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KantWasIstAufklärung
Ver­standen? (Bild: Wiki­me­dia Com­mons)

AUFKLÄRUNG ist der Aus­gang des Men­schen aus sein­er selb­stver­schulde­ten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unver­mö­gen, sich seines Ver­standes ohne Leitung eines anderen zu bedi­enen. Selb­stver­schuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache der­sel­ben nicht am Man­gel des Ver­standes, son­dern der Entschließung und des Mutes liegt, sich sein­er ohne Leitung eines andern zu bedi­enen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eige­nen­Ver­standes zu bedi­enen! ist also der Wahlspruch der Aufk­lärung.

Faul­heit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Men­schen, nach­dem sie die Natur längst von fremder Leitung freige­sprochen [A482] (nat­u­raliter maiorennes), den­noch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vor­mün­dern aufzuw­er­fen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Ver­stand hat, einen Seel­sorg­er, der für mich Gewis­sen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selb­st zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere wer­den das ver­drießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weit­em größte Teil der Men­schen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschw­er­lich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sor­gen schon jene Vor­mün­der, die die Ober­auf­sicht über sie gütigst auf sich genom­men haben. Nach­dem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig ver­hüteten, daß diese ruhi­gen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gän­gel­wa­gen, darin sie sie einsper­reten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nach­her die Gefahr, die ihnen dro­het, wenn sie es ver­suchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie wür­den durch einige­mal Fall­en wohl endlich gehen ler­nen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Ver­suchen ab.

Es ist also für jeden einzel­nen Men­schen schw­er, sich aus der ihm beina­he zur Natur gewor­de­nen Unmündigkeit [A483] her­auszuar­beit­en. Er hat sie sog­ar liebge­won­nen und ist vorder­hand wirk­lich unfähig, sich seines eige­nen Ver­standes zu bedi­enen, weil man ihn niemals den Ver­such davon machen ließ. Satzun­gen und Formeln, diese mech­a­nis­chen Werkzeuge eines vernün­fti­gen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs sein­er Natur­gaben, sind die Fußschellen ein­er immer­währen­den Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde den­noch auch über den schmalesten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu der­gle­ichen freier Bewe­gung nicht gewöh­nt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelun­gen ist, durch eigene Bear­beitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit her­auszuwick­eln und den­noch einen sicheren Gang zu tun.

Daß aber ein Pub­likum sich selb­st aufk­läre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Frei­heit läßt, beina­he unaus­bleib­lich. Denn da wer­den sich immer einige Selb­st­denk­ende, sog­ar unter den einge­set­zten Vor­mün­dern des großen Haufens find­en, welche, nach­dem sie das Joch der Unmündigkeit selb­st abge­wor­fen haben, den Geist ein­er vernün­fti­gen Schätzung des eige­nen Werts und des Berufs jedes Men­schen, selb­st zu denken, um sich ver­bre­it­en wer­den. Beson­ders ist hiebei: daß das Pub­likum, welch­es zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht wor­den, sie her­nach selb­st zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von eini­gen sein­er Vor­mün­der, die selb­st aller Aufk­lärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt [A484] wor­den; so schädlich ist es, Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zulet­zt an denen selb­st rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urhe­ber gewe­sen sind. Daher kann ein Pub­likum nur langsam zur Aufk­lärung gelan­gen. Durch eine Rev­o­lu­tion wird vielle­icht wohl ein Abfall von per­sön­lichem Despo­tism und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrück­ung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zus­tande kom­men; son­dern neue Vorurteile wer­den, eben­sowohl als die alten, zum Leit­bande des gedanken­losen großen Haufens dienen.

Zu dieser Aufk­lärung aber wird nichts erfordert als Frei­heit; und zwar die unschädlich­ste unter allem, was nur Frei­heit heißen mag, näm­lich die: von sein­er Ver­nun­ft in allen Stück­en öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seit­en rufen: Räson­niert nicht! Der Offizier sagt: Räson­niert nicht, son­dern exerziert! Der Finanzrat: Räson­niert nicht, son­dern bezahlt! Der Geistliche: Räson­niert nicht, son­dern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: Räson­niert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!) Hier ist über­all Ein­schränkung der Frei­heit. Welche Ein­schränkung aber ist der Aufk­lärung hin­der­lich, welche nicht, son­dern ihr wohl gar beförder­lich? – Ich antworte: Der öffentliche Gebrauch sein­er Ver­nun­ft muß jed­erzeit frei sein, und der allein kann Aufk­lärung unter Men­schen zus­tande [A485] brin­gen; der Pri­vat­ge­brauch der­sel­ben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufk­lärung son­der­lich zu hin­dern. Ich ver­ste­he aber unter dem öffentlichen Gebrauche sein­er eige­nen Ver­nun­ft den­jeni­gen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Pub­likum der Leser­welt macht. Den Pri­vat­ge­brauch nenne ich den­jeni­gen, den er in einem gewis­sen ihm anver­traut­en bürg­er­lichen Posten oder Amte von sein­er Ver­nun­ft machen darf. Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Inter­esse des gemeinen Wesens laufen, ein gewiss­er Mech­a­nism notwendig, ver­mit­telst dessen einige Glieder des gemeinen Wesens sich bloß pas­siv ver­hal­ten müssen, um durch eine kün­stliche Ein­hel­ligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zweck­en gerichtet oder wenig­stens von der Zer­störung dieser Zwecke abge­hal­ten zu wer­den. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räson­nieren; son­dern man muß gehorchen. Sofern sich aber dieser Teil der Mas­chine zugle­ich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sog­ar der Welt­bürg­erge­sellschaft ansieht, mithin in der Qual­ität eines Gelehrten, der sich an ein Pub­likum im eigentlichen Ver­stande durch Schriften wen­det, kann er allerd­ings räson­nieren, ohne daß dadurch die Geschäfte lei­den, zu denen er zum Teile als pas­sives Glied ange­set­zt ist. So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwas anbe­fohlen wird, im Dien­ste [A486] über die Zweck­mäßigkeit oder Nüt­zlichkeit dieses Befehls laut vernün­fteln wollte; er muß gehorchen. Es kann ihm aber bil­liger­maßen nicht ver­wehrt wer­den, als Gelehrter über die Fehler im Krieges­di­en­ste Anmerkun­gen zu machen und diese seinem Pub­likum zur Beurteilung vorzule­gen. Der Bürg­er kann sich nicht weigern, die ihm aufer­legten Abgaben zu leis­ten; sog­ar kann ein vor­witziger Tadel solch­er Aufla­gen, wenn sie von ihm geleis­tet wer­den sollen, als ein Skan­dal, (das all­ge­meine Wider­set­zlichkeit­en ver­an­lassen kön­nte), bestraft wer­den. Eben­der­selbe han­delt demohngeachtet der Pflicht eines Bürg­ers nicht ent­ge­gen, wenn er als Gelehrter wider die Unschick­lichkeit oder auch Ungerechtigkeit solch­er Auss­chrei­bun­gen öffentlich seine Gedanken äußert. Eben­so ist ein Geistlich­er ver­bun­den, seinen Kat­e­chis­muss­chülern und sein­er Gemeine nach dem Sym­bol der Kirche, der er dient, seinen Vor­trag zu tun, denn er ist auf diese Bedin­gung angenom­men wor­den. Aber als Gelehrter hat er volle Frei­heit, ja sog­ar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeinen­den Gedanken über das Fehler­hafte in jen­em Sym­bol und Vorschläge wegen besser­er Ein­rich­tung des Reli­gions- und Kirchen­we­sens dem Pub­likum mitzuteilen. Es ist hiebei auch nichts, was dem Gewis­sen zur Last gelegt wer­den kön­nte. Denn was er zufolge seines Amts als Geschäft­träger der Kirche lehrt, das stellt er als etwas vor, in Anse­hung [A487] dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigen­em Gut­dünken zu lehren, son­dern das er nach Vorschrift und im Namen eines andern vorzu­tra­gen angestellt ist. Er wird sagen: unsere Kirche lehrt dieses oder jenes; das sind die Beweis­gründe, deren sie sich bedi­ent. Er zieht als­dann allen prak­tis­chen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzun­gen, die er selb­st nicht mit voller Überzeu­gung unter­schreiben würde, zu deren Vor­trag er sich gle­ich­wohl anheis­chig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, daß darin Wahrheit ver­bor­gen läge, auf alle Fälle aber wenig­stens doch nichts der innern Reli­gion Wider­sprechen­des darin angetrof­fen wird. Denn glaubte er das let­ztere darin zu find­en, so würde er sein Amt mit Gewis­sen nicht ver­wal­ten kön­nen; er müßte es nieder­legen. Der Gebrauch also, den ein angestell­ter Lehrer von sein­er Ver­nun­ft vor sein­er Gemeinde macht, ist bloß ein Pri­vat­ge­brauch, weil diese immer nur eine häus­liche, obzwar noch so große Ver­samm­lung ist; und in Anse­hung dessen ist er als Priester nicht frei und darf es auch nicht sein, weil er einen frem­den Auf­trag aus­richtet. Dage­gen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Pub­likum, näm­lich der Welt spricht, mithin der Geistliche im öffentlichen Gebrauche sein­er Ver­nun­ft, genießt ein­er uneingeschränk­ten Frei­heit, sich sein­er eige­nen Ver­nun­ft zu bedi­enen und in sein­er eige­nen Per­son zu sprechen. Denn daß die Vor­mün­der des Volks [A488] (in geistlichen Din­gen) selb­st wieder unmündig sein sollen, ist eine Ungereimtheit, die auf Verewi­gung der Ungereimtheit­en hin­aus­läuft.

Aber sollte nicht eine Gesellschaft von Geistlichen, etwa eine Kirchen­ver­samm­lung oder eine ehrwürdi­ge Clas­sis (wie sie sich unter den Hol­län­dern selb­st nen­nt), berechtigt sein, sich eidlich auf ein gewiss­es unverän­der­lich­es Sym­bol zu verpflicht­en, um so eine unaufhör­liche Ober­vor­mund­schaft über jedes ihrer Glieder und ver­mit­telst ihrer über das Volk zu führen und diese so gar zu verewigen? Ich sage: das ist ganz unmöglich. Ein solch­er Kon­trakt, der auf immer alle weit­ere Aufk­lärung vom Men­schengeschlechte abzuhal­ten geschlossen würde, ist schlech­ter­d­ings null und nichtig; und sollte er auch durch die ober­ste Gewalt, durch Reich­stage und die feier­lich­sten Friedenss­chlüsse bestätigt sein. Ein Zeital­ter kann sich nicht ver­bün­den und darauf ver­schwören, das fol­gende in einen Zus­tand zu set­zen, darin es ihm unmöglich wer­den muß, seine (vornehm­lich so sehr angele­gentliche) Erken­nt­nisse zu erweit­ern, von Irrtümern zu reini­gen und über­haupt in der Aufk­lärung weit­erzuschre­it­en. Das wäre ein Ver­brechen wider die men­schliche Natur, deren ursprüngliche Bes­tim­mung ger­ade in diesem Fortschre­it­en beste­ht; und die Nachkom­men sind also vol­lkom­men dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als unbefugter und frev­el­hafter Weise genom­men, zu ver­w­er­fen. Der Pro­bier­stein [A489] alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen wer­den kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selb­st wohl ein solch­es Gesetz aufer­legen kön­nte? Nun wäre dieses wohl, gle­ich­sam in der Erwartung eines bessern, auf eine bes­timmte kurze Zeit möglich, um eine gewisse Ord­nung einzuführen: indem man es zugle­ich jedem der Bürg­er, vornehm­lich dem Geistlichen, frei ließe, in der Qual­ität eines Gelehrten öffentlich, d. i. durch Schriften, über das Fehler­hafte der der­ma­li­gen Ein­rich­tung seine Anmerkun­gen zu machen, indessen die einge­führte Ord­nung noch immer fort­dauerte, bis die Ein­sicht in die Beschaf­fen­heit dieser Sachen öffentlich so weit gekom­men und bewähret wor­den, daß sie durch Vere­ini­gung ihrer Stim­men (wen­ngle­ich nicht aller) einen Vorschlag vor den Thron brin­gen kön­nte, um diejeni­gen Gemein­den in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begrif­f­en der besseren Ein­sicht zu ein­er verän­derten Reli­gion­sein­rich­tung geeinigt hät­ten, ohne doch diejeni­gen zu hin­dern, die es beim alten woll­ten bewen­den lassen. Aber auf eine behar­rliche, von nie­man­den öffentlich zu bezweifel­nde Reli­gionsver­fas­sung auch nur bin­nen der Lebens­dauer eines Men­schen sich zu eini­gen, und dadurch einen Zeitraum in dem Fort­gange der Men­schheit zur Verbesserung gle­ich­sam zu ver­nicht­en und frucht­los, dadurch aber wohl gar der Nachkom­men­schaft nachteilig zu machen ist schlech­ter­d­ings uner­laubt. Ein Men­sch kann zwar für seine Per­son [A490] und auch als­dann nur auf einige Zeit in dem, was ihm zu wis­sen obliegt, die Aufk­lärung auf­schieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Per­son, mehr aber noch für die Nachkom­men­schaft, heißt die heili­gen Rechte der Men­schheit ver­let­zen und mit Füßen treten. Was aber nicht ein­mal ein Volk über sich selb­st beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein geset­zgeben­des Anse­hen beruht eben darauf, daß er den gesamten Volk­swillen in dem seini­gen vere­inigt. Wenn er nur darauf sieht, daß alle wahre oder ver­meinte Verbesserung mit der bürg­er­lichen Ord­nung zusam­menbeste­he, so kann er seine Unter­ta­nen übri­gens nur selb­st machen lassen, was sie um ihres See­len­heils willen zu tun nötig find­en; das geht ihn nichts an, wohl aber zu ver­hüten, daß nicht ein­er den andern gewalt­tätig hin­dere, an der Bes­tim­mung und Beförderung des­sel­ben nach allem seinen Ver­mö­gen zu arbeit­en. Es tut selb­st sein­er Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mis­cht, indem er die Schriften, wodurch seine Unter­ta­nen ihre Ein­sicht­en ins reine zu brin­gen suchen, sein­er Regierungsauf­sicht würdigt, sowohl wenn er dieses aus eigen­er höch­sten Ein­sicht tut, wo er sich dem Vor­wurfe aus­set­zt: Cae­sar non est supra gram­mati­cos, als auch und noch weit mehr, wenn er seine ober­ste Gewalt soweit erniedrigt, den geistlichen Despo­tism einiger Tyran­nen [A491] in seinem Staate gegen seine übri­gen Unter­ta­nen zu unter­stützen.

Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jet­zt in einem aufgek­lärten Zeital­ter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeital­ter der Aufk­lärung. Daß die Men­schen, wie die Sachen jet­zt ste­hen, im ganzen genom­men, schon imstande wären oder darin auch nur geset­zt wer­den kön­nten, in Reli­gions­din­gen sich ihres eige­nen Ver­standes ohne Leitung eines andern sich­er und gut zu bedi­enen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, daß jet­zt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bear­beit­en und die Hin­dernisse der all­ge­meinen Aufk­lärung oder des Aus­ganges aus ihrer selb­stver­schulde­ten Unmündigkeit allmäh­lich weniger wer­den, davon haben wir doch deut­liche Anzeigen. In diesem Betra­cht ist dieses Zeital­ter das Zeital­ter der Aufk­lärung oder das Jahrhun­dert FRIEDERICHS.

Ein Fürst, der es sein­er nicht unwürdig find­et zu sagen, daß er es für Pflicht halte, in Reli­gions­din­gen den Men­schen nichts vorzuschreiben, son­dern ihnen darin volle Frei­heit zu lassen, der also selb­st den hochmüti­gen Namen der Tol­er­anz von sich ablehnt, ist selb­st aufgek­lärt und ver­di­ent von der dankbaren Welt und Nach­welt als der­jenige gepriesen zu wer­den, der zuerst das men­schliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenig­sten von seit­en der Regierung, entschlug und jedem frei ließ, sich [A492] in allem, was Gewis­sensan­gele­gen­heit ist, sein­er eige­nen Ver­nun­ft zu bedi­enen. Unter ihm dür­fen verehrungswürdi­ge Geistliche, unbeschadet ihrer Amt­spflicht, ihre vom angenomme­nen Sym­bol hier oder da abwe­ichen­den Urteile und Ein­sicht­en in der Qual­ität der Gelehrten frei und öffentlich der Welt zur Prü­fung dar­legen; noch mehr aber jed­er andere, der durch keine Amt­spflicht eingeschränkt ist. Dieser Geist der Frei­heit bre­it­et sich auch außer­halb aus, selb­st da, wo er mit äußeren Hin­dernissen ein­er sich selb­st mißver­ste­hen­den Regierung zu rin­gen hat. Denn es leuchtet dieser doch ein Beispiel vor, daß bei Frei­heit für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen Wesens nicht das min­deste zu besor­gen sei. Die Men­schen arbeit­en sich von selb­st nach und nach aus der Rohigkeit her­aus, wenn man nur nicht absichtlich kün­stelt, um sie darin zu erhal­ten.

Ich habe den Haupt­punkt der Aufk­lärung, d. i. des Aus­ganges der Men­schen aus ihrer selb­stver­schulde­ten Unmündigkeit, vorzüglich in Reli­gion­ssachen geset­zt, weil in Anse­hung der Kün­ste und Wis­senschaften unsere Beherrsch­er kein Inter­esse haben, den Vor­mund über ihre Unter­ta­nen zu spie­len, über­dem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlich­ste, also auch die entehrend­ste unter allen ist. Aber die Denkungsart eines Staat­sober­haupts, der die erstere begün­stigt, geht noch weit­er und sieht ein: daß selb­st in Anse­hung sein­er Geset­zge­bung [A493] es ohne Gefahr sei, seinen Unter­ta­nen zu erlauben, von ihrer eige­nen Ver­nun­ft öffentlichen Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfas­sung der­sel­ben, sog­ar mit ein­er freimüti­gen Kri­tik der schon gegebe­nen, der Welt öffentlich vorzule­gen; davon wir ein glänzen­des Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch dem­jeni­gen vorg­ing, welchen wir verehren.

Aber auch nur der­jenige, der, selb­st aufgek­lärt, sich nicht vor Schat­ten fürchtet, zugle­ich aber ein wohld­iszi­plin­iertes zahlre­ich­es Heer zum Bür­gen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, – kann das sagen, was ein Freis­taat nicht wagen darf: Räson­niert, soviel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein befremdlich­er, nicht erwarteter Gang men­schlich­er Dinge; sowie auch son­st, wenn man ihn im großen betra­chtet, darin fast alles para­dox ist. Ein größer­er Grad bürg­er­lich­er Frei­heit scheint der Frei­heit des Geistes des Volks vorteil­haft und set­zt ihr doch unüber­stei­gliche Schranken; ein Grad weniger von jen­er ver­schafft hinge­gen diesem Raum, sich nach allem seinen Ver­mö­gen auszubre­it­en. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlich­sten sorgt, näm­lich den Hang und Beruf zum freien Denken, aus­gewick­elt hat: so wirkt dieser allmäh­lich zurück auf die Sin­nesart des Volks, (wodurch dies der Frei­heit zu han­deln [A494] nach und nach fähiger wird), und endlich auch sog­ar auf die Grund­sätze der Regierung, die es ihr selb­st zuträglich find­et, den Men­schen, der nun mehr als Mas­chine ist, sein­er Würde gemäß zu behandeln.¹

Königs­berg in Preußen, den 30. Sep­temb. 1784. I. Kant.

(Quelle: http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm)

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