Es klingt ein Lied

Lieder von Liebe und Tod
Lieder von Liebe und Tod

Die Lieder der deutschen Roman­tik sind, ähn­lich wie Beethoven Stre­ichquar­tette, fes­ter Bestandteil der bürg­er­lich­er Hochkul­tur. Der heilige Gral sind Schu­berts Liederzyklen, nur der soge­nan­nte “reife” Kün­stler besitzt im Kon­text der par­ti­turbe­flis­se­nen Musik­lieb­haber die Fer­tigkeit, in die Tiefen des Werkes entsprechend “würdig” einzu­drin­gen. Ein Diet­rich Fis­ch­er-Dieskau gehört genau­so zu den bari­tonalen Gral­swächtern wie in jüng­ster Zeit der viel­ge­priesene Thomas Quasthoff. Einem Peter Pears ver­danken wir eine der expres­sivsten Inter­pre­ta­tio­nen der “Win­ter­reise”, er war als Tenor mit seinem starken lyrischen Ton immer der Exot unter den scharf akzen­tu­ieren­den deutschen Sängern der Dieskau-Schule. Es han­delt sich bei all diesen Win­ter­reisen, Schwa­nengesän­gen, Mül­lerin­nen, Dichter­lieben zweifel­los um die unan­tast­bare Iko­nen des bil­dungs­bürg­er­lichen Salons.

Aus­brüche aus der nahezu pas­toral zele­bri­erten Lied­dar­bi­etung gibt es schon seit einiger Zeit. Die Lie­der­ma­cherkul­tur der 60er und 70er Jahre sang das deutsche Lied, unab­hängig sein­er Herkun­ft und aus­drück­lich gegen der Kon­ser­vatismus des Salons. Gesun­gen wird das “Volk­slied”, ungeachtet dessen, daß oft das, was als solch­es erkan­nt wird, nicht etwa von schürzen­tra­gen­den Bäuerin­nen am Spin­nrad über­liefert wor­den ist, son­dern, aus Kün­stlerfed­er stam­mend, einen hochar­ti­fiziellen Ursprung hat. Es tut sich da häu­fig eine andere Form des Kon­ser­vatismus auf, die Bewahrung des “ursprünglichen” gilt der alter­na­tiv­en Lieder­szene ver­mut­lich genau­so zum Dog­ma wie bei den bürg­er­lichen Gral­shütern des roman­tis­chen Liederkreis.

Um so erfreulich­er sind da gele­gentliche Aus­bruchsver­suche. Achim Reichel, der 2006 ein Album namens “Volxlieder” veröf­fentlichte – im Titel noch ver­ankert im linksalter­na­tiv­en Idiom der “Volxküchen” – nahm sich des The­mas sehr unmit­tel­bar an. Der Ges­tus ist rauh, fast grob, und niv­el­liert die vielfach feinen Kan­ten der Ursprung­s­texte. Von lyrischem Ges­tus ist da sehr sel­ten etwas zu spüren, gle­ich­wohl ist das ganze sicher­lich als Würdi­gung der Texte, musikalisch wie inhaltlich, zu sehen.

Einen anderen Ansatz ver­fol­gt eine Sän­gerin aus Sach­sen-Anhalt, die den wun­der­lichen Kün­stler­na­men “Bobo” trägt. Sie ist die Front­frau der Indie-Band “Bobo In White Wood­en Hous­es” und hat ihre Stimme einst “Ramm­stein” geliehen. Chris­tiane Hebold, so der bürg­er­liche Name, ist ein Kind der ver­gan­genen DDR-Musikaus­bil­dung und als solch­es offen­bar gewöh­nt, über den Teller­rand der pop­ulären Musik zu schauen. Sie hat 2007 ein Album veröf­fentlicht, das “Lieder von Liebe und Tod” heißt und sich mit dem Liedgut der deutschen Roman­tik auseinan­der­set­zt.

Zusam­men mit dem The­ater­musik­er Sebas­t­ian Herzfeld und der Holzbläserin Anne Kaf­tan tut “Bobo” da ein feinzise­liertes Kabi­nettstückchen auf. Mit viel zartem Tsching­dara und Gek­löp­pel, mit prä­pari­erten Instru­menten und Holzbläsern wird die Stimme der Sän­gerin unter­stützt. Ein bißchen mäd­chen­haft spitz kommt die daher, aber immer “straight” in Into­na­tion und Artiku­la­tion. Oft schräg ver­spielt, manch­mal tänz­erisch leicht, nimmt Chris­tiane Herzfeld jedes Stück ernst und genau. So ste­ht der Lin­den­baum der “Win­ter­reise” keineswegs ver­loren im Schön­klang sein­er Weise herum, son­dern die Sän­gerin lotet wie die “ern­sten” Kol­le­gen in den Schu­bertschen Klän­gen herum, das einem Angst und  Bange wer­den kann. Die zurück­hal­tende Instru­men­tierung tut das ihrige, es wird die Stim­mung gehal­ten und nicht gemacht. Die Melo­di­en, die nicht aus dem Reper­toire des deutschen Liedge­sangs stam­men, wer­den gle­ich­w­er­tig gehan­delt, es ste­hen Titel wie der ewige Ever­green “Die Gedanken sind frei” durch kluges Arrange­ment und die Vor­tragskun­st der Sän­gerin gle­ich­w­er­tig neben den Perlen der Schu­bertschen Lied­kun­st. Es trifft jedes Stück die roman­tis­che Unbe­d­ingth­eit des Indi­vidu­ums, die hem­mungslose Wahrnehmungss­chau der Dichter der Nachaufk­lärung, Goethes “Woher sind wir geboren” ist eben­so vertreten wie “Der schwere Traum” aus der Wun­der­horn­samm­lung Arn­ims und Brentanos. Diese ambi­tion­ierte Auseinan­der­set­zung mit dem Mate­r­i­al tut gut, und sie adelt Stoff und Kün­stler. Diese Plat­te ist gewiss eine andere Lied­plat­te als beispiel­sweise Quasthoffs “Dichter­liebe”, den roman­tis­chen Ton aber hält sie alle­mal.

Bobo: Lieder von Liebe und Tod

Live: Bobo: Der schwere Traum

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