Kurz mal den Kopf ausschalten

Das Hamburger Winterspektakel an der Trabrennbahn ist eine gelungene Mischung aus Zirkus, Jahrmarkt und Schlemmermeile.

Winterzauber nicht nur für Kinderherzen Foto: Krafft Angerer

Da fliegen die Zigar­ren­box­en – ein Moment, in dem alles zu fall­en dro­ht – und dann überlis­tet er die Schw­erkraft in der let­zten Sekunde: Der junge Däne Johan Stock­mar ist ein­er der ersten Artis­ten der Show »Twist­ed« auf dem Win­ter­spek­takel. Mit sein­er ganz eige­nen etwas eck­i­gen Kör­per­sprache führt er das Pub­likum gekon­nt in die Irre. Stock­mar zeigt ein­drück­lich, dass Artis­tik von heute nicht nur mit Kön­nen, son­dern auch mit der Aneig­nung ein­er indi­vidu­ellen Büh­nen­fig­ur zu tun hat, wenn man im heiß umkämpften Show­busi­ness beste­hen möchte. Win­ter­spek­takel-Regis­seur Björn Breck­heimer sah ihn auf dem »Fes­ti­val Mon­di­al du Cirque du Demain«, dem renom­mierten Absol­ven­ten­vor­spiel in Paris, und bewies mit dem Engage­ment des jun­gen Kün­stlers sein Gespür für Artis­tik jen­seits vom Main­stream.

Johan Stockmar Bild: Winterspektakel
Zigar­renkisten-Jonglage auf Dänisch
Foto: Krafft Anger­er

Groove is in the House

Was die Show außer­dem außergewöhn­lich macht: das feine Zusam­men­spiel zwis­chen Band und den Show-Acts. Die Funky Tunes rund um Front­frau Gitar­ristin und Sän­gerin Stine Ebbersmey­er acht­en genau auf das Geschehen in der Manege. Mit exak­tem Tim­ing und Groove von Indie über Rap bis Rock überzeu­gen auch Band­leader und Key­board­er Daniel Dittmann, Flo­ri­an Hard­er an den Drums und John Lahann am E‑Bass. Die Funky Tunes sind das pochende Herz des Showgeschehens und hal­ten mit Cov­er­songs und eige­nen Stück­en den Abend eben­so pro­fes­sionell zusam­men wie der südamerikanis­che Clown Muz­zarela. Dafür braucht es die Pro­jek­tio­nen weiß behand­schuhter Hände und sich lustig drehen­der Auto­mat­en am Büh­nen­por­tal eigentlich gar nicht. Sie sind hüb­sch anzuse­hen, brin­gen aber let­ztlich keine wirk­lich eigene Farbe in den Ablauf.

Kopfüber am Aerial-Ring
Blau bis in die Haar­spitzen: Aer­i­al-Kün­st­lerin Jen­ny Tufts
Foto: Krafft Anger­er

Dra­matur­gisch geschickt baut Breck­heimer auch die Rei­hen­folge sein­er Showacts. Ruhigere Num­mern wie die der Aer­i­al-Kün­st­lerin Jen­ny Tufts mit ihrer selb­st kon­stru­ierten Luft­spi­rale oder der Inline-Skate-Welt­meis­terin Vasil­isa Maslo­va, deren Num­mer zwis­chen Eiskun­st­lauf und Par­cour­ing-Ele­menten oszil­liert, wech­seln sich mit tem­por­e­ichen lauteren Acts ab. Ein Hin­guck­er auch dieses Jahr: Chris Cross und Franklyn mit ihrem Map­ping. Hier treten Tanzkun­st und mod­ern­ste Tech­nik in Dia­log. Die Sil­hou­ette des Tänz­ers ver­dop­pelt, vervielfacht sich auf dem Screen, scheint gle­ich darauf mit ihm zu inter­agieren. Hier »malt« der Kün­stler die Bühne, sein Sprung führt zu LED-Lich­t­ex­plo­sio­nen auf der Lein­wand, ein­stürzen­den Mauern oder riesi­gen Engelss­chwin­gen – hier herrscht feinst abges­timmtes Tim­ing.

Schwindelerregende Höhenflüge

Ihr Ham­burg­er Debüt feiert die Blauw­al Com­pa­ny, ein Mäd­chen und zwei Jungs aus Schwe­den – alle­samt Absol­ventin­nen der Stock­holm Uni­ver­si­ty of the Arts. Mit viel Tem­po, Präzi­sion und jed­er Menge Ver­trauen zueinan­der schleud­ern sie sich mit dem Teeter­board beherzt gegen­seit­ig in Rich­tung Zelth­im­mel. Witz und Humor funk­tion­ieren auch ganz ohne Sprache ganz wun­der­bar – das wird hier klar.

Kopfüber von der Rampe: Markus Reuss und sein BMX
Foto: Krafft Anger­er

Ein echter Höhep­unkt sind auch dieses Jahr wieder Markus Reuss und Ans­gar Kröger, die mit BMX und Scoot­er zu Walk this Way von Aero­smith die Bühne entern. Die bei­den enfants ter­ri­bles hebeln die Geset­ze der Schw­erkraft aus. Wenn sie sich in die Half­pipe stürzen, sprin­gen, fliegen, sich in die Höhe kat­a­pul­tieren, darf das Pub­likum nicht zu zart besaitet sein. Manch ein­er zieht beherzt den Kopf ein, wenn die bei­den von der Man­age Rich­tung Zeltaus­gang sprin­gen – und wieder zurück. Ganz klar, allein für diese Num­mer lohnt sich der Showbe­such.

Jen­seits der Schw­erkraft: Ans­gar Kröger mit seinem Scoot­er
Foto: Krafft Anger­er

Let­ztlich ist das Win­ter­spek­takel aber mehr als Show. Es ist Jahrmarkt, Food­court, Kinder­to­ben. Es ist ein Ort, an dem alle Gen­er­a­tio­nen sich gern mal für einen Nach­mit­tag verza­ubern lassen. Man kann hier Kaiser­schmar­rn schlem­men und Pulled Pork Burg­er, dem funkel­nden Riesen­rad hin­ter­her­guck­en und ein­fach mal vergessen, was da draußen alles so schiefge­ht. Es ist ein klein­er Eskapis­mus, den man sich rund um die Feiertage, zu Sil­vester und in den ersten frosti­gen Jan­u­arta­gen ein­fach mal gön­nen darf.

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