Nun ists gut.

Kleist Penthesilea am Deutschen Schauspielhaus

Es ist etwa ein Uhr Nachts. Auf dem Bahn­steig der Ham­burg­er U‑Bahnstation Haupt­bahn­hof Nord ste­ht ein junger Mann und tele­foniert laut in sein Handy hinein. “… jaja, musste noch arbeit­en … war echt anstren­gend … Pre­miere.” – “Penthe­silea …” – “… eine Liebesgeschichte … die ver­liebt sich in Achill – den hast du vielle­icht schon mal gehört” – “… die darf den erst kriegen, wenn sie ihn besiegt hat.” In der Tat, so ste­ht es im Prinzip geschrieben. Und man hat in dieser Pre­miere alles gese­hen, was das zeit­genös­sis­che The­ater zu bieten hat. Video­pro­jek­tio­nen, einen lock­er beset­zten Zuschauer­rang auf der Drehbühne, eine hüb­sche Gasse im Zuschauer­raum und bespielte Ränge. Und auch hier nun schon zum wieder­holten Male das Pri­mat des Mikro­fons, wie in Ste­mans Nathan am Thalia. Da scheint sich eine neue Mode am The­ater zu entwick­eln, die Konzen­tra­tion auf das gesproch­ene Wort ein­mal anders als bei den Gral­shütern der Text­treue zu ver­wirk­lichen. Und in den bere­its gese­henen Proben dieser Mode diente das ja dur­chaus der Wahrheits­find­ung …

Nun denn, so begin­nt es denn auch. In schön­ster Jan­dlsch­er “schtzngrmm”-Manier, das Ensem­ble im Orcher­ster­frack, die Stüh­le gegeneinan­der ver­set­zt, ein Stand­mikro­fon ein Jed­er. Eine laut­ma­lerische Gefecht­szene, die die quälende, beina­he 700-ver­sige Kleistsche Tei­choskopie der ersten Bilder erträglich macht. Schon hier ist klar, das sich Roger Von­to­bel dem oft als unspiel­bar geschmäht­en Stück hero­isch ent­ge­gen­wer­fen wird. Die Bühne eng, ein Schlauch, par­al­lel zum Büh­nen­rand, begren­zt (hier noch) von Rampe und rück­seit­ig durch den zusät­zlichen Zuschauer­rang auf der Bühne. Der dient denn auch für die schnellen Auf- und Abgänge und als Spielort, eine kleine Jess­ner-Treppe. Flankiert von Musik­ern, die das Ganze nach Bedarf mit Rock­stahlge­wit­tern oder Tonat­mo­sphären bedeck­en. Schon hier begin­nt im Kleinen die Auseinan­der­set­zung mit den The­men des Stücks. Das erste gewon­nen Schar­mützel der Griechen­truppe gipfelt in eitler Rock­star­pose (Mikro­fon­stän­der! Head­banger!) und üblem Ramm­stein­sound (“Heil Peleus!”). Geschlechter­rollen auf den Punkt gebracht – This is a man’s world … Die Mäd­chen machen es nicht bess­er – der Auftritt der Ama­zo­nen bietet Girl­grouperie und ganz ähn­lichen Mack­ertin­nef, dies­mal lautet der “Who’s the Queen? Make Love”. Aber anders als bei anderen Kol­le­gen arbeit­et Von­to­bel nicht mit dem Pop als Aus­druck­ser­satz, der Sound­track – so heißt das ja nun­mal im Film (Achtung! Gen­rewech­sel!) – son­dern nur als Aperçu eines Ges­tus. Die Rock­star­pose ist nur hohl und leer in ihrer Behaup­tung der Ent­gren­zung, die  find­et ander­swo statt, im Stück wie in der Insze­nierung. Erstaunlich.

Jana Schulz (Bild: DSH)

Jana Schulz ist in Ham­burg inzwis­chen eine Art Jungstar und wird auch als Penthe­silea eupho­risch gefeiert. Sie gilt als sportiv, kör­per­lich und nicht als fil­igrane See­le­nak­trice. Trotz­dem man­gelt es ihr eige­nar­tiger­weise ger­ade hier, bei allem druck­vollen Ges­tus, an kör­per­lich­er Präsenz. Sie ist nie ganz vorhan­den, sei es in Gefechts- oder Liebes­din­gen, die ja im Kleistschen Ama­zo­nen­re­ich so dicht beieinan­der liegen. Und diese bemerkenswerte Schwäche nutzt Von­to­bel glück­re­ich. In der sicher­lich spek­takulärsten Szene dieser Auf­führung, dem Aufeinan­dertr­e­f­fen zwis­chen Achill und Penthe­silea wird nicht – kalkulierte man grob und gemein – hoff­nunsvolle Annäherung ver­sprochen. Vielmehr wird die näch­ste Ebene einge­zo­gen, für das Pub­likum find­et die Szene auf ein­er Lein­wand statt, Achill filmt Penthe­silea im Bre­it­bild­for­mat und kommt ihr so näher als jed­er andere. Das ist hol­ly­wood­esk und eigentlich ganz und gar the­ater­fern. Und es spielt mit dem Klis­chee der Liebesszene schlechthin, der im Kleistschen Kos­mos immer wiederkehrende Holler­busch mutiert zum Brett mit auf­ge­nagel­ten Plas­tik­blu­men. Das ist kein Effekt mehr, son­dern über­schre­it­et Gren­zen der Intim­ität und Gren­zen des The­aters.

Denn die Idee hin­ter Kleists Stück ist die ein­er Ent­gren­zung und vor allem deren Behaup­tung. Das hat Roger Von­to­bel ganz offen­bar ver­standen und ein­leuch­t­end umge­set­zt. Die Destruk­tion von Sprache und Illu­sion set­zt bei ihm schon viel früher ein als bei Kleist, der in den let­zten Bildern von Penthe­silea zu ein­er einzi­gar­ti­gen Ver­flüch­ti­gung des Gesagten anset­zt. Aus Versen wer­den da Halb­sätze, aus Worten wer­den Laute. Keine Ord­nung mehr. In dieser Lage ist die gegen­seit­ige Zer­fleis­chung der Lieben­den nur fol­gerichtig, was dabei geschieht, bleibt bei Von­to­bel ver­bor­gen – sieht man vom Häu­flein der Auser­wählten auf der Drehbühne ab. Die näm­lich rotiert mit Achill zur Hin­ter­bühne und läßt das Gros der Zuschauer im Ungewis­sen. Die let­zte Ver­störung des Abends spricht Kleist: “Nun ists gut.” Was eigentlich?

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