Bildgewaltige Geschichte

Das Leben einer Königin: "Mary Said What She Said" in der Regie von Robert Wilson zu Gast im Thalia Theater

Robert Wilson und Isabelle Huppert
Der Regisseur und seine Schauspielerin: Robert Wilson und Isabelle Huppert Bild: © Barbara Eismann

Es gibt The­ater­ereignisse, über die man ein­fach schreiben muss, davon ist man zutief­st überzeugt. Voller Verve mailt man an die bei­den Print-The­ater­magazine, für die man als freie Autorin tätig ist. Von einem erhält man gar keine Antwort. Vom anderen etwas in der Art wie: “Diese Schaus­pielerin? Mit der hat­ten wir doch schon mal ein Inter­view. Und der Regis­seur zieht irgend­wie auch nicht mehr so.” So geschehen mit dem Gast­spiel „Mary Said What She Said“, ein­er Insze­nierung von Regie-Alt­meis­ter Robert Wil­son mit Isabelle Hup­pert, mehrfach aus­geze­ich­nete Ikone des franzö­sis­chen Autoren­films in der einzi­gen Rolle. Man kratzt sich am Kopf und ver­ste­ht die Welt nicht mehr so recht. Haben The­ater­leute, die man vor Jahren gesprochen hat, heute nichts Neues zu erzählen? Und hat ein Regis­seur, der Jahrhun­dertin­sze­nierun­gen wie “The Black Rid­er” oder “Ham­let­mas­chine” vorzuweisen hat, nicht auch als alter Herr einen Blick auf seine neuen Werke ver­di­ent?

Robert Wil­son und ich haben eine sehr inten­sive Beziehung. Er weiß nichts davon und das ist in Ord­nung. Als Stu­dentin im Haupt­studi­um habe ich 2001 ein Sem­i­nar mit dem Titel “Trans­for­ma­tion von Sujets” besucht. Wir haben uns sehr inten­siv das Libret­to von Wilsons Vor­lage “Freis­chütz” vorgeknöpft und in Beziehung zu sein­er “Black Rider”-Inszenierung geset­zt. Gefühlt hun­dert­fach haben wir einzelne Szenen auf Video wieder und wieder ange­se­hen und den Ver­such gemacht, die Zeichen zu deuten, die seine magis­chen Bilder erzählen. Am Anfang war da trotz aller Fasz­i­na­tion Skep­sis. Diese Langsamkeit, die Wieder­hol­ung, die Masken­haftigkeit der Gesichter. Doch dann tat sich für mich eine Welt auf. Da hat­te jemand Webers “Freis­chütz” bril­lant gele­sen, die Geschichte auf ihren Kern reduziert, neu erfun­den und bildge­waltig erzählt. Und dann diese Musik!

Großer Stoff im Brennglas

Und jet­zt dieses Gast­spiel “Mary Said What She Said” im Rah­men des neuen Pro­gramm­fokus‘ “Thalia Inter­na­tion­al”, der Gast­spiele, Kopro­duk­tio­nen und Fes­ti­vals aus aller Welt ein­lädt. Autor Dar­ryl Pinck­ney, mit dem Wil­son eine jahrzehn­te­lange Zusam­me­nar­beit verbindet, hat sich keines gerin­geren Stoffes angenom­men, als dem der Köni­gin von Frankre­ich und Schot­t­land: Maria Stu­art hat bere­its Schiller zu einem sein­er meist­ge­spiel­ten Dra­men inspiri­ert – geht es doch in der Auseinan­der­set­zung mit ihrem Leben um die großen The­men wie Herkun­ft, Liebe und Ver­rat. Und wie schon bei Schiller kämpft Maria Stu­art auch in Pinck­neys Monolog um ihre ganz eigene Ver­sion von Wahrheit, um ihren Blick­winkel auf Geschichte.

Dem Text merkt man an, dass nicht nur die Titelfig­ur auf ihrer Wahrheits­find­ung strauchelt – schließlich sind Erin­nerung und Wahrnehmung doch immer höchst manip­u­la­tive Berater –, son­dern auch der Autor bei sein­er Per­spek­tive auf die his­torischen Ereignisse. Sein Blick ist eben­so mit­füh­lend wie zweifel­nd, oszil­liert zwis­chen Fak­ten und Über­liefer­ung, stets bemüht, sein­er Fig­ur Glauben zu schenken und doch an ihrer Unschuld zweifel­nd. Und so gle­icht seine Textfläche ein­er Suche, die sich in ver­schiedene Rich­tun­gen auf­macht, dabei die ein oder andere Schleife zieht, nach vorn prescht, anprangert, Rückzieher macht, klein­laut an Erin­nerungs-Wider­hak­en zurück­ehrt. Manche Pas­sagen wieder­holen sich immer und immer wieder, und das Pub­likum ist auf dieser atem­losen Reise durch sub­jek­tive Erin­nerungs­fet­zen froh um diese Anker, die Wil­son auf die ihm eigene Art stets vari­iert und so mit kleinen Verän­derun­gen den Blick auf die Fig­ur ver­schiebt.

“All the world’s a stage”

Aber zurück auf Anfang. Während des Ein­lass­es rückt Wil­son das The­atrale, Schausteller­hafte an sich in den Fokus: Jahrmark­tsmusik läuft, dazu ein rot­er Samtvorhang, auf den ersten Blick klas­sisch, auf den zweit­en verse­hen mit diversen Ver­satzstück­en unter­schiedlich­er Raf­fun­gen und Goldtrod­deln. Auf etwa zwei Meter Höhe ein opu­len­ter Gol­drah­men, darin ein Schwarz-Weiß-Video, in dem ein klein­er gefleck­ter Hund in End­loss­chleife ver­sucht, seinen eige­nen Schwanz zu schnap­pen. Immer wieder die Ein­blendung der Zeile „You fool me, I´m not too smart“. Als der Vorhang sich hebt, gibt er den Blick frei auf eine dieser Wil­son-typ­is­chen Büh­nen: ein hell­grauer, nahezu end­los­er hin­ter­leuchteter Prospekt, vor dem alles sofort arti­fiziell und scheren­schnit­thaft wirkt. Es wird keine Über­raschun­gen geben, was diese Bühne ange­ht, und doch wird Wil­son, ein Meis­ter des Lichts, ihr bedrohlich­es, warmes, beglück­endes, eisiges Leben ein­hauchen und immer wieder verblüf­fende Illu­sio­nen erzeu­gen.

Isabelle Huppert
Vor der Vorstel­lung eupho­risch begrüßt beim Emp­fang im Thalia-Foy­er: Isabelle Hup­pert
Bild: © Bar­bara Eis­mann

Isabelle Hup­pert ste­ht mit dem Gesicht zum Pub­likum, fast nur schar­fer Umriss, erstar­rt in königlich­er Pose. Rast­lose Stre­ich­er (Musik Ludovi­co Ein­au­di), immer wieder durch­brochen von Kinder­lachen, und dann begin­nt Hup­pert zu sprechen, schnell wie ein Maschi­nengewehr. “Erin­nerung, schütte dein Herz aus”, sagt sie in ihrer Mut­ter­sprache Franzö­sisch, auf dem Por­tal gibt es deutsche und englis­che Über­titelung. Und so fol­gen wir einem atem­losen Par­forceritt in ihr Leben, begin­nend mit der Kind­heit ein­er Köni­gin, die durch den Tod ihres Vaters Jakob V., König von Schot­t­land, im Alter von sechs Tagen Regentin wurde. Maria Stu­art, deren Schick­sal von vorn­here­in vor- und fremdbes­timmt war, in dem niemals Raum bleiben wird für echte Beziehung, gar Liebe. Erst nach etwa 15 Minuten lässt Wil­son ihr Gesicht ausleucht­en, als sie von James Hep­burn spricht, dem Earl of Both­well, einem Aben­teur­er – dem ersten und einzi­gen Mann, den Maria Stu­art wohl liebte, und zugle­ich Anlass für ihren Unter­gang.

Parforceritt durch das Leben einer Königin

Pinck­ney streift in atem­ber­auben­dem Tem­po die his­torischen Ereignisse, größ­ten­teils nur in assozia­tiv­en Anmerkun­gen, die er ganz bewusst nicht auflöst. Das Ver­hält­nis und die spätere Heirat mit James Both­well beispiel­sweise, um die Pinck­ney Marias Erin­nerun­gen immer wieder kreisen lässt, ist – neben den his­torischen und religiösen Umstän­den, die Maria Stu­art let­ztlich die Hin­rich­tung bracht­en, – Anlass für ihre Flucht nach Eng­land. Ihr zweit­er Mann Hen­ry Stu­art, Lord Darn­ley und ihr katholis­ch­er Cousin, war 1567 bei ein­er Explo­sion gestor­ben, und da lag es nahe, Stu­arts Geliebten Both­well der Tat und Maria Stu­art der Kom­plizen­schaft zu verdächti­gen. Die an Por­phyrie erkrank­te Maria Stu­art wird von schot­tis­chen Adli­gen festgenom­men, entkommt mit ein­er kleinen Armee und flüchtet nach Eng­land.

Dass die Offiziere Elis­a­beths sie zunächst in Haft nehmen, dann eine Unter­suchungskom­mis­sion sie freis­pricht und Elis­a­beth sie let­ztlich 18 Jahre unter Hausar­rest stellt, liegt vor allem daran, dass sie die Konkur­rentin fürchtet: Immer­hin kön­nte diese als Enke­lin der englis­chen Prinzessin Mar­garet Tudor, der älteren Schwest­er von Hein­rich VIII. von Eng­land, auch Rechte auf den Thron Eng­lands gel­tend machen. Als 1587 ver­schlüs­selte Briefe an ihre Anhänger abge­fan­gen wer­den, wird Stu­art zum Tode verurteilt. Am Vor­abend ihrer Hin­rich­tung schreibt sie an ihren Schwa­ger Hen­ri III. von Frankre­ich einen Brief, der erhal­ten ist und in Pas­sagen auch in Pinck­neys Text ein­fließt.

Isabelle Huppert zum Niederknien

Genug der Geschichtsstunde. Man muss all das gar nicht wis­sen, um an Hup­perts Lip­pen zu hän­gen. Sie ste­ht im Dia­log mit der Musik von Ein­au­di, teil­weise hat ihre Sprech­weise selb­st eine so hohe Musikalität, dass kaum noch Fokus auf dem Inhalt liegt. Die sich nach und nach wieder­holen­den Pas­sagen in ihrem Vari­anten­re­ich­tum erin­nern zeitweise an das Repet­i­tive von Min­i­mal Music eines Philip Glass. Wil­son ver­stärkt diesen Effekt, indem er sie manche Gänge in Form ein­er liegen­den Acht end­los machen lässt, wieder und wieder, wie in Trance. Sprache und Kör­per­lichkeit wer­den so zum Per­petu­um mobile ein­er ewig sich wieder­holen­den Gedanken­schleife eines wieder und wieder reflek­tierten Lebens. Dann wieder hat Hup­pert das Mar­i­onet­ten­hafte ein­er Puppe, die wie fer­nges­teuert ihrem Schick­sal der Hin­rich­tung ent­ge­gen­sieht.

Ein­fache Mit­tel wer­den bei Wil­son und Hup­pert ganz groß. Durch die Reduk­tion der Form und die min­i­malen Req­ui­siten kann ein Brief, den Hup­pert aus ein­er Büh­nen­klappe nimmt, zu einem Pauken­schlag wer­den. Und Wil­son treibt die Fig­ur mit uner­bit­tlich­er Strenge ihrem Ende ent­ge­gen. Nach all der Reflex­ion, all den Geis­tern aus ihrer Ver­gan­gen­heit, nach der Geschichte von dem Hund, den Maria sich in ihrem Gefäng­nis hielt, und der sich mit ihr zu Tode hungerte, darf Stille einkehren. Wil­son zeigt mit “Mary Said What She Said” erneut sein unglaublich­es Gefühl für Rhyth­mus, Bildge­walt und vor allem: sein Ver­trauen in die Zun­ft des Schaus­piel­ers. Mit Isabelle Hup­pert fand er eine kon­ge­niale Part­ner­in für einen weit­eren atem­losen Abend mit fast schon hyp­no­tis­chem Sog.

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