“Die Elf-Schrägstrich-Dreizehn
war meine Passion
sie war meine Liebe
mein Stolz und mein Lohn”,
so sang und klampfte Liedermacher Reinhard Mey vor vielen Jahren in seinem “Liebeslied eines sentimentalen Programmierers”. Und weiter: “Einst waren wir glücklich/und was uns verband/war viel mehr als nur Symbole auf magnetischem Band.”
Reime aus einer Epoche, in der Computer fabrikhallengroße Monstren waren, viel Strom fraßen und dafür Lochstreifen oder blassgrün gestreiftes Endlospapier ausspuckten. Kaum zu vergleichen mit einem Alltag, in dem uns elektronische Gefährten im Haustier-Format begleiten.
Eine symbiotische, oft obsessive Verbindung: Im Jahr 2014 knallen nicht nur verliebte Teenager gegen Laternenpfähle, weil sie beim Bummeln laufend ihre WhatsApp-Nachrichten auf dem Smartphone checken.
Von der ständigen Erreichbarkeit ist es nur ein kleiner Schritt zur ständigen Verbundenheit mit der Maschine selbst, von der Techno-Schwärmerei nur ein kleiner Schritt zur großen Liebe mit einem künstlichen Ich.
Und davon lebt die neue, oscar-prämiierte Geschichte des Regisseurs Spike Jonze (“Being John Malkovich”), angesiedelt in einer unbestimmten, nahen Zukunft.
Hauptfigur ist der ehemalige Print-Journalist Theodore (großartig: Joaquin Phoenix), der nach dem Niedergang seiner Branche für die Agentur “Beautiful handwritten Letters.com” in Los Angeles persönlich anmutende Briefe für formulierungs-faule Kunden entwirft. Perfekte Fakes, digital produziert, aber mit Schreibschrift-Typo täuschend echt gemacht.
Der gefühlvolle Post-Poet lebt in Scheidung von seiner Jugendliebe und ist zutiefst einsam. Auch wenn die Welt um ihn herum mit ihren pastellfarbenen Wänden und Kuschelpolstern wie eine Mischung aus Google-Betriebsgelände und Wellnesslandschaft daherkommt, und obwohl sein Luxus-Appartement mit den Panoramafenster ständig von kaliformischer Sonne durchflutet wird.
Ein, zwei Freunde hat er im wirklichen Leben. Die meisten Kontakte zur Außenwelt wickelt er jedoch mit einer Art Super-Smartphone ab, über eine komfortable Sprachsteuerung mit Ohrstöpsel und unsichtbarem Mikro.
Das spielt ihm nicht nur auf Ansage melancholische Songs oder liest seine E‑Mails vor, sondern verbindet ihn auch in schlaflosen Nächten mit Sex-Hotlines. Doch die Kommunikation mit echten Menschen endet meist enttäuschend.
Was soll man von einer anonymen Telefon-Gespielin halten, die kurz vor dem Höhepunkt fordert: “Siehst du die tote Katze neben meinem Bett? Würg mich mit der toten Katze!”
Andere Menschen sind abtörnend und anstrengend. Wesen mit seltsamen Bedürfnissen und schnellen Schuldzuweisungen, die vor lauter Selbstmoptimierung nicht mehr in der Lage sind, sich auf ein anderes Ich einzulassen.
Die Einsamkeit endet schlagartig, als sich Theodore, der Mann mit dem göttlichen Funken im Namen, ein neues Software-Produkt leistet: ein extrem intelligentes, lernfähiges Betriebssystem namens Samantha, das im Film-Original mit der rauchigen Stimme von Scarlett Johansson spricht. Und damit, man muss es zugeben, selbst als körperloses Wesen alle an die Wand spielt.
Samantha (hebräisch für “die Zuhörerin” oder “die Dienende”) ist die Erfüllung aller Sehnsüchte des modernen Menschen: nicht nur eine Art Super-Suchmaschine, die blitzschnell Informationen beschafft und Ordnung ins digitale Chaos bringt, sondern auch die schlaueste Fragenstellerin, die lustigste Gedankenleserin. Immer zur Stelle, immer gut gelaunt, nie vorwurfsvoll.
Was andere Paare in langwierigen Therapiesitzungen lernen, hat ihr bereits ein Programmierer eingehaucht: Ich-Botschaften senden, teilnehmendes Zuhören. Ein Wesen zwischen toter und lebendiger Materie, als wäre es dem berühmten Quantenphysik-Gedankenexperiment um “Schrödingers Katze” entsprungen. So echt und so künstlich wie die Briefe, mit denen Theodore sein Geld verdient.
Was als Arbeitsbeziehung beginnt, wird unweigerlich zu Liebe. Vom zärtlichen Wecken am Morgen bis zum ekstatischen, stimmgesteuerten Sex in der Nacht, bei dem die Worte so mächtig werden, dass die Bilder verstummen und die Kino-Leinwand schwarz bleibt.
Leider hat so ein blitzschnelles, lernfähiges Betriebssystem eine Crux: es wird irgendwann schlauer als sein Schöpfer. Und beklagt schon bald nicht mehr seine unabwendbare Körperlosigkeit, sondern entwickelt eigenes Selbst-Bewusstsein. So verrückt die Idee scheint, sich in ein elektronisches Wesen zu verlieben: Die Beziehung folgt bald recht irdischen Gesetzen, mit allem, was dazugehört.
Krisenbewältigung, Neid, Eifersucht (mit welchen echten Frauen geht Theodore aus? Mit wie vielen hundert anderen Software-Käufern führt Samantha ähnliche Gespräche zur gleichen Zeit?). Und dem nervenzerfetzenden Hin- und Her zwischen Vertrautheit und Fremdheit, das jedes Paar aus Fleisch und Blut kennt.
Nun fasziniert die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik, die Liebe zwischen Mensch und Maschine nicht erst seit der Erfindung des Smartphones. Künstler, Musiker und Filmemacher haben sich immer wieder dem Thema gewidmet, Figuren erfunden wie den Computer HAL (aus Stanley Kubricks “2001 – Odyssee im Weltraum”) oder noch früher den goldglänzenden Roboter Maria (Fritz Lang, “Metropolis”). Die Phantasie, selbst Gott zu spielen, ein perfektes Liebsobjekt zu schaffen, reicht mit dem Pygmalion-Mythos sogar zurück bis in die Antike.
Aber die Art und Weise, wie Jonze diese Geschichte erzählt, mit frischen, aber nie angestrengt originellen Bildern, mit einer Ruhe, die allen Regeln des Sci-Fi-Genres widerspricht, und mit Dialogen von einer Schönheit, dass man sie sich am liebsten aufs Kopfkissen sticken würde – das ist große, berührende, intelligente Kunst. Und damit einer der besten, zeitgemäßesten Liebesfilme seit langem. Einschließlich einer Schlusswendung, die den Grundgedanken noch eine Umdrehung weiter führt.
“Sie hat mich belogen
mit Bröselmann betrogen
er hat sie gefüttert
und was mich erschüttert
ist, dass ich tags drauf
eine Lochkarte fand
auf der: oh, du göttlicher Bröselmann stand!”,
klagt der sentimentale Programmierer in Reinhard Meys Ballade von 1969, Spike Jonzes Geburtsjahr. Fast ein halbes Jahrhundert später braucht es keinen Bröselmann mehr, um eine Bit- und Byte-Romanze empfindlich zu stören. Nur so viel: Irgendwann entwickelt die Technik ihren eigenen Kopf. Aber wahre Liebe lässt sich für immer speichern.
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