Frenesi

Spätwerk & Dauerbrenner: Arsen & Spitzenhäubchen mit Eva Mattes & Angela Winkler im St. Pauli Theater

Boris …? (Bild: Jim Rakete/St. Pauli The­ater)

Als der amerikanis­che Jazz-Klar­inet­tist und Band­leader Artie Shaw 1939 nach Mex­i­co kam, wollte er sich erholen – kurz zuvor hat­te er sich von sein­er Big Band getren­nt. Am Strand in der Sonne liegend, hörte er einen Fis­ch­er ein Lied sin­gen, das ihm sehr gefiel, er stürzte zurück in sein Hotelz­im­mer und schrieb sofort ein Arrange­ment. Kaum abgereist, konzip­ierte er ein neues Orch­ester und ergänzte es um ein Stre­icherensem­ble. Der neue Sound sollte viel ele­gan­ter wer­den, wie gemacht für seine mexikanis­che Urlaub­sent­deck­ung. Die neue Plat­te wurde der Hit des Jahres 1940 und verkaufte sich über 3 Mil­lio­nen mal. Kurz nach der Veröf­fentlichung kam ein klein­er Mexikan­er zu ihm und klärte ihn auf, dass sein neuer Erfolg mit­nicht­en ein Fis­cher­lied­chen sei und der Rum­ba-König Xavier Cugat die Plat­te schon 1939 aufgenom­men hat­te: “That cost me a mil­lion or so.”, erin­nerte sich Shaw dann später in seinen Mem­oiren. Der Song heißt Fre­n­e­si, “Wahnsinn”.

Man hört diesen Song gle­ich zu Anfang von Ulrich Wallers nun schon ins vierte Jahr gehende Insze­nierung des All-Time-Boule­vard-Klas­sik­ers “Arsen und Spitzen­häubchen” im St. Pauli The­ater. Solcher­lei Kost ist man an der Reeper­bahn gewohnt, auf der anderen Strassen­seite macht das Impe­r­i­al-The­ater solide Krim­ikomö­di­en­ar­beit, die ihr Pub­likum find­et, immer ein biss­chen an der Char­gen­gren­ze, aber eben solide. Da klap­pen die Türen auf und zu und am Ende war’s der Gärt­ner oder eine ähn­lich zwielichtige Gestalt. Warum ist also nach fast vier Jahren die Hütte auf dieser Seite des Weges immer noch voll, obwohl die vor­wiegend ältere Gen­er­a­tion, die das St. Pauli The­ater in der Regel besucht, den skur­rilen gle­ich­nami­gen Filmk­las­sik­er von Frank Capra mit dem immer ele­gan­ten Cary Grant ver­mut­lich halb auswendig ken­nt?

Es mag am Erfolg des Filmes liegen oder am Gefall­en an grossen Namen, dem Ver­lan­gen, endlich ein­mal die aus Film, Funk und Fernse­hen bekan­nten Gesichter von Nahem zu sehen, ein Angel­hak­en-Konzept, dem das Haus in vie­len Pro­duk­tio­nen fol­gt, nicht immer mit For­tune. Denn hier ist so mächtig aufge­fahren wor­den, Eva Mattes, Angela Win­kler, Ste­fanie Stap­pen­beck, Chris­t­ian Redl, Uwe Bohm, sie tra­gen alle diese über-promi­nen­ten Namen. Und wahrschein­lich geht so manch­er auch deswe­gen hin.

Nun muss es kom­men, das bedenk­ende “aber”, und hier sitzt dieses “aber” beson­ders bre­it und behäbig im The­aters­es­sel. Denn die kleine Boule­vardeske ist  handw­erk­lich auf das Aller­präzis­es­te gear­beit­et, die Rhyth­muswech­sel, die etwas erzeu­gen, das mit dem auto­mo­bilis­tis­chen Wort “Vor­trieb” tre­f­flich beschrieben sein kön­nte, erk­lären das genau so deut­lich wie die in die Szenen­wech­sel einge­bun­de­nen Radio-Broad­casts der Artie-Shaw-Band von 1941 – zeit­geschichtliche Veror­tung genau wie Fre­n­e­si als the­ma­tis­ches Zitat des Stück­es. Und nicht nur das, es wird gespielt.

Peter Zadek hat­te, das wird oft beschrieben, einen beson­deren Stil zur Moti­va­tion und Insze­nierung sein­er Schaus­piel­er, der nicht immer direkt war. Häu­fig ziel­ten seine Regieein­las­sun­gen neben das Ziel, um eine beson­dere Hal­tung zur Fig­ur zu erre­ichen. Im Gegen­satz zu den “du bist, also mach”-Auf­forderun­gen amerikanis­ch­er Schaus­pielar­beit geht der dieser Weg über das Gefühl und die Hal­tung, nicht über die Vorstel­lung und das vorder­gründi­ge Ver­ste­hen. Beobachtet man Eva Mattes als gift­mis­chende alte Dame Abby Brew­ster, merkt man diese Herange­hensweise sehr schön. Nicht die tech­nis­che Umset­zung ältlichen Gebrechens ist das Mit­tel zur Iden­ti­fika­tion mit der Fig­ur, nicht gebeugter Gang oder Ähn­lich­es, es ist tat­säch­lich so etwas wie Hal­tung, eine Kon­fronta­tion mit der Fig­ur. Das funk­tion­iert sog­ar auf der Komö­di­en­bühne, auch Meis­ter Zadek war dem Genre ja wirk­lich nicht abhold.

Und es ist so ein­fach. Eva Mattes Stimme, die immer noch weich und mäd­chen­haft sein kann, wan­dert um ein paar Grade weit­er nach hin­ten in den Rachen­raum und schon ist ihre Fig­ur um 20 Jahre geal­tert. Wohlge­merkt, das ist kein “Ver­stellen” der Stimme, es ist da, kommt aus ihr her­aus, ohne merk­lichen tech­nis­chen Ein­satz. Ihre Bewe­gun­gen sind nur ein wenig entschle­u­nigt, das genügt zur Zeich­nung.

Ähn­lich sub­til arbeit­et Angela Win­kler, immer­hin 10 Jahre älter als ihre Part­ner­in, auch hier eine leichte Vokalver­schiebung, ein wenig in den Diskant gerutscht, klein­er und fil­igraner, ein paar Trip­pelschritte dazu, fer­tig ist Greisin. Aus dieser bei­der Hal­tun­gen her­aus machen sie sich einen echt­en Spaß, die naiv­en Mord­damen zu geben, über das Tim­ing muss man eigentlich kein weit­eres Wort ver­lieren und mit Freude bedi­enen sie auch den Kla­mauk des Textes. Wann hat man so was am Boule­vard gese­hen? Kaum je.

Mit zur alten Fam­i­lie gehören auch Uwe Bohm und Chris­t­ian Redl, bei­de auch Mit­stre­it­er aus jenen Ham­burg­er Tagen, als die Kirchenallee noch eine Bas­tion war, eine Fes­tung des Ver­spiel­ten und des Exper­i­ments. Uwe Bohm ist nie nuan­cen­re­ich­er Schaus­piel­er gewe­sen, er war immer ungestüm und straßen­char­mant, das ist ihm geblieben. Was nach ihm kam an Jungs mit Street Cred­i­bil­i­ty, waren die dröh­nen­den Kraft­meier vom Schlage eines Ben Beck­er. So ein­er ist er nicht.

Es ist im Übri­gen schw­er amüsant, zu sehen, wie das Armgeschlenker seines “Andi” die Zeit­en über­dauert hat. Er ist ein boden­ständig verzweifel­ter Mor­timer Brew­ster, kein Cary Grant, aber er ist zu Hause. Und er hat die reizende Ste­fanie Stap­pen­beck an sein­er Seite, ein Prädikat, das ein­er Darstel­lerin dieses Kalibers natür­lich nicht gerecht wird, aber zu viel mehr ist da kein Platz. So ist Hol­ly­wood, manch­mal.

Chris­t­ian Redl ist Adolf Hitler. Also, eigentlich ist er nicht Adolf Hitler, son­dern der ver­schol­lene und wieder aufge­tauchte Serien­mördern­effe Jonathan. Er sieht nur aus wie Adolf Hitler, das grosse Mon­ster des 20. Jahrhun­derts. Am Broad­way spielte einst Boris Karloff den Jonathan. Franken­steins Krea­tur, für immer. Nach seinen unzäh­li­gen Gesicht­sop­er­a­tio­nen durch seinen Kumpel Dr. Ein­stein – George Mey­er-Goll, der hier den Peter Lorre geben muss und zum Glück gar nicht erst in Ver­suchung gerät, da irgend­was zu imi­tieren – sieht das Mon­ster eben so aus. Noch so eine Zeitveror­tung, die allerd­ings nicht so ganz lubitsch ist.

Redl ist auch ein­er aus der alten Crew, sieht fies aus und hat diesen undankbaren Part ohne Entwick­lungsmöglichkeit­en und einen klitzek­leinen Hänger. Was egal ist. Am Ende sind alle glück­lich, das Ensem­ble, weil jed­er offen­bar das gemacht hat, was ihm am meis­ten Spaß macht und der Rest, der auch noch dabei ist, hat den auch. Was jet­zt endlich erk­lärt, warum das Ding schon so lange läuft.

Was man sich über­legen kön­nte, sähe man von Ort, Stoff und Boule­vard hier ein­mal ab – wäre das, was man hier sieht, nicht eine Per­spek­tive für das Zukun­ft­sthe­ater Haupt­bahn­hof? Schaus­piel­er, die spie­len und nicht Konzepte umset­zen? Regis­seure, die Boden bere­it­en für solche Schaus­piel­er? Das wäre Wahnsinn. Fre­n­e­si.

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