Auferstanden aus Ruinen

Wiedersehen macht nicht immer Freude: In »Before Midnight«, dem dritten Teil seiner Langzeit-Lovestory, zeigt Richard Linklater unbarmherzig die Liebe in der Midlife-Krise

BUZ
Was hat sie bloß so ruiniert? Celine (Julie Delpy) und Jesse (Ethan Hawke) kni­etief in der Beziehungskrise (Bild: © 2013 PROKINO Filmver­leih GmbH)

Alle Eltern ken­nen das: dieses heftige Glücks­ge­fühl, wenn die Kinder auf der Rück­bank schlafen. Plöt­zlich entste­ht auf den Vorder­sitzen diese Blase von Intim­ität, in der sich frisch Ver­liebte ständig bewe­gen. Aus Mami und Papi wer­den zwei Helden eines Road Movies, eine Hand am Steuer, eine Hand auf einem Ober­schenkel, auf ein­er unendlichen Reise ins Blaue. Sog­ar, wenn’s eigentlich nur die Rück­fahrt vom Flughafen auf dem griechis­chen Pelo­ponnes ins Haus von Fre­un­den ist. Auch die Film-Eltern Celine (Julie Delpy) und Jesse (Ethan Hawke) haben Angst, dass die Blase platzt. So fahren sie eiskalt an ein­er Aus­grabungsstätte vor­bei, die ihre Zwill­ingstöchter gerne gese­hen hät­ten. Und tis­chen ihnen später eine Notlüge auf: “Oh, die Ruinen, die hat­ten geschlossen!”

Schon während dieser Aut­o­fahrt in den ersten Film­minuten wird klar: Die from­men Notlü­gen und die Diplo­matie heben sich die bei­den für die Kinder auf. Zwis­chen Frau und Mann wird bisweilen scharf geschossen. Längst ist die Liebe vom mythis­chen Sehn­sucht­sort zur Ruinen­land­schaft gewor­den, der Bankrott scheint ähn­lich unauswe­ich­lich wie die griechis­che Finanzkrise.

Zur Erin­nerung: 1995 wur­den Julie Delpy und Ethan Hawke in “Before Sun­rise” zum ver­hin­derten Traumpaar der Slack­er-Gen­er­a­tion, nach ein­er durchquatscht­en und durch­liebten Nacht während ein­er Zug­fahrt nach Wien. 2004 drehte Regis­seur Richard Lin­klater die Fort­set­zung “Before Sun­set”. Eine Chance für die Liebe, eine zweite Chance für seine Fig­uren.

Dass auch dieses Hap­py End ein frag­iles war, war abzuse­hen: Schon damals erzählte die Geschichte nicht nur von der Größe uner­füll­ter Träume, son­dern auch von den Beschädi­gun­gen des Erwach­se­nen­lebens und der Unmöglichkeit des Glücks für alle. Da fan­den zwei Men­schen zueinan­der, die ihre Geschichte mit sich tru­gen – geplatzte Träume, gescheit­erte Beziehun­gen, ein klein­er Sohn. Eine weit­ere Fort­set­zung des bit­ter­süßen Liebes­dra­mas war beina­he unauswe­ich­lich, und man erwartete sie mit der sel­ben Mis­chung aus Angst und Vor­freude wie ein 20jähriges Abiturtr­e­f­fen.

Es kommt, wie’s kom­men muss. Neun Jahre später wird wed­er im Park geknutscht noch wer­den selb­stkom­ponierte Chan­sons anges­timmt. Jet­zt geht es um den ganz gewöhn­lichen, ver­bis­se­nen Kampf eines Paares um Platz zur Selb­stent­fal­tung. Mein Job bei einem Wind­kraft-Unternehmen gegen deinen Erfolg als Schrift­steller, meine Ein­samkeit als Mut­ter gegen deine Schuldge­füh­le dem älteren Sohn Hen­ry gegenüber. Patch­work ist hier kein Komö­di­en­stoff, son­dern eine schi­er unmen­schliche Zer­reißprobe. Um so schw­er­er erträglich, je idyl­lis­ch­er die Folie ist, vor der dieses leise Dra­ma seinen Lauf nimmt. Naturstein­häuser, Fels­bucht­en, blaues Meer, saftige Tomat­en in Großauf­nahme.

Dabei hät­ten Celine und Jesse eigentlich die besten Voraus­set­zun­gen für ein Liebes-Revival: Die griechis­chen Fre­unde haben dem Paar eine Nacht in einem Design­er-Hotel spendiert und übernehmen das Babysit­ting. Aber auch wenn der Wille zu Roman­tik noch vorhan­den ist, zu viele kleine Irri­ta­tio­nen sabotieren die glück­liche Wieder-Vere­ini­gung.

Vorder­gründig mögen es die Klas­sik­er sein: allen voran das klin­gel­nde Smart­phone, ger­ade als Mama und Papa sich mal wieder so richtig lieb haben wollen. Aber dahin­ter steckt mehr: der Hor­ror Vacui der Lebens­mitte, der Sog, in den Men­schen angesichts des begin­nen­den Älter­w­er­dens ger­at­en. Wenn ein Vater plöt­zlich real­isiert, dass der 14jährige Sohn seine erste Som­mer­liebe erlebt hat – was macht das mit sein­er eige­nen Männlichkeit? Wenn Leben­szeit auf ein­mal abse­hbar wird, welchen Wert hat dann die Größe ein­er Liebe?

Es ist offen­sichtlich, dass keine der bewährten Strate­gien mehr taugt – wed­er für sie, noch für ihn. Jun­gen­hafter Charme kippt um in anstren­gende Beruf­sju­gendlichkeit, T‑Shirts mit Plat­ten­la­bel-Auf­druck wer­den langsam pein­lich; und was bei ein­er 25jährigen als aufre­gend und kapriz­iös durchge­ht, kommt bei ein­er über 40jährigen schmallip­pig und zick­ig rüber. Auch Celines verzweifelte Ver­suche, sich der eige­nen Attrak­tiv­ität zu ver­sich­ern, laufen ins Leere. “Wenn du mich heute im Zug sitzen sehen würdest”, fragt sie, “würdest du mich dann attrak­tiv find­en?” Zu the­o­retisch, find­et er: “Das käme doch auf meine Leben­sum­stände an! Dann würde ich ja dich mit dir betrü­gen!”

Julie Delpy beweist in ihrer Rolle viel Mut, denn sie zeigt vollen Kör­pere­in­satz. Und auch wenn dieser Kör­p­er immer noch schön ist, es ist eben doch sichtlich nicht mehr der ein­er 20jährigen. Ein nack­ter Busen, der den Geset­zen der Schw­erkraft gehorcht, Mund und Stirn, die in Großauf­nahme deut­lich sicht­bare Lebensspuren zeigen: Dazu gehört einiges in Zeit­en, in denen oper­a­tives All­round-Tun­ing für Schaus­pielerin­nen zur Selb­stver­ständlichkeit gewor­den ist. Julie Delpy dage­gen bewegt sich minuten­lang mit halb herun­terge­zo­gen­em Kleid vor der Kam­era und zieht sich irgend­wann beina­he nach­läs­sig das Oberteil wieder hoch, weil’s doch nicht wird mit dem Sex. Solche Bilder erzählen auf ein­drück­liche Weise vom Dra­ma der Schön­heit, mit deren Schwinden auch das eigene Selb­st­bild bröck­elt. Fünf vor zwölf auf dem Sun­set Boule­vard.

Bei aller Schwere, die sich unter der zeitweise leicht­en Ober­fläche ver­birgt, ist es eigentlich nur ver­wun­der­lich, dass der Film dann doch noch zu einem halb­wegs ver­söhn­lichen Ende führt. Schließlich haben die Dialoge des Paares, die Seit­en­hiebe auf ero­tis­che Unzulänglichkeit­en wie die offen aus­ge­sproch­enen Tren­nungswün­sche, bis kurz vor dem Ende eine beina­he Beckett’sche Bosheit. Min­destens ein Fall für den Paarther­a­peuten, wenn denn über­haupt noch jemand helfen kann.

Aber vielle­icht wäre es für die langjähri­gen Kino-Fre­unde von Celine und Jesse ein­fach zu trau­ma­tisch, wenn nach Griechen­land nur noch ein Trüm­mer­haufen bliebe. Und möglicher­weise hat das Trio Linklater/Delpy/Hawke auch ein­fach nur Lust auf einen weit­eren Baustein im gemein­samen Leben­spro­jekt: Celine und Jesse als “Emp­ty Nesters” im Jahr 2022. Der näch­ste Son­nenauf­gang kommt bes­timmt.

 

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