Wie die Zeit vergeht — bei Muschnik

Anatol Preisslers "Horrorladen"-Version op Platt im Ohnsorg-Theater

Tiere essen (Bild: © BeTa-Artworks - Fotolia.com)
Men­schen essen (Bild: © BeTa-Art­works — Fotolia.com)

Eine Münch­ner­in in einem New York­er Musi­cal der 80er Jahre, geschrieben von einem kon­ge­nialen jüdis­chen Duo, insze­niert von einem Wiener Regis­seur – und das Ganze singt und spricht sich “op Platt”. Und das Ver­rück­te daran: Es funk­tion­iert. Denn eins muss man ihm lassen, dem Musi­cal-Klas­sik­er “Lit­tle Shop of Hor­rors”, man wippt sofort mit. Nicht umson­st eroberte die Vor­lage von Kom­pon­ist Alan Menken und Autor Howard Ash­man den Off-Broad­way im Sturm und wurde 2209mal gespielt.

Aber muss man das auf Platt machen? Muss man nicht, aber man kann. Als beken­nen­der Fan des Films bleiben zu Beginn einige “Ver­hör­er” nicht aus – bis man merkt, was den Reiz des Ham­burg­er Platts in dem Stück aus­macht. Da passiert dieses “lütte” Augen­zwinkern, das in all dem liegt, ganz von allein. Und das Platt passt durch seine phonetis­che Nähe zum Englis­chen bess­er in die Lieder als die deutsche Über­set­zung es tut. Ob man ein solch musikalis­ches Unter­fan­gen in einem Haus wie dem Ohn­sorg The­ater wagen muss, ist die zweite Frage, die sich stellt. Und auch hier muss man mit einem anerken­nen­den Pfiff durch die Zähne zugeben: muss man nicht, aber man kann.

Getra­gen wird der Abend musikalisch her­vor­ra­gend von der Band um Stephan Ohm. Die Schaus­piel­er von Horst Aren­tholt bis San­dra Keck meis­tern die Her­aus­forderung mit Verve und der sicheren Gewis­sheit, dass der Ohn­sorg-Klas­sik­er “Wi rockt op platt” schon immer gut angekom­men ist. Dass da der eine oder andere Ton mal daneben geht, verzei­ht man gern. Dass die Stim­men des Ensem­bles zum Teil der Musi­cal-Darstel­lerin Elis­a­beth Ebn­er (Ortrud) nicht gewach­sen sind, auch. Wenn Ebn­er – übri­gens wie Regis­seur Ana­tol Preissler ein Wien-Import – “Dor meern in´t Gröön” singt, braucht es keine Effek­te. Ein Fen­ster, an dem sie sitzt, und der feine Text mit seinem Klis­chee vom Plas­tikschon­bezug auf der Couch im Vorstadtidyll – da passiert ganz viel, ohne das etwas passieren muss.

Dass das Augen­zwinkern auch in Ana­tol Preisslers Insze­nierung immer wieder auf­taucht, macht die Sache rund. Wenn Blu­men­ladenbe­sitzer Muschnik, sein Angestell­ter Simon Krell­born und Kol­le­gin Ortrud auf (aus­bleibende) Kund­schaft warten, ist die Bühne schwarz, und über ihnen leuchtet eine Uhr, auf der die Zeit unweiger­lich und ereignis­los verge­ht.

Zwis­chen­drin ein paar Sekun­den Licht, und die Belegschaft in absur­desten Posi­tio­nen, schlafend, gäh­nend, lesend, Lock­en mit der Garten­schere ondulierend. Das sind komis­che, starke Bilder, und so langsam die Zeit im Laden verge­hen muss, so vergnüglich sind diese Momente für das Pub­likum.

Ein echter Gewinn sind die Straßengören – oder Soulgirls, wie es im Pro­grammheft heißt –, die die Hand­lung sin­gend kom­men­tieren. Nach anfänglich­er Unsicher­heit flutscht es musikalisch und chore­ografisch, dass es eine wahre Freude ist. San­dra Keck, Tan­ja Bah­mani und Silke Muriel Fis­ch­er rock­en die Bühne in diversen Out­fits von der Kranken­schwest­er in “Täh­narzt” bis zum Garten­zw­erg nach Ortruds melan­cholis­ch­er Vorstadt­fan­tasie. Die detail­ver­liebten Kostüme von Chris­tine Jacob machen min­destens genau­so viel Spaß wie die Soulgirls darin.

Es gibt Lieder, die zum Teil musikalisch enorm ver­lieren, das bleibt nicht aus. “Täh­narzt” beispiel­sweise: Im Film spielt Steve Mar­tin den lach­gassüchti­gen Sadis­ten und Zah­narzt mit Mut­terkom­plex grandios. Und auch Oskar Ketel­hut als Dr. med. dent. Ortwin Skam­braks füllt die Rolle im Spiel mit Leichtigkeit und Witz; musikalisch aber ist er ihr defin­i­tiv nicht gewach­sen. Auch Ortruds Wider­part Erk­ki Hopf als Simon Krell­born hat so seine Schwierigkeit­en, neben ein­er Musi­cal­stimme wie der Ebn­ers zu beste­hen. Aber im Spiel chang­iert er mit Komik zwis­chen Nerd und Lieb­haber.

Mit dem Pup­pen­spiel­er, der die fleis­ches­lustige Pflanze mit Leben füllt, hat das Ohn­sorg The­ater einen echt­en Glücks­griff getan. In allen Wach­s­tum­sphasen wird die Pflanze Ortrud twee zum Büh­nen­star, sobald sie was zu sagen hat. Spitzen-Num­mer: “Etesti­et” (im Orig­i­nal: “Sup­per­time”). Zum Glück kann sich (der unsicht­bare) Patrick James O´Conell als Stimme der Pflanze ganz auf den Gesang und die bösen Texte konzen­tri­eren. Gle­ich fünf Rollen spielt Markus Gillich – und jede hat was. Gillich macht wun­der­bares Schaus­piel­er­fut­ter aus jed­er einzel­nen.

Ins­ge­samt sind es drei Kom­po­nen­ten, die diesen Abend sehenswert machen: Gutes Handw­erk und geballte Spiel­freude auf der Bühne; eine Detail­vers­essen­heit und –ver­liebtheit von Regie, Bühne und Kostüm; und natür­lich die Neugi­er darauf, wie das wohl so funk­tion­iert – op Platt.

1 Kommentar

  1. Diese Rezen­sion spricht mir kom­plett aus der Seele. Ich habe den “Lüt­ten Hor­ror­laden” let­zten Don­ner­stag gese­hen und bin so begeis­tert von der Insze­nierung, dass ich mir für näch­sten Dien­stag gle­ich nochmal eine Karte besorgt habe.
    Die plattdeutsche Umset­zung des genialen Broad­way-Musi­cals ist run­dum gelun­gen, die Insze­nierung mit ihren liebenswerten Fig­uren und der faszinieren­den Puppe der fleis­chfressenden Pflanze “Ortrud twee” ist ein­fach super. Wer den Film “Lit­tle Shop of Hor­rors” liebt und die plattdeutsche Sprache ver­ste­ht, wird nach dieser Insze­nierung ver­rückt sein!!!

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