Ja, wo laufen sie denn?

Der Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó bringt mit "Die Zeit der Besessenen" seine Theaterbearbeitung von Fjodor Dostojewskis "Dämonen" auf die Gaußstraßenbühne

In ein­er windi­gen Einöde turnt ein Mäd­chen am ros­ti­gen Gelän­der. Wat­teweiß ist der Boden, und sie trägt doch nur eine Train­ing­shose mit Kapuzen­jacke. Das Kind muss doch frieren, denkt man. Aber das tut es nicht. Eiskalt ist das Ding. Katzen wird es aufhän­gen im Laufe des Abends und Frauen ertränken. Vom Dämon besessen ist es, und der Vater wird erzählen, dass seine Frau nach einem Reak­torunglück schwanger wurde. Das Kind, es wollte nicht hin­aus in diese Welt, nach elf Monat­en habe man es geholt. Her­aus­geschnit­ten.

Gruselig, denkt der Zuschauer, der schon Atom­bomben hat explodieren sehen auf der Lein­wand und weiß, der Regis­seur, er kon­nte den aktuellen Bezug nicht lassen. Aber was zum Teufel – Verzei­hung! – zum Dämon hat das hier zu suchen? Das Böse, kommt es, sich zu rächen? Kommt es in Form eines Reak­torunglücks in Japan? Kommt es in Form eines stum­men Mäd­chens, das alp­träumt und dann schre­it, schre­it, schre­it, das anson­sten stumm mit ein­er schwarzen Katze auf dem Arm über die Bühne stre­icht? Ein Mäd­chen, das rus­sis­chen Rev­o­lu­tionären in der Sinnkrise sagen kann, was sie in der let­zten Nacht geträumt haben, das immer wieder den Fin­ger an die Lip­pen legt mit bedeu­ten­dem Blick ins Pub­likum. Ach, und es kann die Gedanken bee­in­flussen. Dafür legt es die schmale Hand auf den rasierten Rev­o­lu­tionärs-Schädel und hebt die andere Hand mit gereck­tem Zeigefin­ger, als wolle es nach Hause funken in eine fremde Galax­ie.

Aber zurück zum Anfang. Zwei rus­sis­che Rev­o­lu­tionäre aus Dos­to­jew­skis Dämo­nen-Roman, Niko­lai Stawro­gin und Piotr Wer­chowen­skij, tre­f­fen aufeinan­der an einem ehe­ma­li­gen Flug­platz in den USA. So abgele­gen und gottver­lassen ist es dort, dass man eher Sibirien ver­muten würde. Hier gibt es nichts außer einem ros­ti­gen, ver­glas­ten Wach­turm-Häuschen und ein­er Art freis­te­hen­dem Trep­pen­ver­schlag, unter dem der Vater des Mäd­chens mit der Kleinen haust. Da kann man hin­auf­steigen und sehen, wenn sich jemand nähert, auch aus großer Ferne. Die Bühne ist ohne­hin ein Geschenk (Ausstat­tung: Már­ton Ágh). Nicht nur, dass sie in ihrem ver­rot­teten, ver­rosteten Zus­tand das kaputte Innen­leben der­er spiegelt, die auf ihr stre­it­en, ren­nen, saufen, schreien, beißen, lei­den, vögeln und ver­let­zen. Sie ist auch von solch­er Schön­heit und Ein­samkeit, dass man sich in ihrer Betra­ch­tung schon mal ver­lieren mag, wenn einem das Büh­nengeschehen zu bunt wird.

Die Rev­o­lu­tionäre jeden­falls tre­f­fen sich, um ein großes Atten­tat abzuschließen, soviel ver­ste­ht das geneigte Pub­likum. Piotr kommt mit seinem Gehil­fen Iwan Scha­tow, bei­de sind voll wie die Eimer mit rus­sis­chem Wod­ka. Wenn so die Rev­o­lu­tion aussieht, na, dann gute Nacht. Aber Piotr und Iwan, sie bren­nen. Sie bren­nen für die Sache und wollen sich bei dem Atten­tat in den Tod stürzen. Niko­lai verehren Sie wie einen Mes­sias: “Sie sind der neue Führer ein­er neuen Welt. Und ich werde Ihnen mit meinem Kör­p­er den Weg öff­nen.” Nur aus diesem Grund lassen sie sich sog­ar eine Frau als Flu­glehrerin vor die Nase set­zen. Franziska Hart­mann als Lisa Leb­jad­ki­na hat die Hosen an. Alles was sie auf der Bühne tut, tut sie zu 100 Prozent. So liebt sie ihren mageren Rev­o­lu­tionär Niko­laj, dem die Rev­o­lu­tion­sid­ee abhan­dengekom­men ist. So arbeit­et sie mit den abge­halfterten Ko-Rev­o­lu­tionären am Flugsim­u­la­tor. So schüt­tet sie den Kartof­fel-Wod­ka in sich hinein, als gäbe es kein Mor­gen. So lei­det sie an der Liebe­sun­fähigkeit Niko­la­js, ver­beißt sich in seinen Hals, bis das Blut rin­nt, lässt sich schla­gen, ver­let­zen und demüti­gen von den ver­ro­ht­en Män­nern. Und so ficht sie let­ztlich ihren Todeskampf, lang, kraftvoll und (beina­he) unbeugsam.

Über­haupt gibt es einige wun­der­bare Momente auf der Bühne. Momente, in denen man merkt, dass da ein­er vom Film kommt, dass er simul­tan Dinge erzählt, die einan­der kom­men­tieren und ver­schär­fen. Wenn draußen beim Wod­ka über den (Un-) Sinn eines Selb­st­mord-Atten­tats philoso­phiert wird, über die Liebe zum Dasein und dessen Sinn-Losigkeit, übt drin im Auf­sicht­shäuschen der betrunk­ene Piotr am Flugsim­u­la­tor. Innen auf die Rück­wand pro­jiziert, sehen wir durch die Glass­cheibe hin­durch, wie er das Steuer wild von oben nach unten reißt, sehen das Flugzeug abstürzen, sehen die Com­put­er-ani­mierte Explo­sion mit viel Rauch, Blitz und Kawumm. Piotr lacht. Schwitzt. Schre­it. Säuft. Und draußen ein stiller Moment des Ein­ver­ständ­niss­es zwis­chen Lisa und Scha­tow, ein­er dieser betrunk­e­nen Augen­blicke, in denen man kurz das Gefühl hat, den Grund für diese Exis­tenz greifen zu kön­nen. Und den Bruchteil ein­er Sekunde später stürzt er ab, der Gedanke, macht sich selb­st zunichte, und es ist, als sei er nie gedacht wor­den.

Kalt (Quelle: Thalia The­ater)

Den­noch: So nah man sich ihnen manch­mal fühlt, man ver­ste­ht sie nicht, diese verzweifelt ren­nen­den Krea­turen auf der sibirischen Bühne. Die Ide­olo­gie trans­portiert sich nicht. Man mag denken, das sei Absicht. Denn schließlich ist die Idee den Rev­o­lu­tionären abhan­dengekom­men. Oder wie Niko­lai es aus­drückt, als er das geplante Atten­tat abbricht: “Auf ein leeres Herz kann man nicht schießen.” Und sein Herz, es ist leer wie die Wod­kaflasche im Schnee vor dem Wach­häuschen. Ohne Frage: Man sieht ihnen gerne zu, diesen wun­der­baren Schaus­piel­ern. Und man begreift auch die Sin­nentleertheit der fanatis­chen Idee. Aber den Teufel auf der Bühne, die Dämo­nen Niko­la­js, die sieht man nicht. Man sieht ein schlak­siges Mäd­chen an der Gren­ze zum Teenag­er, das mit all der ihm möglichen Kraft ver­sucht, seinen dün­nen, fast durch­sichti­gen Kör­p­er zum Medi­um zu machen für das Unerk­lär­liche. Aber es funk­tion­iert nicht. Da hat die Regie sich ver­pok­ert. Dos­to­jek­wskis abgründi­ge Magie sper­rt sich – wie so oft – dage­gen, sich auf die Bühne trans­portieren zu lassen. Und ein paar Atom­pilze, die pro­jiziert wer­den, wenn der Vorhang fällt, kön­nen da lei­der auch nicht helfen.

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