Kosmische Unruhe

Zur Sommerdebatte über das Hamburger Sprechtheater: Eine bürgerliche Kränkungsgeschichte

Was um alles in der Welt mag eine ehren­werte The­aterkri­tik­erin bewe­gen, eine Debat­te zu lancieren, die beina­he so alt ist wie das The­ater selb­st? Mit einem entzück­end entrück­ten “man” begin­nt die Klage der Ent­täuscht­en, und das vor­ge­tra­gene Lamen­to beschreibt den Ver­lust des Erfreulichen im aktuellen The­atergeschehen, vor allem dem Ham­burgs. Nicht mehr lin­ear, “mit tra­di­tionellen Mit­teln” werde erzählt, nein, nicht auf das Dra­ma werde sich konzen­tri­ert, son­dern der mehr oder weniger dif­fuse Begriff der “Auf­führung” würde zele­bri­ert. Wie bekan­nt kommt einem dieser Gesang vor, als einst ein gold­beknöpfter Ham­burg­er Bürg­er­meis­ter einen min­destens eben­so so großen Ver­lust beklagte, ihm fehlte damals die “Wieder­erkennbarkeit” der Klas­sik­er. Die Causa war zu dieser Zeit Ernst Wendts “Min­na von Barn­helm” am Deutschen Schaus­piel­haus, darüber sich heutzu­tage zu wun­dern, erscheint zutr­e­f­fend.

Jedoch, der Klagege­sang ist ähn­lich­er Natur, der Wertev­er­fall wird beklagt, das Ehe­ma­lige, der Rück­blick zum Ziel erhoben. Früher war eben alles bess­er, da war noch richtiges, “mehr” The­ater, die Stücke ver­ständlich, im Sinne des Textes, im Sinne des Autors und vor allem im Sinne des Zuschauers. All das ist bekan­nt, die Debat­te war auch schon vor des Bürg­er­meis­ters Schelte da. Kon­nte diese bürg­er­meis­ter­liche Inter­ven­tion noch als das Urteil des bürg­er­lichen Laien­zuse­hers abge­tan wer­den, ist die Lage aber nun wohl anders.

Hier meldet sich jemand “vom Fach” zu Worte, eine Kri­tik­erin, die die Höhen und Tiefen der Ham­burg­er The­ater­land­schaft über viele Jahre begleit­et und kom­men­tiert hat. Viel Erfahrung ist da im Spiel, das mag zu denken geben, und zumin­d­est fühlen sich die bei­den pro­fil­iertesten Inten­dan­ten der Stadt, Amelie Deu­fl­hard und Joachim Lux, bemüßigt, dazu Stel­lung nehmen zu müssen. Deren Hal­tung ist klar, das “Non” ist laut und deut­lich, und bei­de recht­fer­ti­gen ihre Arbeit mit dem großen Pub­likum­szus­pruch der jew­eili­gen Pro­gramme. Das müssen sie auch, der Vor­wurf elitär­er Kun­star­beit ist zeit­typ­isch ver­pönt, vor Jahren, in Zeit­en, als die Kun­st und auch das The­ater ein Ort der poli­tis­chen Debat­te war und die Gren­zen der gesellschaftlichen Akzep­tanz viel weit­er gesteckt, da war das noch anders. Hier soll nach Mei­n­ung der Autorin die Debat­te ange­siedelt sein, in den Kri­te­rien ein­er bre­it­en Pub­likum­sakzep­tanz, die ja dem von ihr Beobachteten fehle. Das aber ist falsch.

Der post­drama­tis­che Augen­blick, oder …?

Und wieder spielt die Angst des Bürg­ers eine Rolle. Der Ver­lust des Ver­traut­en, das Unbe­ha­gen, sich vom repro­duzier­baren, vom Nachvol­lziehbaren lösen zu müssen, ist die Triebfed­er dieses Gedankens. Ist es seit je der Text, der die Sicher­heit ver­heißt – die zu bewahrende Keimzelle der Lit­er­atur, auch der drama­tis­chen –  da nach­les­bar und nachzu­ver­fol­gen ist, ist es anscheinend nun die zeit­genös­sis­che Auf­führung­sprax­is, die Unruhe gener­iert. Das Kollek­tiv der “mans” erschrickt vor der Kun­st­fer­tigkeit des Darge­bote­nen, dem Willen ein­er Annäherung an den Stoff, die nicht allein die Nar­ra­tion eines Dra­mas ist, son­dern einen weit­en assozia­tiv­en Raum absteckt.

Ver­mut­lich geht diese Furcht vor der Ver­nich­tung des erzäh­len­den Dra­mas noch viel tiefer als die Furcht vor dem Ver­lust des Textes, gegen die man ja immer­hin noch mit dem Bestreben nach dem Bewahren eines Werkes argu­men­tieren kann. Wenn denn nun alles ver­loren ist, der Text, die Auf­führung, das Dra­ma an sich, in welch­er Halt­losigkeit bewegt “man” sich als Zuschauer dann noch? Dann ist sie nur zur ver­ständlich, sie Sehn­sucht nach dem “echt­en” The­ater, den “gehor­samen” The­a­ter­di­enern, die abhan­den gekom­men sind. Aber: “Es geht nicht darum, das Pub­likum mit tran­szen­den­ter kos­mis­ch­er Unruhe zu lang­weilen.”, so sagt der große Ängstliche des The­aters, Antonin Artaud. Er befre­ite sich und entwick­elte Visio­nen.

Wo liegt also die Chance, wo liegt das the­atrale Glück jen­seits der Angst vor dem Unwäg­baren, dem Ungewis­sen? Genau in der Idee, seine Gedanken um ein The­ma “gefäl­ligst selb­st zu entwick­eln” und ebendiese Visio­nen zu haben. Eine Kri­tik an der Schän­dung des Werkes durch einen autarken Leser, der sich durch seine Lek­türe angeregt fühlt, seine Gedanken­räume zu erweit­ern, würde uns in der Bel­letris­tik niemals ein­fall­en. Warum dann im The­ater?

 

2 Kommentare

  1. Ich glaube, zu wis­sen, was die “ehren­werte The­aterkri­tik­erin” bewogen haben kön­nte: die gute alte Saure-Gurken-Zeit. Für diese Annahme spricht, dass ver­gle­ich­bare Debat­ten nahezu alljährlich im Som­mer angestoßen wer­den, um ein paar Tage lang in den kon­ser­v­a­tiv­en Feuil­letons gepis­cht zu wer­den — und dann wirkungs­los zu ver­sanden. Weil sie von falschen Prämis­sen aus­ge­hen, weil sie lang­weilig sind, weil sie Argu­mente benutzen, die schon vor Jahren kein­er Diskus­sion stand­hiel­ten.

    Es ist müßig.

    • Das mag ja sein und ist sich­er ein Som­mer­lochthe­ma, das ist unbe­strit­ten. Aber das unkom­men­tiert ste­hen lassen, im aufla­gen­stärk­sten Print­medi­um der Stadt? Nein!

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*