nen einem Ham­bur­ger Jung schon das ein oder ande­re Rät­sel auf­ge­ben. Pas­send dazu gibt Sän­ge­rin Uschi Wit­tich eine zer­brech­li­che und ganz unsen­ti­men­ta­le Ver­si­on von Fried­rich Hol­laen­ders »Von Kopf bis Fuß auf Lie­be ein­ge­stellt«. Hin­rei­ßend.

Aber da ist nicht nur Sen­ti­men­ta­li­tät, viel Komik wohnt dem »Rohr­kre­pie­rer« inne, wie dem Leben in Umbruchs­si­tua­tio­nen – wie der Puber­tät – eben immer Komik inne­wohnt. Lorenz schreibt vom »Gam­meln«, dem Tanz, den Held Kal­le in Alten­wer­der – bei den »Jen­sei­ti­gen« am andern Elb­ufer – tanzt, als er sein ers­tes Mäd­chen auf­reißt. Mit hoch­ge­zo­ge­ner Augen­braue lässt Uschi Wit­tich sich zu einer Demons­tra­ti­on auf der Büh­ne über­re­den, und Lorenz lacht sich eins.

Der Text ent­fal­tet sei­nen Reiz erst so rich­tig, wenn Lorenz ihn im Wech­sel »op Platt« und dann wie­der Hoch­deutsch liest. Dabei beweist er durch­aus dra­ma­ti­sches Talent, und so wird bei der Beschrei­bung der unter­schied­li­chen Kuss­ar­ten in Alten­wer­der – vom »Ope­ret­ten­kuss« bis zum »anstän­di­gen Zun­gen­kuss« – inbrüns­tig über den spit­zen Stein gestolpert.

»Beim ers­ten Mal da tuts noch weh»singt Uschi Wit­tich, und die nächs­ten Male übri­gens auch. Die See­män­ner an ihrer Sei­te sind Erk Bra­ren an der Gitar­re, der bei vie­len Lie­dern sei­ne Stim­me unter die Wit­tichs legt, und Hei­ko Quis­torf am Akkor­de­on, der ab und an die Trom­pe­te raus­holt und dann so vol­ler Hin­ga­be damit agiert, dass einem schon mal die Augen trä­nen. Die kon­ge­nia­len Drei sin­gen Lie­der vom Seh­nen und Ver­mis­sen, von der Elbe, die an die Ufer schwappt, vom Los­fah­ren und Heim­kom­men. Da bekommt eine Cover-Ver­si­on ganz eige­ne, neue Töne, und die selbst geschrie­be­nen Lie­der sind so voll von char­man­tem Treib­gut und Melan­cho­lie, dass man davon nicht genug bekommt.

Dazu kommt Lorenz´ spie­le­ri­sche Wort­klau­be­rei in den Tex­ten, roman­tisch und dann immer wie­der mit einem augen­zwin­kern­den Bruch. Wenn er Kal­les Schiff­fahrt über die Elbe schil­dert nach sei­nem ers­ten Mal, dem Schwär­men und der Auf­re­gung, und plötz­lich kommt ein fas­sungs­lo­ses »Ich habe Nackt­kör­per­kul­tur prak­ti­ziert!«, kann sich auch Wit­tich auf ihrem Stuhl am Büh­nen­rand ein Grin­sen nicht ver­knei­fen. Lorenz into­niert mit rau­bei­ni­ger Stim­me »Kann denn Lie­be Sün­de sein?«, Quis­torf haut in die Tas­ten sei­nes Schif­fer­kla­viers, und plötz­lich sind alle im Raum noch­mal Teen­ager und frisch verknallt.

Gran­dio­se Geschich­ten spie­len sich auch in »Tan­te Her­mi­nes« Hafen­knei­pe ab, wo Kal­le zusieht, wie die See­män­ner »Lütt un Lütt« trin­ken, Küm­mel und Bier, und dabei Zoten erzäh­len von Häfen und See. Wit­tich greift zum Mikro und erzählt, dass die­se Bar­frau­en wie Her­mi­ne Han­sen sie fas­zi­nie­ren. Die hät­ten nicht nur aus­ge­schenkt, son­dern hat­ten immer ein offe­nes Ohr, ver­wal­te­ten sogar das Geld der hei­mat­hung­ri­gen See­män­ner. Und dann singt sie »Ich trink dich untern Tisch, da hast du noch nicht ›Prost‹ gesagt«, den Titel­song der neu­en CD »Tre­sen­kö­ni­gin«. Eine gran­dio­se Num­mer ist das, man darf sich auf das Album freuen.

Es nimmt nicht Wun­der, dass Kal­le, obwohl schwer ver­liebt in sei­ne Anna aus Alten­wer­der, zur See fährt. Eine schil­lern­de, ani­ma­lisch-frem­de Welt zeich­net Lorenz, wenn er vom Land­gang in Ecua­dor schreibt. Da gibt es ein »schö­nes Tier«, eine raub­kat­zen­haf­te Frem­de, die auf Frisch­fleisch von den Schif­fen aus ist und sich den jun­gen Kal­le greift. Da geht es nicht nur roman­tisch zu, son­dern dre­ckig, der­be und rau. Da wird gepisst, und im Hafen wer­den die Fische gefüt­tert nach zu viel Rum.

Und genau die­se Mischung aus roman­ti­schem Seh­nen und wil­dem Dreck machen die­sen Abend so schön. Er darf böse sein, sexis­tisch und zart. Er rüt­telt uns aus dem All­tag und zieht uns hin­aus in die wei­te, wil­de Welt. Und das macht er gut und unsen­ti­men­tal und doch so, dass wir hin­aus­ge­hen und nie wie­der in einer Stadt leben wol­len, die kei­nen Hafen hat. Hier kom­men Künst­ler zusam­men, die sich nicht gesucht, aber gefun­den haben. Ein Kon­rad Lorenz, der im »Zwick« dem Trio lausch­te und Uschi Wit­tich den »Rohr­kre­pie­rer« zusteck­te. Und eine Uschi Wit­tich, die sich die Pas­sa­gen zu See­manns­knei­pen im Buch anstrich und Kon­rad Lorenz ein paar Tage spä­ter anrief.

Das nächs­te Mal kann man sie im Okto­ber zusam­men erle­ben, bei einem Bene­fiz-Abend in der St. Pau­li-Kir­che. Bis dahin liest man viel­leicht den Nach­fol­ger »Dwars­läu­fer« über die wil­den 70er-Jah­re auf St. Pau­li, freut sich auf die Hafen­nacht-CD »Tre­sen­kö­ni­gin«, die Ende April erscheint, und hält die Augen offen, ob man sie irgend­wo ein­zeln zu hören und sehen bekommt. Lorenz bei­spiels­wei­se ist am 16. April in der Buch­hand­lung Recht-Ulrich in Barm­bek gemein­sam mit Gitar­rist Hol­ger Nowak zu erle­ben. Und Hafen­nacht spielt am 23. April auf der legen­dä­ren »Hedi« zum Bar­kas­sen­kon­zert auf. Klingt nach dem rich­ti­gen Pro­gramm, um die Oster­hei­lig­keit hin­ter sich zu las­sen. Ahoi!

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