Wüste Kerle

In »Exit Marrakech«, dem neuesten Film der Oscar-Preisträgerin Caroline Link, wird Nordafrika zum Schauplatz eines Vater-Sohn-Showdowns – so weit, so vorhersehbar

(Bild: canalplus.de)
Der Fremde: Vater (Ulrich Tukur) und Sohn (Samuel Schnei­der) ste­hen sich nicht beson­ders nah (Bild: studiocanal.de)

Wie wird man erwach­sen? Und wann ist ein Mann ein Mann? Bil­dungs­bürg­er­sohn Ben (Samuel Schnei­der) hat so seine eigene To-Do-Liste im Kopf. Die feste Zahnspange muss weg, ein Mäd­chen muss her, und Papa kann dabei nicht mehr mitre­den. Schließlich hat der selb­stver­liebte The­ater­ma­ch­er Hein­rich (Ulrich Tukur) sich auch in den ver­gan­genen 17 Jahren reich­lich wenig um seinen Sohn geküm­mert. Stattdessen hat er mit­tler­weile eine Zweit­fam­i­lie gegrün­det und umgibt sich neben­bei auch noch gerne mit jun­gen Schaus­piel-Groupies.

Aus­gerech­net auf ein­er The­ater-Tour durch Marokko sollen sich Vater und Sohn nun wieder näher kom­men, ein einiger­maßen aus­sicht­slos­es Unter­fan­gen. Ben kann mit Papas “Klas­sik­er­scheiße” näm­lich genau so wenig anfan­gen wie Hein­rich mit Bens Aben­teuer­lust, die ihn schon bald dem kli­ma­tisierten Luxus ein­er ori­en­tal­is­chen Fünf-Sterne-Her­berge über­drüs­sig wer­den lässt. Und dann ist da auch noch Mama (Marie-Lou Sell­em), ange­se­hene Orch­ester­musik­erin, die sich täglich am per Handy nach den Insulin­werten des dia­beteskranken Sohnes erkundigt.

Kein Wun­der, dass Teenag­er Ben irgend­wann auch diese per­ma­nente Funk-Nabelschnur kappt und sich auf­macht ins Herz der Fin­ster­n­is, auf die Suche nach Wüste und Wahrhaftigkeit. Ganz wie die Beat-Poet­en der Fün­fziger Jahre, deren Romane The­ater­mann Hein­rich lieber gepflegt am Hotelpool liest, statt ihren Spuren zu fol­gen (“Ach, Marokko, das ist auch nicht mehr das, was es mal war.”).

Das mit der Zahnspange und mit dem Mäd­chen kommt unter­wegs schon ganz von selb­st: Für Sex im Schup­pen ihrer Groß­mut­ter sorgt die junge Pros­ti­tu­ierte Kari­ma (Haf­sia Herzi), für draht­lose Zähne ein Dorf­bar­bi­er irgend­wo in den marokkanis­chen Bergen. Nur das mit der großen Frei­heit ist schwierig in ein­er Welt, in der Handy­mas­ten noch im entle­gen­sten Gebirgstal ste­hen und selb­st die Wüste zu einem Sand­kas­ten für Fun­sportler gewor­den ist.

In ein­er selt­sam ambiva­len­ten Szene sieht man Ben jubel­nd auf Leih-Skiern einen Hügel hin­unter sur­fen – Ver­leih-Equip­ment, auf dem Weg in die Wüste an jed­er Ecke zu bekom­men wie Berbertep­piche und Kamel­ritte. Die Zivil­i­sa­tion ste­ht eben über­all im Weg, unberührte Fleck­en gibt es nicht mal mehr in der nordafrikanis­chen Prov­inz. Und alle waren schon mal da, von Paul Bowles bis Bernar­do Bertoluc­ci, dessen Filmteam hier vor 23 Jahren den “Him­mel über der Wüste” drehte.

Das ist alles schnit­tig kon­stru­iert, fra­g­los gut gespielt, und in Bilder ver­packt, die alle­samt nicht so ausse­hen, als stammten sie aus dem Fun­dus des marokkanis­chen Touris­mus­büros. Son­dern ihre Sinnlichkeit ger­ade aus dem Kon­trast von Hin­ter­hof-Tristesse und Wüsten­ro­man­tik beziehen. Lei­der bietet die Vater-Sohn-Geschichte dann aber trotz­dem unge­fähr so viele Über­raschun­gen wie der Kan­ti­nen­plan eines Ver­sicherungskonz­erns.

Denn so, wie sich die Charak­tere im Ver­lauf der ersten Filmhälfte ent­fal­ten – der lebenssat­te Vater hier, der leben­shun­grige Sohn dort – ist das wed­er orig­inell noch zeit­gemäß.

Dabei fängt eigentlich alles ganz vielver­sprechend an: Ben ist von Haus aus näm­lich eigentlich nicht der jugendliche Rebell, son­dern Mit­glied ein­er blasierten Nobelin­ter­nats-Clique. Selb­st der Inter­nat­sleit­er Dr. Breuer (in ein­er Gas­trolle: Josef Bier­bich­ler) wun­dert sich über Bens post­pu­bertäres Phleg­ma: “Men­schen, die sich für nichts inter­essieren, sind lang­weilig! Erleb doch mal was!”

Und Hein­rich ist im Gegen­zug kein dom­i­nan­ter und kalter Über-Vater, son­dern eher der typ­is­che Beruf­sju­gendliche aus dem Kul­turbe­trieb, mit dem man dur­chaus auch mal was kif­f­en kön­nte (“Ist aber nicht so meine Droge”). Das wäre doch eigentlich der Stoff, aus dem Vater-Sohn-Kon­flik­te im Jahr 2013 sind: Gen­er­a­tion 50 Plus, geprägt von den Aus­läufern der 68er-Gen­er­a­tion, immer auf der Suche nach Neuem und auf der Flucht vor zu viel Ver­ant­wor­tung, ver­sus Gen­er­a­tion Kuschel auf der Suche nach Liebe und Sicher­heit. Tat­säch­lich singt Ben am ersten Abend lieber ein Schlaflied für seine käu­fliche Dis­co-Bekan­ntschaft Kari­ma, statt ihr an die Wäsche zu gehen. Das ist immer­hin mal was anderes.

Aber bald schon wird die Rol­len­verteilung ermü­dend kon­ven­tionell: ein Duell zwis­chen dem Kun­st-Elfen­bein­turm und dem wahren Leben, das selb­stver­ständlich Eins zu Null für das wahre Leben endet. Und an zu vie­len Stellen legt Ben dabei für einen 17jährigen eine unglaub­würdi­ge Welt­ge­wandtheit an den Tag, die man ihm ein­fach nicht abn­immt. Etwa, wenn der Vater ihm auf der Wüsten­piste – Achtung, Sym­bo­l­ik! —  das Steuer des Jeeps über­lässt und Ben ein­fach drauf los­fährt, als hätte er nie etwas anderes getan. Statt wenig­stens ein Mal spek­takulär den Motor abzuwür­gen.

Das let­zte Drit­tel des Films – vom allzu süßlichen Ende abge­se­hen – ver­söh­nt dann doch ein wenig. Denn als Vater und Sohn in der Ziel­ger­aden des Road­movies vere­int sind, wird es aben­teuer­lich und inten­siv. Nicht nur, weil die Geschichte unver­mei­dlich auf eine lebens­ge­fährliche Sit­u­a­tion neb­st gegen­seit­iger Ret­tung zus­teuert – warum son­st hätte Ben son­st vorher in fast jed­er Szene mit seinem Insulin-Pen herumge­fum­melt? – son­dern weil auf ein­mal das Innen­leben der bei­den so bloß liegt.

Das haben Tukur und Schnei­der näm­lich wirk­lich drauf, dieses unsen­ti­men­tale, leicht kraft­meierische Herumgemän­ner zwis­chen Vater und Sohn. Die zarten Momente, in denen sich die bei­den dann doch noch ein­mal annäh­ern, bevor Ben die Kind­heit endgültig hin­ter sich lässt. Die Augen­blicke von Ehrlichkeit und Eingeständ­nis, väter­lich­er Hun­de­blick und kindliche Ver­let­zlichkeit. Allerd­ings: Eigentlich hat Car­o­line Link es auch drauf, inten­sive, orig­inelle Geschicht­en von Anfang bis Ende zu erzählen. Und das hat sie schon mal bess­er gemacht.

 

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