Homo Sociologicus – eine Tirade

Betrachtungen zu einem Minister

Das ist doch eine hüb­sche Vorstel­lung: Da sitzt der Stu­dent in sein­er 1‑Z­im­mer-Dachgaube, umgeben von Büch­ern und Papi­er, an seinem aus Teek­isten zusam­mengez­im­merten Schreibtisch und hackt auf sein­er Olympia Moni­ka herum. Damit er nicht friert, hat er sich in eine alte Step­pdecke gewick­elt, seine Augen sind rot­gerän­dert vom Schlafentzug. In der Kochnis­che ste­ht die junge Frau und schmiert ein Vol­lko­rn­brot mit Mar­garine, auf dem Arm ein schreien­der Säugling, an ihrem Rockzipfel das zweite Kind, das nur flüsternd zu fra­gen wagt, wann es denn mit Papa spie­len darf. Irgend­wann brum­melt der Vater “Wo hab ich denn nur …?” und im sel­ben Moment klem­men die Typen­hebel der Moni­ka. Und genau in diesem Moment ver­liert er den Überblick über die Quel­len­lage, geschuldet der Mehrfach­be­las­tung als junger Fam­i­lien­vater, Erwerb­stätigkeit und wis­senschaftlich­er Beschäf­ti­gung …

Natür­lich ist die Dok­torar­beit von Karl-Theodor zu Gut­ten­berg nicht so ent­standen. Es ist eine Mut­maßung, genau wie all die anderen, ob nun ein unfähiger Ghost­writer am Werke war oder der zeich­nende Autor selb­st, ob von Bun­destagsmi­tar­beit­ern mit Quellen ver­sorgt oder nicht. Wir wis­sen es nicht, vielle­icht wer­den fähige Kol­le­gen das irgend­wann ein­mal her­aus­bekom­men. Der Titel ist aberkan­nt, das Werk nach­weis­lich nicht pro­mo­tion­swürdig. Darüber ist viel geschrieben wor­den in der berich­t­en­den Tages-Presse, auch mah­nende Stim­men sind zu hören, das alles “sei nicht so wichtig” angesichts der Welt­lage und wegen “der paar Fußnoten” solle man doch “einen guten Mann nicht kaputtmachen”, das schrieb der Hof­narr der BILD-Zeitung, Franz Josef Wag­n­er. Abge­se­hen von der Prü­fung der Güte der poli­tis­chen Arbeit, die dem Vertei­di­gungsmin­is­ter noch bevorste­hen wird, schwebt über dem Ganzen ein ganz andere, sehr, sehr düstere Wolke.

Denn – was ist von ein­er Gesellschaft­skul­tur, und hier wird das The­ma dann außeror­dentlich feuil­leton­srel­e­vant, zu hal­ten, deren Beurteilung ein­er öffentlichen Per­son bes­timmt wird von der Diver­si­fika­tion eines Men­schen in seine sozialen Rol­len­bilder? Anders gesprochen: Ist der Min­is­ter als Min­is­ter ein “guter Mann”, der Mann als Autor aber ein Fälsch­er und das ist sein Pri­vatvergnü­gen? Und die näch­ste Frage muss laut­en: Welchen Stel­len­wert haben Urhe­ber­schaft und wis­senschaftlich­er Diskurs in dieser Gesellschaft?

Der Löwe wacht …
Der Löwe wacht …

Angesichts der jüngst veröf­fentlicht­en ARD-Umfrage über die Beliebtheit des Mannes als Min­is­ter – der “Beliebtheit­squo­tient” Karl-Theodor zu Gut­ten­bergs in der Öffentlichkeit ist während der “Dok­tor-Debat­te” sog­ar gestiegen – wird klar: Bei­de Werte sind vol­lkom­men bedeu­tungs­los gewor­den.

So stellt sich die Auseinan­der­set­zung über ein­er an sich vol­lkom­men unbe­deu­ten­den Dis­ser­ta­tion dar als Kon­fronta­tion zwis­chen skru­pel­losem Prag­ma­tismus (“Dok­tor­grad schmückt die Kar­riere”) und der intellek­tuellen Beschäf­ti­gung mit The­men (“Nur ein paar Fußnoten”). Beson­ders absurd wirken angesichts dieser Sit­u­a­tion die Forderun­gen nach Exzel­len­zini­tia­tiv­en in diesem Land, nach einem Mehr an wis­senschaftlich­er Qual­ität im inter­na­tionalen Ver­gle­ich. Vor nicht allzu­langer Zeit war ein Buch, das sich diese Forderun­gen zu eigen machte und so vehe­ment wie zweifel­haft ver­trat, ein Best­seller. Der Autor hieß Thi­lo Sar­razin. Das sagt sehr viel aus über den Stel­len­wert von Wis­senschaft in dieser Gesellschaft, viel mehr als die dubiosen Äußerun­gen zur Entste­hung der Pla­giate. Es ent­larvt all die kon­ser­v­a­tiv­en Forderun­gen nach mehr wis­senschaftlich­er Kul­turleis­tung als bloße Staffage. Wichtig ist die Außen­wirkung, nicht etwa der Inhalt. Und in welche gesellschaftlichen Bere­iche sich das noch fort­trägt, darüber mag nun jed­er sel­ber nach­denken. Ger­ade hier in Ham­burg.

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