Bewegte Bilder für die Bühne

Videokünstler Severin Renke im Interview über seinen Beruf und die aktuelle Arbeit mit Karin Beier am Schauspielhaus Hamburg

Der Mann fürs Bewegtbild: Severin Renke. Foto: privat

Bere­its Ende April kündigte das Schaus­piel­haus sie mit noch ungewis­sem Pre­mier­enter­min an: die Jelinek-Urauf­führung »LÄRM. BLINDES SEHEN. BLINDE SEHEN!« in der Regie von Inten­dan­tin Karin Beier. Die öster­re­ichis­che Nobel­preisträgerin Jelinek hat ein Stück zur Pan­demie geschrieben, bei dem Bild- und Textwogen der täglichen Nachricht­en­lage zu ein­er grotesken und erschreck­enden Flut an (Be)Deutungen, Irrsinn und Kor­re­spon­den­zen wer­den. Nun feiert das Stück am 5. Juni 2021 Pre­miere im Großen Haus.

Ein solch­es Stück, das den Bogen von ein­er antiken Orgie aus der Odyssee zu den Super­spread­ern von Ischgl eben­so schlägt wie den von poli­tis­chen Irrun­gen hin zu ein­er apoka­lyp­tis­chen Land­schaft der Blind­en und Tauben, scheint ohne eine zusät­zliche kom­men­tierende Ebene kaum möglich. Karin Beier ergänzt das Büh­nen­bild um eine filmis­che Ebene. Wir haben mit Videokün­stler Sev­erin Renke über seine Arbeit am The­ater gesprochen und darüber, wie man sich einem solchen Mam­mutwerk nähert.

Welchen zusät­zlichen Aspekt gibt deine Arbeit ein­er Insze­nierung?

Ähn­lich ein­er musikalis­chen Kom­po­si­tion, die für ein Stück geschrieben wird, entste­ht durch Videoein­bindung eine andere Rhyth­mik. Ästhetisch betra­chtet kann Film auf der Bühne eine zusät­zliche abstrak­te Ebene schaf­fen. Ein ganz wichtiger Aspekt ist aber, dass wir durch den Ein­satz von Video eine weit­ere Wand ein­reißen kön­nen. Wenn das gelingt, ist das für mich ein­er der besten Momente.

Elfriede Jelineks Textflächen offen­baren beim Lesen oft Fall­stricke. Hat man sich ger­ade einem Gedanken genähert, schwenkt dieser im näch­sten Moment in eine völ­lig andere Rich­tung. Wie würdest du das Werk aus dein­er Sicht beschreiben?

Der Über­bau: Coro­na ist in unser­er Gesellschaft angekom­men. Ganz klar ist der Zusam­men­hang zwis­chen dem gesellschaftlichen Raub­bau an Natur und Tier erkennbar. Wir als Gesellschaft, als größte Fleis­ch­pro­duzen­ten und Ver­anstal­ter der größten Par­tys sind offen­bar nicht dazu in der Lage, mit der Natur umzuge­hen. Und so wen­det sie sich gegen uns. Jelineks Sätze sind wie Vex­ier­spiegel, die ihre eigene Sinnhaftigkeit ständig demon­tieren. In ihrem neuen Stück beschreibt sie die medi­ale Flut, den ständi­gen Lärm, der auf uns ein­pras­selt als den Schlüs­sel zu Ver­schwörungs­the­o­rien und Quer­denker­tum.

Was sind die ersten Fra­gen, die du zu Pro­jek­t­be­ginn an eine*n künstlerische*n Partner*in stellst?

Ich mache mich auf die Suche nach dem Urk­nall. Wenn ein Pro­jekt an mich herange­tra­gen wird, frage ich: Wie kam die Idee zu der Insze­nierung? Wieso habt ihr aus­gerech­net diesen Text gewählt? Wie auch immer die Insze­nierung am Ende aussieht, es gab dafür eine Ini­tialzün­dung, auch wenn man die wom­öglich später nicht mehr sieht. Die muss ich begreifen.

Wie hast du dich in der Zusam­me­nar­beit mit Karin Beier ein­er visuellen Ästhetik angenähert?

Karin Beier hat­te eine sehr klare Vorstel­lung davon, dass dieses Stück Video­ma­te­r­i­al braucht – für ihre Regiear­beit eigentlich eher untyp­isch. Als ich den Text bekam, war das erste Lesen eine Her­aus­forderung, erst im zweit­en Durch­gang kon­nte ich langsam begin­nen, mir Bilder dazu zu über­legen. Ich kan­nte das Büh­nen­bild als Mod­ell und hat­te erste Bil­dideen von Karin Beier bekom­men.

Dann habe ich begonnen zu recher­chieren, diese Tage waren heftig. Ich habe sehr viele Bilder vom Tod gese­hen, viel über indus­trielle Fleis­chver­ar­beitung usw. Diese Phase war geprägt von wirk­lich ver­stören­den Bildern und The­o­rien, mir war oft richtigge­hend schlecht. Die Fleis­ch­pro­duk­tion ist wirk­lich eine der größten Schweinereien, die unsere Gesellschaft sich aus­denken kon­nte. Dass Men­schen imstande sind, solche abar­ti­gen Tötungs­maschine­r­ien zu pla­nen, hat mich an meine Gren­zen gebracht.

Aber auch das The­ma Ver­schwörungs­the­o­rien: Da geht es nicht um eine Hand­voll Spin­ner, son­dern das Sys­tem dahin­ter ist ver­wor­ren und per­fide. Wenn man sich auf die Suche macht, find­et man kleine Gedanken­fet­zen über­all, ger­ade im Zusam­men­hang mit der Pan­demie. Vieles, was man am Rande wahrgenom­men hat, set­zt sich jet­zt zusam­men, und man kommt zu den Ursprün­gen. Viele dieser Gedanken­fet­zen find­en auch im gut­bürg­er­lichen Umfeld Anklang. Der Suchal­go­rith­mus meines Rech­n­ers hat mir noch eine ganze Weile fürchter­liche Dinge vorgeschla­gen – beispiel­sweise Ausstiegspro­gramme für Recht­sex­trem­is­ten, paramil­itärische Klam­ot­ten usw.

Die Videos hin­ter Jan-Peter Kam­p­wirth und Max­i­m­il­ian Schei­dt sind Sev­erin Renkes Werk. Foto: Matthias Horn

Wie bere­it­et ihr die Jelinek’sche Textfläche auf?

Der Abend find­et in einem ungewöhn­lich klaren Büh­nen­bild statt, das mich als Videokün­stler prak­tisch zur Flucht nach vorn zwingt. Ab einem gewis­sen Punkt des Stücks ist kein Auss­chal­ten mehr möglich, dann sind alle Pro­jek­tions­flächen an. Die Live-Kam­eras in dem Stück bedi­enen die Schauspieler*innen auf der Bühne selb­st, ähn­lich wie Youtuber*innen.

Ich habe viel vor­pro­duziert und auch aus öffentlich zugänglichem Mate­r­i­al mon­tiert. Ins­ge­samt steck­en rund sechs Drehtage Vor­pro­duk­tion von Mate­r­i­al in dem Stück. Das kom­plette Ensem­ble auf und hin­ter der Bühne war daran beteiligt, ich habe aber auch arti­fizielle Hin­ter­gründe vor­pro­duziert. Einen Tag haben wir im Skidome ver­bracht – eine starke Analo­gie zum Stück, in dem es um Raub­bau mit der Natur geht – so eine Anlage ist energiepoli­tisch betra­chtet ja ein Super­gau. Wir haben das Mate­r­i­al gebraucht, um die Ischgl-Par­al­lele herzustellen. Mich auf diese Halle einzu­lassen, auf die Enge dieses real gewor­de­nen Alp­traums, war eine spezielle Erfahrung.

Ich wollte möglichst viel mit den Schauspieler*innen pro­duzieren. Bei Pro­duk­tio­nen, wo man auf so ein­er aktuellen Ebene arbeit­et, ist der Bezug zu uns selb­st auf der Bühne in meinen Augen unge­mein wichtig. Wir sind immer­hin Teil dieses Sys­tems. Jede und jed­er von uns muss hell­hörig bleiben, um sich nicht von Irrmei­n­un­gen fehls­teuern zu lassen.

Du arbeitest bei »LÄRM« mit vor­pro­duzierten Videos. In anderen Insze­nierun­gen nutzt du aber auch oft Live-Kam­eras. Was ist da für dich der Reiz?

Wenn ich auf der Bühne mit Live-Kam­era arbeite, kann sie eine gewisse Pen­e­tranz und Härte erzeu­gen und zugle­ich eine enorme emo­tionale Nähe. Alle Beteiligten auf der Bühne inter­agieren – im Ide­al­fall befeuert man sich gegen­seit­ig. Das Tolle an der Live-Kam­era ist ja, dass sie etwas erfahrbar macht, was nur durch dieses Medi­um mach­bar ist. Und auch wenn es inzwis­chen bril­lante Draht­lostech­nik gibt, die mir totale Bewe­gungs­frei­heit bietet, finde ich Live-Kam­era mit Kabel min­destens eben­so inter­es­sant. Da entste­ht ein ander­er Reiz, da birgt das »Unkom­fort­able«, das »Ange­bun­den-Sein« span­nende Ergeb­nisse, weil man sich aus sein­er Kom­fort­zone bewegt. Ich arbeite gern jen­seits mein­er Kom­fort­zone, lasse mich davon antreiben.

Der Jelinek-Text hat einen sehr aktuellen Bezug. Aber mal ganz all­ge­mein gesprochen: Bei was für ein­er Anfrage kön­ntest du nicht nein sagen?

Ich bin immer gle­ich neugierig, wenn es bei ein­er Anfrage nicht um den Effekt geht, son­dern um die Unbe­d­ingth­eit des Medi­ums Bewegt­bild. Grund­sät­zlich finde ich Arbeit­en sehr span­nend, in denen Real­ität und Fik­tion so miteinan­der ver­woben wer­den, dass sie nicht mehr auseinan­derzuhal­ten sind. Wenn Insze­nierung und Film geschickt miteinan­der ver­schachtelt sind, lässt sich nicht mehr unter­schei­den, ob etwas in Büh­nen­zeit geschieht oder vor­pro­duziert wurde. Grund­sät­zlich gebe ich Film­ma­te­r­i­al einen abstrak­ten Schliff, reiße Bilder, die ich gemacht habe, gern ein. Ganz gle­ich, ob bei ein­er Insze­nierung vor­pro­duziertes oder Live-Mate­r­i­al zum Ein­satz kommt, liegt für mich nicht in der Bebilderung des Geschehens der Reiz, son­dern darin, dass das Gefilmte selb­st arti­fiziell ist, eine zusät­zliche kün­st­lerische Ebene auf­macht.

Wo ich defin­i­tiv nicht nein sagen kön­nte: Wenn es darum gin­ge, 16 mm oder einen ein­stündi­gen One-Take zu drehen. Da habe ich nur eine Chance, alles muss sitzen und vor­bere­it­et sein. Wenn etwas nur ein­mal mach­bar ist, entste­ht eine kom­plett eigene Magie.

 

 

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