Der Atem

Das neue Album der französischen Musikerin Camille: »Ilo Veyou«

»Die Schönste von allen, von fürstlichem Stand kann Schönres nicht malen ein‘ englische Hand« Photo: Armelie Bouret
»Die Schön­ste von allen, von fürstlichem Stand kann Schön­res nicht malen ein‘ englis­che Hand« Pho­to: Armelie Bouret

Ob Frau, ob Mann, ver­mut­lich jed­er und jede der rund 1.000 Konz­ertbe­such­er in der Ham­burg­er Fab­rik hät­ten sich an diesem Abend mit der jun­gen, ver­schwitzen Frau auf irgendwelchen Lak­en wälzen wollen, die sich ger­ade auf offen­er Bühne in einen Taucher­anzug gequetscht hat­te. Das merk­würdi­ge Büh­nenkostüm diente nur einem Zweck: “Let’s do a kind of Stage div­ing.” Und dann tru­gen die Ham­burg­er die Taucherin Camille Del­mais aus der Halle, auf Hän­den, wie man so sagt.

Tat­säch­lich kennze­ich­net diese Live-Insze­nierung den Antrieb und die Idee der franzö­sis­chen Sän­gerin Camille. Begabt mit eine wand­lungsre­ichen und beherrscht­en Stimme, spielt die inzwis­chen 33-jährige immer wieder mit der Kör­per­lichkeit des musikalis­chen Aus­drucks.

Klänge kom­men bei ihr nie allein aus dem Kopf, aus der Idee, son­dern sind physis­che Gesamt­gestal­tung. Alles ist musikalis­ch­er Klang, sei es die ver­spielte und auch kam­er­awirk­same Body-Per­cus­sion beim Sin­gen oder auch nur ein Schlur­fen beim Gang auf die Bühne. Musik ist dabei sinnliche und ganzkör­per­liche Erfahrung und das führte wohl auch in Ham­burg zur musikero­tis­chen Hingabe des kom­plet­ten Pub­likums.

Und die Taucher­anzug-Episode zeigt den oft­mals skur­rilen Humor dieser Kün­st­lerin, die auch in ihren Tex­ten eine große Liebe zur Erken­nt­nis erweit­ern­den Rei­bung am Absur­den pflegt.

Diese Camille hat ein neues Album gemacht, “Ilo Vey­ou” mit Namen. Was auf den ersten Blick alt­franzö­sisch daherkommt, ist nichts als ein Ana­gramm des immer­währen­den anglo­pho­nen Liebess­chwurs, natür­lich eines der großen The­men des Pop. Das Spiel mit dieser Formel ist eben­so natür­lich, naturgemäß, beze­ich­nend.

Die Keimzelle dieser hin­reißend konzept­freien Werkes ist das Anfangsstück. Es heißt “Aujor d’hui” und zeigt den essen­tiellen und völ­lig unauswe­ich­lichen Weg von Bewe­gung und Sprache, Aus­druck und Ges­tus hin zur Entste­hung des Klangs.

Man hört die Bewe­gung, einen Gang, Schritte, die leichte Atem­losigkeit beim Gehen. Dazu, als Aus­druck des Unmit­tel­baren ein paar schlichte Verse, eigentlich Worte des Augen­blicks: “Aujour d’hui, c’est le plus beau jour, c’est la plus belle vie”. Aus der Atem­losigkeit wird das Fassen des Atems, und aus diesem entste­ht im Moment der Gesang mit allen son­st kul­tiviert beseit­igten Neben­ef­fek­ten, den per­cus­siv­en Plop­pen bei den Lip­pen­laut­en, dem hauchen­den Nach­holen des Luft­stroms, der die Töne erzeugt. Der Hör­er wird Zeuge der Geburt allen men­schlichen Klanges, dabei ist das Lied­chen nicht mal ein Ander­halb­minüter.

Aus diesem Geist schöpft das ganze Album. Wieder und wieder wird darauf die Ver­drehung von Wahrnehmung the­ma­tisiert. Ver­meintlich his­torische Klänge tra­gen merk­würdi­ge Geschicht­en, Augen­blicks­be­tra­ch­tun­gen erzählen in knap­pen Worten und immer wiederkehren­den Phrasen Wel­ter­fas­sung. Stücke wie das bal­laden­hafte daher­plätsch­ernde “Le ban­quet” erzählen groteske Geschicht­en, die aus einem Green­away-Film stam­men kön­nten; ein paar Frauen laden ihren Ver­flosse­nen zu einem Essen ein und servieren dann seinen Penis. Andere ergeben sich in pur­er Laut­malerei wie das wirk­lich komis­che “Bub­ble Lady”, hier wird Sprache an die Ursprünge ihrer Entste­hung zurück­ge­führt, zurück zum Gebrabbel eines Kleinkinds.

Wie sehr diese Sän­gerin ihre Stimme beherrscht, ohne in das Artis­tis­che von Vokalakro­bat­en zu ver­fall­en – man denke an die immer bewun­derungswürdi­gen, aber stets ner­ven­sä­gen­den Scat-Exzesse von Bob­by McFer­rin – zeigt eine kleine Par­o­die. In “La France” ste­ht plöt­zlich in Ges­tus und Stimme die Piaf  wieder auf der Bühne, mit all den Manieris­men, die dieser zur baguet­te­haften Ikone des Franzö­sis­chen schlechthin gewor­de­nen Chanteuse so zu eigen waren. Es ist ein Wiedergänger­tum son­der­gle­ichen, und es ist doch nur Schein. Denn die neue Piaf singt nicht “La vie en rose”, über exis­ten­tial­is­tis­chen Liebess­chmerz und sofort, sie singt die gern gebraucht­en und banalen Platitü­den der heuti­gen Gesellschaft: “la chine exelle dans le tex­tile” und “les anglais ont un humour exquis” – der Refrain jubelt darauf “la France, la France des pho­to­copies …” Man muß diese Sprache nicht fließend sprechen, um in diesen Zeilen die Ergeben­heit des Kon­ser­vatismus an den Euphemis­mus des Ver­gan­genen zu erken­nen. Ele­gan­ter hat wohl kaum jemand diese Verk­lärung je dif­famiert.

Camille: Ilo Vey­ou [Ama­zon Part­ner­link]

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