Bene-Diktum: Brüder, Schwestern, bleibt der Erde treu

Gedanken zu »Gravity« mit Sandra Bullock und George Clooney

Flut, Flut, mach alles wieder gut. (Bild: © 2013 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.)

Flut, Flut, mach alles wieder gut. (Bild: ©  2013 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.)

Gestern Nacht in der Nähe von Fehrbellin, ein wun­der­bar­er Ster­nen­him­mel im Dezem­ber, eine hell leuch­t­ende Venus, klein­er und großer Wagen, Polarstern, der Ori­on, Pega­sus usw. ich schaue und kann mich nicht sattse­hen an den Him­mel­swun­dern.

Am Nach­mit­tag war ich in Neu­rup­pin, dem Geburt­sort Theodor Fontanes, stand vor der Löwe­napotheke, in der er zur Welt kam. Die Szene in Effi Briest fällt mir ein, als die nach dem Scheit­ern ihrer Ehe ins Eltern­haus zurück­gekehrte Effi im Spät­som­mer am Fen­ster sitzt,  dem Stern­schnup­pen­fall zuschaut und  naiv-herz­er­greifend sin­niert: “Ich war immer eine schwache Christin, aber ob wir nicht vielle­icht von dort oben stam­men, und wenn  es vor­bei ist, in unsere himm­lis­che Heimat zurück­kehren. Ich weiß es nicht, ich habe nur die Sehn­sucht …”

Und dann der Kom­men­tar des Autors, der hier aus sein­er Rolle fällt: “Arme Effi, du hast zulange zu den Him­mel­swun­dern hin­aufge­se­hen und das Ende war, dass Nachtluft und Nebel von den Teichen sie wieder aufs Kranken­lager war­fen.” Sie stirbt kurz darauf, eine schuld­be­wusste Sternse­herin und Ehe­brecherin, die so ihren Selb­st­mord insze­niert. Die Heldin des heuti­gen Films, dachte ich,  kön­nte eine Urenke­lin von Effi sein. Sie ist dort, wo die lei­dende Effi sich hin­träumte – im Weltall, der Heimat vor den Ster­nen, 600 km von der Erde ent­fer­nt.

Ins­ge­samt 4 Jahre hat der mexikanis­che Regis­seur Alfon­so Cuaron (Der Gefan­gene von Ask­a­ban) an seinem Wel­traume­pos gebastelt. Er musste diverse Rückschläge über­ste­hen, bis er seine Vision ohne Ein­schränkun­gen ver­wirk­lichen kon­nte. Man kann sagen: Die Mühe hat sich gelohnt – ein außeror­dentlich­er Film über eine Mis­sion im All ist ent­standen, der sich von dem Apol­lo 13-Nation­al­is­mus wohltuend unter­schei­det und in manchen Sequen­zen an Kubricks Odyssee im Wel­traum her­an­re­icht.

Ein Magis­ch­er Moment zu Beginn, wenn ein Insert sagt: “Leben im Wel­traum ist unmöglich”, und es still ist im Kino, ganz still, bis Stim­men-und Musik­fet­zen leise ein­set­zen. Es sind Geräusche, die die US-Astro­naut­en in ihren Hel­men hören. Und schließlich sieht man sie in ihren Wel­trau­manzü­gen, in 3D schweben sie auf uns zu. Und dann sieht man die Bilder des Erd­balls, faszinierende Auf­nah­men, die immer wieder die umgekehrte Sehn­sucht nach dem Blauen Plan­eten zeigen.

Die Sto­ry: Das 5‑köpfige Astro­nau­t­en­team des Raum­schiffs Explor­er befind­et sich auf ein­er Rou­tine­mis­sion. Am Wel­traumte­leskop soll die Medi­ziner­in Dr. Ryan Stone (San­dra Bul­lock) einen Scan­ner instal­lieren. Sie ist aufgeregt, abge­brüht kreist ihr die Mis­sion überwachen­der Kol­lege Matt Kowal­s­ki (George Clooney) um sie herum, ein alter Wel­traumhase auf seinem let­zten Flug; die bei­den kom­men ins Gespräch, erzählen sich ganz kurz ihre Lebens­geschicht­en, die Katas­tro­phen auf der Erde, Unfall­tod der Tochter, Ver­lassen­wer­den von der Ehe­frau.

Und dann die Katas­tro­phe im All — Wel­traum­schrott von ein­er Kol­li­sion ein­er rus­sis­chen Sta­tion mit einem Kome­ten rast auf die Sta­tion zu, durch­siebt sie, der Kon­takt zu Hous­ton reisst ab, sie sind auf sich allein gestellt, wollen sich in eine andere  rus­sis­che Wel­traum­sta­tion ret­ten, der Schub reicht nur noch für einen, Kowal­s­ki gibt der Frau eine let­zte Hil­festel­lung, um dann im All zu ver­schwinden.

Der Held, der sich opfert. Von da an ist Dr. Ryan auf sich allein gestellt. Zwis­chen Res­ig­na­tion und Über­lebenswillen siegt der Let­ztere, und sie schafft das fast Unmögliche – wieder auf der Erde zu lan­den. Eine schw­er atmende erschöpfte Frau liegt auf Mut­ter Erde mit ihrer Schw­erkraft. Ein hap­py end­ing ein­er Wel­traum­reise.

Vor allem ein Film über Schw­erkraft und Schw­erelosigkeit. Es gibt sie in der Kun­st, Mar­iä Him­melfahrt auf den Deck­en barock­er Kirchen, wun­der­bar, wie dort alles nach oben in den Him­mel schwebt zu Gott­vater und dem Her­rn Jesus. Alle Erden­schwere ledig segeln sie davon — die heili­gen Gestal­ten. Oder in ein­er Melodie Mozarts, die sich auf­schwingt wie selige Amoret­ten, wie etwa in der Vio­lin­sonate A‑Dur KV 504.

Oder in einem gelun­genen Gedicht Rilkes  seine schw­erelose Sprach­melodie. Schließlich im Bal­lett, wo für einen Moment die Schw­erkraft aufge­hoben scheint, wenn diese Kün­stler einzeln oder zu mehreren durch die Luft segeln.

Der Men­sch möchte Schw­erkraft aufheben. Es gelingt ihm, wenn die  Zen­trifu­galbeschle­u­ni­gung genau der Schw­erebeschle­u­ni­gung entspricht oder eben im All. Aber es ist kein Ort zum Leben. Heimat bleibt die Erde mit all ihren Prob­le­men, mit Vergänglichkeit und Tod und den weni­gen kost­baren Jahren des Lebens.

Eines ist unsere Sehn­sucht nach den Ster­nen, ein anderes das Kos­mo­naut­en­leben im All. Seit wir Kinder waren, seit Peterchens Mond­fahrt ist es ein Traum, sich frei im All zu bewe­gen, zu schweben. Da suchen sie das Beinchen des Maikäfers, die Kinder. Und da sind wir und schauen Dr. Ryan, wie sie heftig atmend ver­sucht, den Scan­ner zu repari­eren.

Die unge­heure Weite des Alls erschrickt, wie klein und ver­loren sind die Astro­naut­en dort und wir mit ihnen. Die Abhängigkeit von der Stimme aus Hous­ton (gesprochen von Ed Har­ris), das Allein­sein, als sie aus­bleibt, die Selb­st­ge­spräche, die Verzwei­flung.

Die qua­sire­ligiöse Kern­szene: Dr. Ryan  ist in der rus­sis­chen Raum­sta­tion, kurz­er Schwenk auf eine Ikone mit  dem heili­gen Christopho­rus, aber sie weiß nicht weit­er, Feuer bricht aus, das Trieb­w­erk zün­det nicht: Wenn ich kön­nte, würde ich jet­zt beten, sagt sie, aber nie­mand hat mich gelehrt zu beten. Wir müssen ster­ben, ja  das weiß ich, aber nor­maler­weise weiß man nicht wann, nur ich weiß, dass es jet­zt gle­ich passieren wird. Sie schließt die Augen und ergibt sich in ihr Schick­sal.

Da öffnet sich die Schleuse und Matt Kowal­s­ki stemmt sich hinein, nimmt seinen Helm ab (wenig­stens ein­mal für seine weib­lichen Fans), angelt sich den vom Kom­man­dan­ten ver­steck­ten Wod­ka, nimmt einen Schluck und gibt ruhig seine Instruk­tio­nen. Mit dem Bremss­chub starten, das sei die Lösung, du schaffst es.

Eine ret­tende Hal­luz­i­na­tion, Dr. Ryan startet, kann sich von dem Brems­fallschirm der Sta­tion befreien, düst zur chi­ne­sis­chen Sta­tion – dort hängt ein Bud­dha­bild – kat­a­pul­tiert sich dort hinein, durch­bricht mit der Feuer fan­gen­den Lan­dekapsel  die Erdat­mo­sphäre und lan­det in einem Bergsee, die Stimme von Hous­ton meldet sich wieder.

Eine Aben­teuergeschichte im All, ziem­lich wirk­lichkeits­ge­treu erzählt, auch wenn es einige Kri­tikpunk­te gibt – so hat­te  die ret­tende chi­ne­sis­che Sta­tion eine ganz andere Umlauf­bahn. Bul­lock wech­selt zwei mal die Schutzk­lei­dung, wir sehen ihren schlanken Kör­p­er in diesem unero­tis­chen Film, eine Astro­nautin hätte Windeln ange­habt, aber das wird natür­lich nicht gezeigt. Die 3D-Filmtech­nik schafft es, dass die Sim­u­la­tion sich uns extrem sub­jek­tiv  unmit­tel­bar über Augen und Ohren mit­teilt.

Wie in der Achter­bahn sausen wir als Zuschauer mit durchs All, möcht­en vor Angstlust kreis­chen und haben immer wieder die wun­der­schöne Erde im Blick. Der Film heißt Grav­i­ty, Schw­erkraft – der Über­lebenswille der Astro­nautin ist gekop­pelt an diese Erfahrung der Schw­erkraft, zurück zur Erde, von der wir stam­men.

Brüder, Schwest­ern, bleibt der Erde treu, möchte man mit Niet­zsches Zarathus­tra rufen, doch dann hät­ten wir nicht dieses aufre­gende Wel­traum­aben­teuer. Zum Schluss ist man fast so erschla­gen wie die Heldin, japst im Kino-Ses­sel nach Luft.

Und freut sich auf den Ster­nen­him­mel, der doch in der Stadt kaum zu sehen ist. Vielle­icht der Abend­stern, die Venus.

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