»Denn ich tue nicht, was ich will …«

Brief an einen Autor – zu F. C. Delius »Die linke Hand des Papstes«

(Bild: all-art.org)
Die linke Hand Berni­nis (Bild: all-art.org)

Lieber F. C. Delius,

vie­len Dank für diese kleine Rom-Reise mit der Zugabe eines Luther zitieren­den Pap­stes. Wobei das Lied “Ein feste Burg” wohl aus ein­er depres­siv­en Phase Luthers stammt – 1528/29 – nicht aus der kämpferischen Zeit, insofern passt es auch zum ehe­ma­li­gen Papst.

Nur scheint es mir altem The­olo­giepro­fes­sor, wenn ich das kri­tisch anmerken darf, dass Sie dem Augusti­nus in Ihrem dann doch gele­gentlich antikatholis­chen Furor ein wenig Unrecht tun. So schlicht, wie Sie es darstellen, hat er über die Sex­u­al­ität nicht geurteilt. Nicht nur dass er offen über seine eigene Sex­u­al­ität spricht, er hat sie auch nicht total ver­teufelt.

Vor allem hat er ihr eine frühe psy­chol­o­gis­che Erk­lärung gegeben. Das kann man nach­le­sen in Peter Browns her­vor­ra­gen­den Buch Die Keuschheit der Engel. Augustin sah die Sex­u­al­ität als Christ kri­tisch (er gren­zte sie auf die ehe­liche ein), nicht weil er von ihr angeekelt war, son­dern weil sie unkon­trol­liert war, weil sie im Begehren und  im orgiastis­chen Höhep­unkt dem Willen trotzte, weil man(n) wider Willen sex­uell erregt wer­den kon­nte.

Er erk­lärte sich das so, dass mit Adams Fall die Seele die Fähigkeit ver­lor, in einem ungeteil­ten Wil­len­sakt Gott in allen geschaf­fe­nen Din­gen  zu lieben und zu preisen. Diese Kluft zwis­chen Willen und sex­uellem Gefühl war Adam und seinen  Abkömm­lin­gen als angemessene Strafe aufer­legt wor­den.

So blieb für den alten Augustin der Kör­p­er eine Quelle unge­mindert­er Beun­ruhi­gung. Bei Brown heisst es da: “In Augustins durch­drin­gen­der Vision wurde die römis­che Stadt und die Mauern des ehe­lichen Haushalts darin … jet­zt von einem dun­klen Strom sex­ueller Schande umspült”, die Adams Fall über die Men­schheit gebracht hat­te.

Augustin drück­te also etwas aus, was die Men­schen damals, zu unser­er heuti­gen Ver­wun­derung, exis­ten­ziell bewegte und spitzte es monokausal zu. Aus dieser exis­ten­ziellen Hal­tung wurde dann von der Kirche eine repres­sive Sex­ual­moral gemacht, deren das Leben vergif­tende Wirkung Sie mit Recht ankla­gen.

Was ich sagen will – in teils frag­würdi­ger christlich­er Ter­mi­nolo­gie (Sün­den­fall, Erb­sünde) hat Augustin ein all­ge­mein men­schliche Prob­lem ver­sucht zu for­mulieren – dass die Kraft des Eros und des Sexus uns in Sit­u­a­tio­nen brin­gen kann, die wir nicht wollen und in denen wir doch so han­deln, dass wir Leid über uns und andere brin­gen, etwa durch Ehe­bruch, Seit­en­sprünge, Verge­wal­ti­gung bis hin zu Per­ver­sio­nen und Sex­ual­mord. Gehört nicht des Huren­bock Berlus­coni Ver­hal­ten auch dazu?

Dass die Sex­u­al­ität ein wichtiger Bere­ich nicht nur men­schlich­er Beglück­ung und Freude, son­dern auch der Zer­ris­senheit und des Zwies­palts sein kann. Eine Zer­ris­senheit, die, so Augustin, nur in Chris­tus und  der ungeteil­ten Zuwen­dung zu Gott aufge­hoben wer­den kann — kom­biniert mit der ehe­lichen Ein­hegung der Sex­u­al­ität, und auch da ist sie weit­er gefährdet.

Und da hat­te ich mir von dem Erzäh­ler Delius vielle­icht gewün­scht, dass er neben der berechtigten Anklage der fatal­en Auswirkung der Erb­sün­den­the­o­rie in ein­er weit­eren Volte oder auch Assozi­a­tions­kette des Frem­den­führers aus­ge­führt hätte, dass Augustin, so sehr er seine Posi­tion macht- und kirchen­poli­tisch durch­set­zen wollte, doch auch etwas all­ge­mein Men­schlich­es ange­sprochen hat – unsere Zer­ris­senheit in sex­uellen Din­gen.

Oder wie Paulus im Brief an die Römer sagt: “Denn ich tue nicht, was ich will; son­dern, was ich has­se, das tue ich.” Dass zum Beispiel die zärtlichen ero­tis­chen Hände auch Gewalt ausüben kön­nen; und ist die Hand Apolls auf Daphnes Hüfte nicht latent gewalt­tätig?

Und: Über­wältigt Zeus nicht seine men­schlichen Geliebten und ver­nichtet sie, man denke an Semele, die Alten hat­ten dafür ein Gespür, ein­schließlich des inkri­m­inierten Bischofs von Hip­po. Und in dem Bewußt­seinsstrom des Frem­den­führers in Rom wären mir seine Erfahrun­gen in dieser Hin­sicht willkommen­er gewe­sen als eine gewisse altlinke Kirchenkri­tik.

Mit her­zlichen Grüßen,
Ihr Hans Jür­gen Bene­dict

Friedrich Chris­t­ian Delius:
Die linke Hand des Pap­stes
Rowohlt Ver­lag, Rein­bek 2013
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