Unten am Fluss

Wo man überall »Jazz« draufschreiben kann: Elbjazz 2013 – ein Live-Bericht

Ich sprühs an jede Häuserwand … (Bild: Christian Spahrbier - www.spahrbier.de)
Ich sprühs an jede Häuser­wand … (Bild: Chris­t­ian Spahrbier — www.spahrbier.de)

Die Jahreszeit heißt Früh­ling und ist eigentlich eher wie ein Herb­st. Ein klas­sis­ch­er Pianist spielt Elek­tro-Musik in ein­er Kirche, ein ander­er rappt zum Klavier oder trom­melt mit IKEA-Klobürsten auf die Sait­en seines Instru­ments. Auf einem Werft­gelände, auf dem son­st an Schif­f­en geschraubt wird, wird an Klän­gen geschraubt und es hän­gen riesige glitzernde Dis­cokugeln in Krä­nen.

Das Fes­ti­val, bei dem solche Dinge passieren, nen­nt sich “Elb­jazz” und lockt an einem Mai-Woch­enende wieder Tausende Besuch­er zu einem vor allem bunt gemis­cht­en musikalis­chen Pro­gramm rund um den Ham­burg­er Hafen, zwis­chen Hafenci­ty, Holzhafen und Blohm & Voss-Gelände.

Trotz der musik­stilis­tis­chen Vor­gabe im Namen wurde das Fes­ti­val­pro­gramm dieses Jahr noch weit­er in Rich­tung Pop gerückt. So etwas zieht Leute, die auch unterge­bracht wer­den müssen –  es gibt mehr Spielorte, mehr Büh­nen und mehr  Clubs. Das bedeutet vor allem mehr Wege und lei­der auch nicht immer die Garantie auf Ein­lass, da ger­ade die kleineren Spiel­stät­ten schnell über­füllt sind.

Das Golem gibt in diesem Jahr sein Debüt als Fes­ti­val­bühne, doch das Bild ein­er wartenden Men­schen­traube davor ist der typ­is­che Anblick, der sich dem Elb­jazz-Besuch­er bietet. Was drin­nen passiert, kön­nen nur die weni­gen Glück­lichen erleben, die sich rechtzeit­ig drin­nen einen Platz sich­ern kon­nten. Wie Elb­jazz-Lei­t­erin Tina Heine später am Abend sagt: “Um diese inti­men Momente zu schaf­fen, müssen nun mal ein paar draußen bleiben.” Auch eine Hal­tung.

Die St. Pauli Kirche, die sich auch schon während des Reeper­bahn-Fes­ti­vals als Konz­er­tort mit wun­der­bar­er Akustik und Atmo­sphäre her­vor­tun kon­nte, ist dieses Jahr auch mit von der Par­tie. Dort kann man am frühen Fre­itagabend dem Julia Hüls­man­ns Trio und ihrer Inter­pre­ta­tio­nen von bis­lang unge­sun­genen Kurt Weill Liedern erleben, die mit der Unter­stützung von Sänger Michael Schiefel ziem­lich hin­reißend vor­ge­tra­gen wer­den. Das Atri­um des Holzhafens bietet den atmo­sphärischen Charme ein­er mod­er­nen Hotel­lob­by, so dass Char­lie Wood in dieser Glaskas­ten-Atmo­sphäre am Klavier gegen den Hall ansin­gen und ‑spie­len muss.

Auch die Kapaz­ität der Fis­chauk­tion­shalle kommt am Fre­itag gegen 21 Uhr an ihre Gren­zen. Da wird es unruhig vor den Türen, als eine Traube verärg­ert­er Besuch­er ihrem Ärg­er laut­stark mit “Wir wollen rein“-Rufen und Häm­mern gegen die Fen­ster­scheiben und Eisen­türen Luft macht. Drin­nen wur­den schon früh vor­sor­glich zahlre­iche Stüh­le mit einem beliebi­gen tex­tilen Objekt belegt, damit man sich seines Sitz­platzes sich­er sein kann: Hand­tuchkrieg wie auf den Balearen.

Diese ganze Aufre­gung für diesen einen Mann: Chilly Gon­za­les, der das per­son­ifizierte musikalis­che Cre­do des Elb­jazz zu sein scheint: Ein offen­er, spielerisch­er Umgang mit musikalis­chen Stilen und das Öff­nen mehrerer Schubladen. Bei den Jazzern hieß so etwas früher “Fusion”.

Ein rap­pen­der Pianist mit großen Enter­tain­er-Qual­itäten, der über sich sagt “Ich schaue nach musikalis­chen Regeln, die ich brechen kann”  – und so rappt er auch mal auf einen Walz­er und spielt Beethovens 5. auf Bon­gos (“Respect for Lud­wig van fuck­ing Beethoven”). Während so etwas bei anderen vielle­icht pein­lich wirkt, bringt er die Menge zum Jubeln. Und es funk­tion­iert gen­er­a­tionsüber­greifend: die älteren Zuhör­er schwel­gen in den Klän­gen von Flügel und Stre­icher­be­gleitung — es ist “Sooo schön!” – während er dazu rappt, “I hold a grudge like a rap­per hold­ing his crotch”.

Danach geht es auf einen Abstech­er mit dem Rad durch den Alten Elb­tun­nel auf die andere Elb­seite zum Blohm & Voss-Gelände, wo das eigentliche Herz des Elb­jazz schla­gen soll. Es ist mit­tler­weile 22.45 Uhr und die Maschi­nen­bauhalle ist bis auf den let­zten Platz gefüllt. Auf der Bühne Herr Sorge alias Samy Deluxe mit Klavier­be­gleitung von Flo­ri­an Weber, der Sprechge­sang über irgen­det­was zum The­ma Weltverbesserung dar­bi­etet, so viel kann man auch von weit hin­ten noch erah­nen. Reicht ja auch.

Auf der mit­tleren Bühne “Am Hel­gen” erspielt sich der junge nor­wegis­che Jaz­zsax­o­fon­ist Mar­ius Neset mit seinem Quar­tett eine neue Fange­meinde, während nebe­nan bere­its Pop­jazzer Jamie Cul­lum unüber­hör­bar seine Show begin­nt. Der Head­lin­er des Abends zieht die Menge wieder vor die Haupt­bühne, so geht das eben. Und dazu ein bunter Ham­burg­er Abend­him­mel, der die Lein­wand für eine hüb­sch beleuchtete Indus­triekulisse am Wass­er der Elbe bietet, und dazu so eine Art Jazzband auf der Bühne. Hier spürt man dann doch zum ersten Mal das Flair, den der Name des Fes­ti­vals eigentlich ver­spricht.

Der Fre­itagabend endet weit nach Mit­ter­nacht auf der anderen Seite der Elbe in der Fis­chauk­tion­shalle. An drei ver­schiede­nen Tas­tenin­stru­menten tritt Nils Frahm auf. Das als gemein­samer Act mit Vibra­phon­ist Pas­cal Schu­mach­er angekündigte Set ent­pup­pt sich zur Hälfte dann doch als Soloauftritt.

So liefert Schu­mach­er erst ab dem zweit­en Drit­tel Nils Frahm klan­glich zu, während Frahm den Ton angibt. Ein Höhep­unkt dieses Auftritts ist die per­cus­sion­is­tis­che Ein­lage, bei der sie gemein­sam rhyth­misch den Kor­pus und die Sait­en des Flügels mit zu bil­li­gen Schlegeln umfunk­tion­ierten Klobürsten bear­beit­en. Ein­gelullt vom hyp­no­tisieren­den Klang des Klavier­spiel Frahms, Syn­the­siz­er und Vibraphon kann man schon ein­mal völ­lig die Zeit vergessen, bis ein Tech­niker “10 min­utes left” gut sicht­bar für alle auf dem iPad anzeigt. Mod­erne Zeit­en.

Am Sam­stag sind dann alle Hoff­nun­gen auf einen weit­eren trock­e­nen Elb­jazz-Tag ver­flo­gen – Ham­burg­er Herb­st im Früh­jahr eben, Gum­mistiefel und die Regen­jacke gehören da zur Pflich­taus­rüs­tung. Erst am frühen Abend, zum Ende des Auftritts von Lokalmata­dor Nils Wülk­er, kön­nen die Regen­schirme zum ersten Mal an diesem Tag wieder einge­holt wer­den und die Hände sind wieder frei zum Applaudieren. Tuen sie dann auch.

Bei The Notwist, die danach auf der­sel­ben Bühne “Am Hel­gen“ ste­hen, fühlt man sich dann doch plöt­zlich eher wieder wie auf einem Indiefes­ti­val. Die Band stand zwar schon immer durch Kol­lab­o­ra­tio­nen mit Musik­ern und Anlei­hen in ihrer eige­nen Musik der Jazzmusik nah, doch irgend­wie wirken sie hier etwas fehl am Platz, obwohl sie, Elb­jazz-kom­pat­i­bel, noch eine Bläsersek­tion mit­ge­bracht haben. Aber ein Blick ins Pub­likum zeigt, dass sich hier dann doch eher eine Indie-Hör­erschaft ver­sam­melt hat­te, um ihnen zu lauschen.

Auf der Haupt­bühne haben es der­weil die Blech­bläs­er Ibrahim Mal­oouf oder die quirlige Lake­cia Ben­jamin, trotz ihres son­ni­gen Gemüts, schw­er, eine durchge­frorene Masse zu bewe­gen. Nasse Füße und die Kälte tra­gen dazu bei, dass man nicht so recht in Schwung kom­men will. Und dann gewin­nt auch noch an diesem Abend der falsche Vere­in die Cham­pi­ons League, natür­lich gibt es selb­st hier eine Groß­bildlein­wand.

Zuflucht gegen diese widri­gen Fußball- und Wet­ter­ver­hält­nisse auf dieser Seite der Elbe bietet nur die Maschi­nen­bauhalle. Die lange Werk­shalle scheint end­lose Stuhlrei­hen zu beherber­gen, und ganz am Ende einen kleinen älteren Mann mit Hut und ein­er Trompete, um ihn herum noch ein Flügel, ein Schlagzeug und ein Bass auf der Bühne. Zusam­men das Tomasz Stańko New York Quar­tet, eine echte Jazz-All-Star-Band, konzen­tri­ert, entspan­nt, laid back und exper­i­men­tier­freudig. Der über 70-jährige Stanko, Grand­seigneur des europäis­chen Jazz, tritt sel­ber häu­fig zurück, um sein­er jun­gen Rhyth­mus­gruppe Raum zu geben – “no Rain” in diesem Moment.

Bei den vier schwarz gek­lei­de­ten smarten Briten Get The Bless­ing, die danach diese Bühne bespie­len, springt der Funke dann aber wieder nicht so recht über. Irgend­wie zu kühl, dis­tanziert und zu wis­senschaftlich, verkopft ist deren Auftritt. Also heißt es Abschied nehmen vom Blohm & Voss-Gelände und mit ein­er Barkasse wieder ans andere Ufer über­set­zen. Als der Regen wieder ein­set­zen will, erweist sich die St.Pauli Kirche als heimeliger Zuflucht­sort, der einen mit den let­zten Klän­gen von Nils Wogram mit Simon Naba­tov und wohltuen­der Wärme empfängt. Schade, davon hätte man jet­zt doch noch mehr hören wollen.

Doch Pianist Francesco Tris­tano war dort noch für ein spätes Solos­et im Pro­gramm angekündigt. Bere­its einen Tag zuvor war er zusam­men mit Bachar Kahlifé und Pas­cal Schu­mach­er als Jazz-Trio aufge­treten, so ist die Erwartung der Zuschauer nun natür­lich hoch. Als dann die ersten Rei­hen ihre Stüh­le räu­men sollen, um Platz zum Tanzen zu schaf­fen, und auf der Bühne kein Flügel, son­dern elek­tro­n­is­che Gerätschaften aufge­baut wer­den, weiß man spätestens, dass es ganz anders kom­men wird.

Der 31jährige Tris­tano wan­delt zwis­chen den Wel­ten der Klas­sik, Jazz und der elek­tro­n­is­chen Musik und schafft immer wieder Verbindun­gen dazwis­chen. Als dann der tiefe Bass­rhyth­mus wum­mernd ein­set­zt, kann man sich entwed­er auf den Rück­zug begeben oder sich die Kälte des Tages noch aus den Gum­mistiefeln tanzen. Ein klas­sis­ch­er Pianist, der mit Elek­tro­musik eine Kirche zu einem Elek­tro-Club ver­wan­delt, yeah! Wer da seine Hem­mungen und Vorurteile gegenüber dieser Art von Musik fall­en lässt, hat hier auf jeden Fall noch etwas Spaß.

Ein Früh­ling kann eben auch ein Herb­st sein und das Label “Jazz” passt anscheinend über­all irgend­wie drauf: “It Don’t Mean a Thing, If It Ain’t Got That Swing”.

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