Lavendel, Oleander …

Auch dieses Jahr gab es wieder so eine Art Jazz-Festival in Hamburg – Eindrücke vom »Elbjazz 2014«

Nur damit werden Handtücher wirklich weich (Bild: © Kadmy - Fotolia.com)

Die let­zten Strahlen der unterge­hen­den Sonne überziehen die Kräne, Hallen und Con­tain­er auf dem Blohm & Voss Gelände mit einem gold­e­nen Schim­mer. Und dann ertönt das alles durch­drin­gende Schiff­shorn der Queen Eliz­a­beth, die sich nur ein paar Meter ent­fer­nt in einem der Docks befind­et. Dies ist ein Moment, den man sicher­lich in einem Buch mit den  “100 ham­bur­gis­chsten Momenten” verewigen würde. Und er war nur den Besuch­ern des Elb­jazz-Fes­ti­vals vergön­nt, da das Blohm & Voss Werft­gelände den Rest des Jahres für die Öffentlichkeit ver­schlossen bleibt.

In und um diese indus­triero­man­tis­che Postkartenkulisse fan­den beim diesjähri­gen Elb­jazz am 23. und 24. Mai 60 Konz­erte auf zehn ver­schiede­nen Büh­nen statt. Dabei wur­den die Gen­re­gren­zen des Jazz aber­mals bis zum Äußer­sten aus­gelotet. Auch wenn dieses Jahr im Line-Up auf bekan­nte Namen aus dem Pop- oder Elek­tron­ik-Bere­ich verzichtet wurde, lässt sich hier der Pop anscheinend vom Jazz nicht lösen. Zumin­d­est nicht, so hat es den Anschein, wenn man den Anspruch ver­fol­gt, eine sehr, sehr bre­ite Masse ansprechen zu wollen.

Auch der Head­lin­er des Fes­ti­vals, Gre­go­ry Porter, ist dur­chaus ein diskus­sion­swürdi­ger Kan­di­dat, wenn es um seine Genre-Zuord­nung geht. Aber, für die Elb­jazz- Ini­tia­toren ist er ein wahres Geschenk, da er derzeit mit dem Etikett “der größte Jazz-Sänger unser­er Zeit” bewor­ben wird, und mit hohen Chart­platzierun­gen und ausverkauften Konz­erten aufwarten kann. Neben den anderen großen wie Namen Hugh Masekela und Dianne Reeves, wird er für viele ein Haup­tan­reiz für den Besuch dieses Fes­ti­vals gewe­sen sein. Sein Auftritt bei Elb­jazz war auf­grund ein­er Unwet­ter­war­nung schon fast in Gefahr …

Die inter­es­san­teren Pro­gramm­punk­te fand man auch in diesem Jahr eher abseits der großen Büh­nen. Neben dem Herzstück des Fes­ti­vals, den drei Büh­nen auf dem Blohm & Voss Gelände, befan­den sich in diesem Jahr die anderen Spielorte auf dem anderen Elbufer  in Nähe der Hafenci­ty und Spe­ich­er­stadt. Es war also wieder Venue-Hop­ping rund um den Ham­burg­er Hafen ange­sagt, per Rad, Bus oder Barkasse.

Dort liegt derzeit am Strand­kai das ehe­ma­lige DDR-Fisch-Fangschiff MS Stub­nitz vor Anker, das schon seit mehreren Jahren als mobil­er Kul­tur-Spielort die Hafen­städte anfährt und die Elb­jazz Besuch­er in den ein­st­ma­li­gen Lager­räu­men und Küh­lka­m­mern empfängt. Eigentlich ist es eine große Blech­büchse, die aber in ihrem Stahlbauch aber mit ein­er erstaunlich guten Akustik und heimeli­gen Atmo­sphäre glänzen kann.

Ben­ny Greb kon­nte am Fre­itag viele junge Men­schen anlock­en, die ihn mit sein­er neue For­ma­tion Mov­ing Parts sehen woll­ten. Er hat sich vor kurz­er Zeit mit den britis­chen Musik­ern Kit Downes am Key­board und Chris Mon­tague an der Gitarre zusam­menge­tan, und tüftelt mit ihnen gemein­sam Sounds aus, die sich zwis­chen klar­er Rhyth­mik und spiel­freudi­gen Impro­vi­sa­tio­nen bewe­gen. Ein begeis­tert­er Konz­ertbe­such­er beze­ich­nete diesen Auftritt danach dur­chaus passend als eine “Gehirn­mas­sage”.

In der Maschi­nen­halle auf dem Blohm & Voss Gelände schraubten die schwedis­chen Gram­my-Preisträger Ton­bruket — auf Deutsch “Klang­w­erk­statt” — Film­musik-taugliche Klang­bilder zusam­men. Ob ange­lockt von der Musik oder der namhaften Zusam­menset­zung des Quar­tetts, u. a. beste­hend aus dem ehe­ma­li­gen e.s.t. Bassis­ten Dan Berglund und dem Sound­track of our Lives Mit­glied Mar­tin Hederos, füllte sich die langge­zo­gene Halle auf ein­mal sehr schnell.

Ton­bruket kon­nten bei den Zuhör­ern Geschicht­en im Kopf entste­hen lassen, zwis­chen Gril­lengezirpe auf dem Land und Ver­fol­gungs­jag­den in der Stadt, melan­cholis­cheren Pas­sagen mit langsamen Solo-Piano Part oder ara­bis­chen Klän­gen. Zwar öffneten sie dabei unter­schiedliche musikalis­che Schubladen, blieben aber immer gefäl­lig und ohne größere Brüche.

Auf erfrischend sper­rige Art und frei von jeglich­er Jazz-Diva-Attitüde, präsen­tierte sich Rebek­ka Bakken nebe­nan an auf der Bühne am Hel­gen. Ganz schlicht in schwarz gek­lei­det, impro­visiert zu den sprö­den Sound­mustern von ihren Begleit­ern Eivind Aarset und Jan Bang. Und das ohne den Zuck­er­guss, den die Songs auf eini­gen ihrer Alben son­st haben. Ein paar wahre Fans blieben dann auch und sie hörten zu, doch die, die gin­gen, hat­ten mit dieser Rebek­ka Bakken so wohl nicht gerech­net.

Ein Szenen­wech­sel fol­gte dann am Abend auf der gle­ichen Bühne. Die Band Dirty Loops  wurde mit Vorschus­s­lor­beeren en masse bedacht –  was es dann am Fre­itagabend auf dieser Bühne zu sehen und hören gab, erin­nerte eher an eine dieser Cover­bands, bei denen die Songs noch ein­mal mit ein­er Extra-Schicht süßem Sirup über­zo­gen wer­den und ihnen noch zusät­zlich ein 80er Jahre-Tun­ing mit Syn­thie-Sounds ver­passt wurde.

Die Anzahl von Youtube-Klick­zahlen ist nun in den meis­ten Fällen nicht äquiv­a­lent mit der musikalis­chen Qual­ität ein­er Band. Und wenn man sich schon einen Charthit wie “Wake me up” anhören muss, dann ist das Orig­i­nal noch immer erträglich­er.

Zu einem ruhigeren Ausklang des Abends kon­nte man sich aber wieder auf die andere Elb­seite in die Haup­tkriche St. Kathari­nen begeben, und Ste­fano Bol­lani bei einem Soloauftritt am Flügel lauschen. Dies ist genau die richtige musikalis­che Unter­malung für diejeni­gen, die gerne ihren Feier­abend entspan­nt mit einem guten Glas Wein beschließen.

Am fol­gen­den Tag stand die opu­lente Haup­torgel von St. Kathari­nen im Mit­telpunkt, die von Daniel Stick­an bespielt wurde, begleit­et von Uwe Stein­metz am Sax­o­fon und Efrat Alonys Gesang.

Das Anliegen des Pro­jek­tes Waves feat. Alony liegt darin, den Jazz in Kirchen zu brin­gen. Und sie schaf­fen eine dur­chaus unge­wohnte Art von Musik, auf die man sich ein­lassen muss und die nicht sofort zugänglich ist.

Aber, das wun­der­same an Konz­erten in Kirchen ist aber, dass die Aura des Ortes allein schon eine beruhi­gende Wirkung auf die Zuschauer hat. Und wenn man sich dann auf diese Klang­welt ein­lässt, kann sie einen ein­hüllen und ihre med­i­ta­tive Wirkung ent­fal­ten. Und das ließ sich auch daran able­sen, dass die Zuhör­er, die nicht gle­ich wieder flüchteten, dieses Konz­ert mit geschlosse­nen Augen erlebten.

Ein weit­er­er Elb­jazz Spielort befand sich im Stage The­ater Kehrwieder in der Spe­ich­er­stadt, in dem eine dur­chaus angenehme Club-Stim­mung herrschte. Auf­grund der Ent­fer­nung zu den anderen Orten lock­te dieser auch wohl nur wirk­lich inter­essierte Hör­er an. Hier kon­nte man am Sam­sta­gnach­mit­tag dem Ham­burg­er Sax­o­fon­is­ten Sebas­t­ian Gille zuhören.

Unter dem Titel Gille‘s Art fea­tur­ing Jim Black, hat er ein fein beset­ztes inter­na­tionales Quar­tett ins Leben gerufen. Jim Black stre­ichelt sein Schlagzeug so behut­sam, dass es summt oder flüstert, und wech­selt dann wieder in einen kraftvollen, treiben­den Rhyth­mus. Zusam­men mit dem Pianis­ten Elias Stemeseder und dem Bassis­ten Jonas West­er­gaard schaukeln sie sich in Lautstärken‑, Tem­pi- und Rhyth­muswech­sel gegen­seit­ig hoch und lassen es zum Schluss ful­mi­nant krachen.

Neben Uli­ta Knaus war Gille der einzige lokale Act, der es ins Haupt­pro­gramm des Elb­jazz geschafft hat­te. Nur lei­der ist es dann etwas ungün­stig, wenn die bei­den Auftritte zur gle­ichen Zeit ange­set­zt waren – Jaz­zs­tadt Ham­burg? Fehlanzeige.

Eliz­a­beth Shep­erd lud am Sam­stag auf der MS Stub­nitz zu san­ften Tönen ein, die sie fein, zurück­hal­tend und doch fluffig mit gut aufeinan­der abges­timmter Rhyth­mus-Sek­tion präsen­tierte. Die Kanadierin bewegte sich mit san­fter Stimme und ihrem pluck­ern­den Nord Piano Sound zwis­chen Stan­dards und Eigenkom­po­si­tio­nen. Auch immer auf der Schwelle zwis­chen Pop und Jazz, aber wer jet­zt “Norah Jones” sagt, muss Nach­sitzen.

Und dann kam es doch, das wilde, ungezügelte Ding zum Fes­ti­val: Als man nach dem Konz­ert aus dem Bauch des Schiffes wieder auf dem Deck auf­tauchte, hat­te sich am Ham­burg­er Him­mel schon etwas zusam­menge­braut, was über­haupt nicht mehr nach Postkarten­wet­ter aus­sah. Und dann ging auf ein­mal nichts mehr. Thalia Zelt und MS Stub­nitz abges­per­rt, der Fahrbe­trieb der Barkassen wurde bis auf weit­eres eingestellt.

Es kam der Regen, auf den viele Besuch­er mit ihrer Klei­der­wahl tat­säch­lich nicht eingestellt waren. Es sucht­en daher viele Zuflucht im kar­gen Unilever Haus, das wie ein Flughafen­ter­mi­nal wirk­te, wenn kurzfristig alle Flüge gestrichen wur­den. Genauere Infos, wie es nun mit dem Pro­gramm weit­erge­hen würde, gab es nur spär­lich. So macht­en bald Gerüchte die Runde, das auch der Auftritt von Gre­go­ry Porter nicht mehr stat­tfind­en könne …

Um 22 Uhr erre­ichte dann die erste Ent­war­nung die Wartenden: Gre­go­ry Porter, der Einzi­gar­tige, der Berühmte – er kon­nte dann statt um 22 Uhr nun erst um 23 Uhr auf der Bühne ste­henl. Auch die blau leuch­t­ende Louisiana Star tauchte wieder auf der Elbe auf und sollte die wartenden Fans über die Elbe brin­gen.

Auf dem schmuck­en Schaufel­rad­dampfer waren den ganzen Sam­stag eben­falls Konz­erte geplant. Doch auch hier wurde das Unwet­ter der Zeit­plan durcheinan­dergewirbelt, die musikalis­che Fahrt­be­gleitung wirk­te wohl dadurch leicht impro­visiert. War das jet­zt der Sound­check, oder hat das Kako Weiss Ensem­ble schon richtig ange­fan­gen?

Wer dann, endlich wieder angekom­men bei Blohm &Voss, nicht den direk­ten Weg zum Schmus­esound der Haupt­bühne fand, wurde von verz­er­rten Gitar­ren­sounds ins Innere der Maschi­nen­bauhalle geso­gen. Zwis­chen ein­er Vielzahl von wun­der­lichen Saiten‑, Tas­ten- und Rhyth­musin­stru­menten waren die vier junge Men­schen der Band Win­ter­gatan auszu­machen.

Mit dieser Band führt Mulitin­stru­men­tal­ist Mar­tin Molin den Sound seines ehe­ma­li­gen Pro­jek­ts Detek­tivbyrån bei dem er schon Akkordeon‑, Glock­en­spiel- und Elek­tro-Sounds miteinan­der ver­wurschtelte, fort. In größer­er Bandbe­set­zung wird daraus ein noch größeres Feuer­w­erk aus unter­schiedlichen Melo­di­en und Sounds, das in keine Gen­re­beze­ich­nung passt, aber ganz bes­timmt kein Jazz ist.

Als sich schon das Gefühl ein­schlich, dass nun allmäh­lich die Luft wirk­lich raus sei, wurde man an der Bühne am Hel­gen von Gab­by Youngoth­er ani­mals noch ein­mal umges­timmt. Die acht Musik­er schmis­sen auf der Bühne erst gegen Mit­ter­nacht die Par­ty­maschiner­ie an, und ani­mierten die Zuschauer zum tanzen und mitsin­gen.

Sän­gerin – oder eher – Ani­ma­teurin Gab­by Young wirk­te dabei mit ihren knall­roten Haaren und dem hin­reißen­den Büh­ne­nout­fit mit Tüll­rüschen und Spitze wie ein stim­mungsaufhel­len­der Far­bklecks, nach den vor­ange­gan­gen Stra­pazen. Musikalisch kann man diese For­ma­tion irgend­wo zwis­chen englis­chem Folk, schrillem Ball­haus­sound und Balkan und noch viel mehr verorten.

Aber, im Grunde ist es ein großes Hap­pen­ing, das ein­fach Spaß macht und auf große Büh­nen gehört. Und wer sich nach dieser Show auf den Heimweg machte, tat dies vielle­icht mit nassen Füßen, aber bes­timmt mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

Mit zeit­genös­sis­chem Jazz und der so lebendi­gen Ham­burg­er Jaz­zszene hat dieses Fes­ti­val allerd­ings nichts zu tun. Diese blüht anscheinend vor­wiegend im Ver­bor­ge­nen, hier erwarten darf man sie wohl nicht, vielle­icht haben sie die Mach­er des “Elb­jazz” auch ein­fach noch nicht gefun­den in den ver­gan­genen vier Jahren.

Vielle­icht sollte man sich auch anders nen­nen. “Smooth­ie-Klänge-im-Hafen-Fes­ti­val” wäre ja auch eine Möglichkeit, dann kann man noch ein paar nor­wegis­che Tenor­sax­o­phon­is­ten mehr ein­laden. Das gefällt dann bes­timmt auch noch mehr Leuten.

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