Aber unser Garten muss bestellt werden

In der Gegenwart angekommen – Ildiko von Kürthys Unterhaltungsroman "Sternschanze"

All die net­ten jun­gen Leute (Bild: Thomas Panzer/fotografieren.net)

Brauch­tum und Über­liefer­ung heimis­ch­er Sit­ten und Gebräuche ver­mutet der zeit­genös­sis­che Metrop­o­list in der Regel bei nieder­säch­sis­chen Schützen­festen und beim bay­erischen Bauernthe­ater; der Begriff der “Folk­lore” ist ihm so fremd wie ein Gams­bart. Auch im Unter­hal­tungsro­man, branchen­in­tern “Com­mer­cial Fic­tion” genan­nt, glaubt man sich weit ent­fer­nt von der Nar­ra­tion des All­t­ags, ein­er kon­servieren­den Auf­be­wahrung von Sit­ten und Gebräuchen.

Dabei ist die an starre Erzählmuster gewöh­nte lit­er­arische Gat­tung, deren Haupt­in­ter­esse in der Über­tra­gung nachvol­lziehbar­er Leben­shin­dernisse in eine fik­tionale Umge­bung beste­ht, stets näher am soge­nan­nten Zeit­geist als gemein­hin denken mag. Für gewöhn­lich sind die Pro­tag­o­nistin­nen – Fig­uren wie Ziel­gruppe sind vornehm­lich weib­lich – patente Spiegel­bilder ihrer Adres­satin­nen.

Sie pla­gen die Sor­gen ihrer frauen­magazingestählten Leser­schaft, von der Cel­lulite bis zur Jojo-Diät, immer getrieben von der Angst, den “Richti­gen” find­en zu müssen. Auch die Heldin in Ildiko von Kürthys “Stern­schanze”, einem Buch, dessen grässlich­es Art­work – vio­lette Sternchen allüber­all, selb­st im Satzspiegel gele­gentlich eingestreut – seines­gle­ichen sucht, ist so ein Exem­plar aus dem Iden­ti­fika­tion­ss­chrank.

Sie heisst Nico­la, lässt sich “Nik­ki” nen­nen, das gibt dem ganzen einen frecheren Touch, ist so alt wie die Leserin­nen, natür­lich rel­a­tiv unsortiert wie wir alle mal, und passt irgend­wie nicht in die sie umgebende Gesellschaft.

Das macht es ein­fach, sie als erzäh­lende Part­ner­in ernst zu nehmen. Natür­lich hat sie, wie alle Frauen in der “Brigitte” oder sonst­wo, eine beste Fre­undin mit dem nor­malen und und unfrechen Namen Bir­git, die schon da angekom­men ist, wo man ankom­men muss, mit Kindern, Küche und Lieb­haber. Dabei ist sie in all ihrer Bürg­er­lichkeit vol­lkom­men unprä­ten­tiös, und, wichtig, trägt das Herz auf dem recht­en Fleck.

Fern­er gibt es die dick­lich-schrille Tucke mit Migra­tionsh­in­ter­grund (“Erdal”), die die Heldin aus der ver­meintlichen Gosse aufli­est und eine Menge amoureuser Capri­cen aller beteiligten Fig­uren und dazu noch eine posta­doleszente Eltern­abar­beitung.

Diese Mech­a­nis­men sind notwendig für die Ausweitung des Iden­ti­fika­tion­srah­mens und zur Zielo­ri­en­tierung. Das Per­son­al bewegt sich ziel­sich­er durch all die Fährnisse des Lebens, die einem so wider­fahren kön­nen, Tren­nung, Milieuwech­sel, Ver­söh­nung. Es ver­lässt sie bei aller Widrigkeit ihrer “Edu­ca­tion Sen­ti­men­tale” nie die ger­adezu man­is­che Ori­en­tierung nach dem per­sön­lichen Glück. Sie sind Geschwis­ter Can­dides in aller­tief­ster Überzeu­gung, die “beste aller möglichen Wel­ten” ist hier am Ende immer Real­ität. Und wie bei Voltaires Helden endet die Geschichte dann doch am heimis­chen Herd.

Solcher­lei Romane gibt es viele in der Welt, sie wer­den gele­sen und mit schön­er Regelmäs­sigkeit von aller­lei ern­sthaften Geis­tern mit mokan­tem Lächeln bedacht. Dazu beste­ht in Wahrheit kein Grund, denn das Wis­sen um die realen Zustände im Lande, vul­go “Zeit­geist”, bildet sich eher in solchen pop­ulären Traumgeschicht­en ab als in den Denkstuben der Trend­forsch­er. Es sind wichtige Mark­er gesellschaftlich­er Sit­u­a­tion, denn die bedin­gungslose Mark­to­ri­en­tierung eines solchen Werkes und das auf den größt­möglichen Absatz zie­lende Konzept ist repräsen­ta­tiv­er als jede Umfrage.

Ildiko von Kürthy gehört zu den erfol­gre­ich­sten Vertreterin­nen ihres Gen­res, sechs Mil­lio­nen verkaufter Büch­er sprechen für sich. Der Plot ist sauber gelegt, die Handw­erk­skun­st ist groß, die Fig­uren sind nicht ganz so eindi­men­sion­al wie bei anderen Vertreterin­nen ihrer Art, und ein mitunter sehr amüsan­ter Hang zu opu­len­tem Kitsch macht die Sache mund­fein:

“Seine Zigarette liegt noch glim­mend auf dem Pflaster. Er hat sich nicht ein­mal die Zeit genom­men, sie auszutreten.
Ich hebe sie auf und nehme einen Zug.
Wie ein let­zer Kuss, denke ich. …”

Eine Szene wie diese zu schreiben, muss man sich erst ein­mal trauen. Ildiko von Kürthy kann das, und sie beherrscht ihr Genre per­fekt. Viel inter­es­san­ter als das ist allerd­ings das Milieu, in das sie ihre Heldin führt. Denn der Schau­platz des Zigaret­ten­dra­mas ist die Ham­burg­er Stern­schanze, direkt am Schul­terblatt, bekan­nt aus Film, Funk und Fernse­hen. Nik­ki, Ehe­frau eines Anwaltes, der plöt­zlich Kar­riere in der Ham­burg­er Gesellschaft macht – das schon erwäh­nte wesens­fremde Milieu –, hat durch eine Ungeschick­lichkeit ihre halb­herzige Affäre mit einem Jugend­fre­und aufgedeckt und wird “ver­stoßen” von Mann und Elbchausseeso­ci­ety.

Durch aller­lei Zufälle gewin­nt sie neue Fre­unde, die alle das besagte Herz auf dem eben­so besagten recht­en Fleck tra­gen und ein wenig gesellschaftlich rand­ständig und schrill sind. Nor­male Leute eben. Sie darf in ein­er Woh­nung in der “Schanze” wohnen, und in der authen­tis­chen Szenekneipe “Saal II” ist sie so schnell zur Einge­bore­nen mutiert, dass sie, leicht zweifel­nd zwar ob ihres Vor­lebens, irgend­wie dazuge­hört. Der Wod­ka kommt von allein über den Tre­sen wenn es einem schlecht geht und mit der Bedi­enung ist man sowieso per “du”. Hier ist man Men­sch, und es ist viel wärmer und net­ter als in den coolen Villen, in denen sich all die operierten Nasen tum­meln.

So ganz anders ist “die Schanze” dann doch nicht, schließlich gibt es hier inzwis­chen die gle­ichen Helikopter-Eltern mit den gle­ichen Kinder­wa­gen und den gle­ichen SUVs wie im Stadt­teil der sat­uri­erten Bürg­er, in Ham­burg-Eppen­dorf. An der Schanzen­piaz­za tum­melt sich dann das junge Volk mit Bärten, Brillen, Bean­ies und macht irgend­was mit PR oder Wer­bung oder so.

Das ist in der Tat die soziale Real­ität in der ach so ver­rucht­en Gegend und auch die krawall­ge­ladende 1. Mai-Demo, die Nik­ki vom Fen­ster beoacht­en darf, ist auch nicht näher als die im Fernse­hen, und min­destens genau­so gruselig wie eine Fis­chvergif­tung mit ver­dor­ben­em Hum­mer, die auch im Buch vorkom­men darf. Daran ändert auch die Präsenz der “Roten Flo­ra” auf der anderen Seite nichts, gerne als “linksau­tonomes Kul­turzen­trum” apos­tro­phiert, obwohl kein­er mehr so genau weiß, wo dort die eigentliche Kul­turleis­tung ist, die tat­säch­lich ein­mal dort angedacht war und auch in kleinen Schrit­ten prak­tiziert wurde.

Deren Bewohn­er sehen sich auch heute noch gerne als let­zte Bas­tion gegen den “Scheiß Staat”, ungeachtet der schon längst erfol­gten Ver­bürg­er­lichung der sie umgeben­den Straßen. Und mit Sicher­heit bekom­men sie nicht mit, dass Ildiko von Kürthy mit ihrem Buch der Leg­ende von der antibürg­er­lichen Autonomie dieser Gegend den let­zten Todesstoß ver­set­zt hat – ist doch ihr auf eine max­i­mal bre­ite Ziel­gruppe aus­gerichtetes Werk genau an der Stelle angekom­men, wo sie nicht sein sollte: An einem kathar­tis­chen Ort für den wohlge­ord­neten Ner­venkitzel ein­er grund­bürg­er­lichen Exis­tenz.

Anders gesagt: Wenn die “Com­mer­cial Fic­tion” ihre Schau­plätze dort ansiedeln kann, ist der Werte­wan­del bere­its vol­l­zo­gen. Erstaunlicher­weise ist “Stern­schanze” so zu ein­er Art Bestand­sauf­nahme poli­tis­ch­er und gesellschaftlich­er Real­ität gewor­den und erk­lärt das Milieu so kom­plett zur Folk­lore, zur Darstel­lung befremdlich­er Sit­ten und Gebräuche, mit denen man sich gerne umgibt, weil sie die eigene Nor­mal­ität so sehr schmückt.

Es kommt so, wie es kom­men muss – die patente Heldin gewin­nt ihren Helden zurück, der dem Elbchausseekap­i­tal­is­mus eben­falls abschwört, kommt mit sich und der Welt ins Reine und lebt for­t­an in der besten aller Wel­ten. Die Zeit der Zweifel ist vor­bei, denn wie sagt der Opti­mist Can­dide: “… mais il faut cul­tiv­er notre jardin” – aber unser Garten muss bestellt wer­den.

Ildiko von Kürthy:
Stern­schanze
Rowohlt Ver­lag
[Ama­zon Part­ner­link]

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*