Leerstück

Roland Schimmelpfennigs neues Drama "Peggy Picket" am Thalia Theater

Oben, am Gelän­der des Mit­tel­rangs hängt eine weiße Neon­skulp­tur. Es ist das “Auge Gottes”, das sich auf jed­er Dol­larnote find­et. Das Ding leuchtet schon, bevor es los­ge­ht, so richtig bekommt man es nicht mit, schließlich hat es das Gros der Zuschauer im Par­kett im Rück­en. Die Bühne ist leer, 4 Acryl­hock­er, eine weiße Decke, Flaschen, ein Brot, ein biss­chen Büh­nen­nebel steigt auf, über dem Geschehen kreist sehr langsam eine über­manns­große Weltkugel. Wil­fried Minks, der Roland Schim­melpfen­nigs jüng­stes Stück “Peg­gy Pick­it sieht das Gesicht Gottes” am Thalia The­ater insze­niert hat, hat als Zadeks und Peter Steins Büh­nen­bilder begonnen, das haben wir nicht vergessen. Karg und arti­fiziell war einst sein Tas­so-Raum, den er für Peter Stein schuf, das war 1968, der “Bre­mer Stil” damals ein The­at­er­aufruhr. Der Mann hat Erfahrung.

Das sieht man allen­thal­ben. Die vier Schaus­piel­er (Oda Thormey­er, Gabriela Maria Schmei­de, Matthias Leja, Tilo Wern­er) sind wirk­lich gute Leute, offen­bar eben­so gut geführt. Die Geschichte ist ein­fach, zwei Paare, alles Medi­zin­er, tre­f­fen sich nach vie­len Jahren wieder, man hat sich lange nicht gese­hen, das eine Paar war als – so heißt das ja in Deutsch­land – “Entwick­lung­shelfer” irgend­wo in Afri­ka, Sahel, Kon­go, wo auch immer. Ihre Fre­unde führen ein sat­uri­ertes, bürg­er­lich­es Leben, haben ein Kind. Es wird viel getrunk­en und gere­det, die Beziehun­gen inner- und außer­halb gek­lärt, Kon­flik­te hier und da, am Ende alles zer­brochen. Die Dialoge sind genau im Tim­ing, fein gemacht und aus­bal­anciert. Das kön­nte also eines dieser Kon­ver­sa­tions- und Beziehungs­dra­men sein, wie sie in den achtziger Jahren ein Lars Norén schuf. Gele­gentlich wird das Ganze ein wenig ver­frem­dend unter­brochen, Kom­mentare gesprochen, Wieder­hol­un­gen einge­baut, da bricht der “mod­erne Autor” Schim­melpfen­nig durch. Das ist alles sauber “vom Blatt” gespielt, der Thalia-Zuschauer goutiert das, sehr schön gemacht. Und, wie heißt sich das so schön? Gefäl­liger Applaus.

Doch, allein, hier irrt der Regis­seur und auch der bere­its sedierte Rezepi­ent. Und zwar gewaltig. Schim­melpfen­nigs Text ist mit­nicht­en ein Kon­ver­sa­tions­dra­ma, die Beziehun­gen und Beziehungs­brüche der Paare sind eben ger­ade nicht der Sko­pos dieses Stücks. Sie dienen vielmehr als eine Art Con­tain­er, als Trans­port­mit­tel für das Anliegen des Autors. Roland Schim­melpfen­nig hat sich der Nöte Afrikas angenom­men, er ist ein moralis­ch­er Autor. Und er meint es ernst.

Das Auge Gottes

Eine der Schlüs­sel­stellen in “Peg­gy Pick­it” ist eine Art Gle­ich­nis­erzäh­lung gegen Ende des Stück­es, ziem­lich plaka­tiv wird da von der gescheit­erten Beziehung zwis­chen einem Europäer/Amerikaner und ein­er Afrikaner­in gere­det – ein Bild für die Unvere­in­barkeit zweier Kul­turkreise, für die Ent­fer­nung und Ent­frem­dung zwis­chen Hil­f­swilli­gen und Hil­f­sopfern. Die Geschichte ist die ein­er Ent­täuschung: “Sag bloß, du hast die Welt gerettet, nur um mich zu beein­druck­en?” – “Das war sehr nett von dir …, aber ehrlich gesagt: Das wird nichts mit uns, ich habe schon einen anderen.” Das ist deut­lich, ob das auf dem The­ater wirk­lich Sinn macht, solche Appelle zu äußern, sei dahingestellt. Aber das ist eine gän­zlich andere Debat­te.
Ob das Stück gut funk­tion­iert, das erzählt dieser Abend nicht. Der arme Tilo Wern­er ste­ht an der Rampe und müht sich redlich, aber er kommt nicht vom Fleck, die Märch­en­erzäh­lung (man kön­nte an dieser Stelle an den eben­so sozial engagierten Büch­n­er denken, wenig­stens ein biss­chen) geht unter im Psy­cho-Par­lan­do-Ton der ganzen Chose. Am Ende ist die Welt der Pro­tag­o­nis­ten kaputt, man müht sich, das zer­schla­gene Geschirr, respek­tive in diesem Fall die Req­ui­siten, zwei Pup­pen, zu flick­en. Da gibt es dann mal ein schönes Bild der Unfähigkeit der West­ler, die Welt ist aus dem Leim und es hil­ft nur trans­par­entes Kle­be­band. Aber das ist nicht ein­mal insze­niert, das ste­ht wortwörtlich im Text. Vom Blatt eben.

Wie es hätte funk­tion­ieren kön­nen, bleibt eine Ver­mu­tung. Aber es ist vorstell­bar, dass eine weitaus kon­se­quentere Abstrak­tion – die sehr aus­bal­ancierte Rhyth­mik des Textes weist schon darauf hin – der darin angelegten Laborkon­struk­tion der Sache gut getan hätte. Aber das ist wirk­lich nur eine The­o­rie. Es gibt also noch etwas zu tun für andere Insze­nierun­gen.

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