Ein Hundeleben

Nicolas Stemanns »Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine« am Thalia Theater

Sie find­en die Wahl zum Kotzen? Ne, das finde ich ’ne völ­lig okaye (!) Infor­ma­tion. Ja, die FDP ist raus, ste­ht hier in der BILD. Möcht­en Sie das sin­gen vielle­icht? Ich meine, die Nachricht­en müssen ja raus aus Ihrem Kör­p­er. Vielle­icht machen Sie mal ’ne Trans­for­ma­tion­spar­ty. Nachricht­en sin­gen und tanzen oder so? Nein, nicht?”

Schaus­piel­er Daniel Lom­matzsch schwitzt. Er steckt in ein­er Tele­fonzelle im Seit­en­foy­er des Thalia The­aters, und als wäre das nicht schon been­gend genug, hat man ihn in einen Fat­suit gepackt. Warum, wird nicht klar, aber das macht ja nichts. Lom­matzsch hat Tele­fon­di­enst. Sein Job beste­ht darin, zufäl­lig Num­mern aus dem Tele­fon­buch zu suchen und die Men­schen, die er erre­icht, dazu zu bewe­gen, die Infor­ma­tio­nen aus den Nachricht­en in Energie umzuwan­deln.

Tele­fona­tion” heißt das im Über­sicht­s­plan, den man beim Ein­tritt ins Thalia The­ater über­re­icht bekommt. Die offen­sichtlich ältere Dame am anderen Ende der Leitung will die Nachricht­en zwar nicht tanzen, freut sich aber über Abwech­slung und tele­foniert ambi­tion­iert. Vielle­icht ist das das The­ater der Zukun­ft. Eine Art Tele­fon­di­enst am Volk gegen Ein­samkeit und Iso­la­tion. Ganz gle­ich, das Zuhören ist dur­chaus amüsant.

Im Mit­tel­rang­foy­er klappt das mit der Trans­for­ma­tion von Infor­ma­tio­nen in Energie zumin­d­est bei der Schaus­pielerin im sil­bri­gen Ganzkör­per­body. Sie tanzt Schlag­worte aus den Nachricht­en im Aer­o­bic-Rhyth­mus. “Syrienkon­flikt! Syrienkon­flikt! … Fünf, sechs, sieben acht! Gift­gas! Gift­gas! Und eins …!” Das umste­hende Pub­likum hält Weingläs­er in der Hand und grinst. Immer­hin eine Dame macht begeis­tert mit. Eine schlechte Quote, denn diverse Sta­tistin­nen im Over­all sind um Pub­likum­san­i­ma­tion bemüht. Aber das will nicht so richtig. Man ist eben doch im The­ater und nicht auf der “Mein Schiff 2”. Warm wird es im Foy­er trotz­dem. Also doch Energie.

Zwei Orte des Exper­i­ments, für das Nico­las Ste­mann mit seinem vielköp­fi­gen Schaus­pie­lensem­ble, Musik­ern, Malern, Philosophen und Wis­senschaftlern das Thalia-Foy­er in Aus­nah­mezu­s­tand ver­set­zt. Hier wer­den Nachricht­en vorge­le­sen, als Chan­son ver­tont, es gibt eine Diskur­secke, und als Krö­nung sind die Medi­en­vertreter vor Ort und fil­men. So schließt sich der Kreis. Die Infor­ma­tio­nen kom­men hinein und wieder her­aus aus der Wirk­lichkeits­mas­chine. Ste­mann ist begeis­tert. Und der Gedanke hat dur­chaus seinen Reiz.

Nach zwei Stun­den dür­fen alle schließlich doch in den Zuschauer­raum. Pro­jiziert auf den eis­er­nen Vorhang erzählt das Ensem­ble des Abends von dem Exper­i­ment, die Nachricht­en real wer­den zu lassen. Ein Schaus­piel­er hört Nachricht­en über Kopfhör­er und erzählt sie dem Pub­likum. Beim Bericht über den Ein­satz eines UN-Hub­schraubers fliegt ein fer­nges­teuert­er Spielzeughub­schrauber über die Bühne, der Pro­peller­lärm aus den Box­en ist ohren­betäubend.

Tele­fon­di­enst am Volk (Bild: HHF)

Als das gesamte Ensem­ble ver­schiedene Nachricht­en zeit­gle­ich erzählt, die Gle­ichzeit­igkeit der Infor­ma­tio­nen zu einem viel­stim­mi­gen Brei wird, lassen sich nur noch einzelne Infor­ma­tio­nen erah­nen. Man hört den Satz “In Chi­na gilt Hun­de­fleisch als Delikatesse”, und schon darf eine Hun­desta­tis­terie die Bühne bevölk­ern. Reizende junge Damen mit Hun­de­masken und in schwarz-rot-gold­e­nen Pail­let­ten­trikots auf allen Vieren, die andere Nachricht­en grim­mig ankläf­fen, wenn die Über­hand nehmen. Auf Lein­wand sehen wir einen Flugzeu­gab­sturz, und weil die Außen­re­al­ität inzwis­chen längst das Thalia The­ater über­nom­men hat, dür­fen die Schaus­piel­er den Büh­nen­tod ster­ben, während “Sun­day Bloody Sun­day” von U2 läuft.

Das Ende ist ein wieder­aufer­standenes Ensem­ble, das Kon­fet­ti streut, während eine Mis­chung aus Elch und Mick­ey Maus “Dreams of my Real­i­ty” singt, und die schwarz-rot-gold­e­nen Hundedamen tanzen. Von der Lein­wand spricht ein erschöpfter Schaus­piel­er, sie seien immer so müde gewe­sen während des Exper­i­ments. All diese Nachricht­en, die Wirk­lichkeit wur­den – das hält ja auch wirk­lich kein­er aus. “Es ist nicht wichtig, ob die Wirk­lichkeits­mas­chine existieren kann,” sagt ein­er auf der Lein­wand. “Die Wirk­lichkeits­mas­chine hat kein Ergeb­nis.” Lei­der muss man dem zus­tim­men. Der Impe­tus ist klar. Die Nachricht­en über­rollen uns schon mal, und schön ist die Wirk­lichkeit meis­tens nicht. Das ist eine etwas dünne Erken­nt­nis für einen fün­ftägi­gen Aus­nah­mezu­s­tand. Aber so ist das nun mal mit Exper­i­menten. Man weiß vorher nie um ihren Aus­gang.

 

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