Tintenkleid

Mein Gott, was hat dieses Haus zur Zeit Fortune. Es brummt und summt an einem x-beliebigen Abend im Thalia, die Bude ist gerammelt voll, die Stimmung ist gut. Und das alles in dieser bleiernen Zeit der Kultur für Hamburg. Und dann – soviel sei vorweg schon einmal gesagt – ist es auch noch gut, was da von der Bühne kommt:

Ein Raum, endlich mal wieder ein Raum – die Hin­ter­bühne abge­gren­zt durch einen hohen mehrrei­hi­gen Wall von Klei­dern (“… the suits of woe?”, ein dunkel-rot­ter Bohlen­bo­den, ein tot­er Hirsch, ange­seilt. Das Seil reicht im Bogen­schwung bis in den Büh­nen­him­mel, gliedert wie bei Pirane­si die Tiefe. Und dunkel, far­b­los, düster. Alles. Auch wie dort. Durch den Wall treten alle auf, schauen hin­durch wie durch den Blät­ter­wald ein­er Hecke.

Auch Ham­let trägt sein dun­kles Gewand – “his inky cloak”. Der hockt am hin­teren Rand am Fuße dieser Klei­der­hecke, während Gertrud und Claudius in groteskem Paar­lauf hin zur Rampe gleit­en. Wie ein arm­los­er Bud­dha thront der Prinz, von dun­kler Stoff­masse umhüllt, nur das gekrönte Haupt schaut her­aus.

Dieser Ham­let ist kein mager Hadern­der, son­dern umgeben von der Stof­flichkeit sein­er Trauer und des Zweifels. Die kör­per­liche Masse ist Behäl­ter für zwei Innen­leben, Ham­let ist zwiefach. Der große Schaus­piel­er Joseph Osten­dorf gibt den einen Part, der eben­so agile wie präzise Jörg Pohl den anderen. Nicht ein­fach hat sich Luk Perce­val diese Tren­nung der “zwei See­len” gemacht, keine banalpsy­chol­o­gis­che Tren­nung von Ver­nun­ft und Lei­den­schaft liegt dem zugrunde. Mal driften diese …, nun, nen­nen wir es mal … ZUSTÄNDE … auseinan­der, mal echoen sie um die Wette, rin­gen um die Vorherrschaft im Kör­perklei­de, um sich zum Ende hin ganz voneinan­der zu lösen. Ham­let ist auf dieser Bühne aus­drück­lich keine “ges­pal­tene” Per­sön­lichkeit, die Nähe zum Wahn liegt in diesem Wort zu nahe.

Ja, die Worte – Perce­val hat eine neue Sprache für Ham­let gesucht. Über­set­zt – oder wie es Pro­gramm ver­merkt ist, “neu bear­beit­et”– hat es Feridun Zaimoglu, gemein­sam mit Gün­ter Senkel. Zaimoglus Sprache ist von ein­er hefti­gen Musikalität geprägt, wer diesen Autor ein­mal aus seinen Werk hat lesen hören, ver­ste­ht das ziem­lich genau, unge­heuer präzise sind Rhyth­mik und Dik­tion. Der Duk­tus bleibt per­ma­nent präsent in dieser Über­tra­gung, kein verk­lären­der Schlegel­ton, kein konkreter Brasch. Das The­ma Musik ist auch ein eigenes – im Graben ste­ht ein Klavier, das in den zwei Stun­den der Auf­führung durchgängig trak­tiert wird.

Der Pianist und Sänger Jens Thomas hat eine weit­ere Spur unter und durch den Text gelegt – und nein, es ist wirk­lich kein “Sound­track”. Das Rezensen­ten­no­tizbuch dieses Abends gab so einen Ein­fall wie “See­lenge­sang” her und das trifft es auch.

Von roman­tisch-verk­lären­der Seele ist da allerd­ings keine Rede, bis zum Unaushalt­baren, zum Schmerzhaften wer­den Stimme, Klavier und Gitarre trak­tiert, man hört Stim­men, die den Schädel spren­gen möcht­en. Noch eine Innen­schau Ham­letsch­er Welt, die die Welt des Sprach­lichen bisweilen völ­lig ver­lässt, und – selt­same Par­al­lele – wie im Musi­cal das Unsag­bare ver­tont.

Bericht­en kön­nte man noch von the­atralen Bravourstück­en wie die Reduk­tion der Schaus­piel­er­szene auf eine einzige Per­son, nicht ein­mal die Gaukelei darf in dieser Perce­valschen Welt existieren. Oder von dop­pelt duplizierten Ophe­lien, die wie die Rhein­töchter aufgerei­hte blaue Klei­d­chen­trägerin­nen mit verge­hend hohen Stimm­chen den Unter­gang zele­bri­eren. Alles andere sollte man sel­ber sehen und nicht nach­le­sen. Zum Schluss der Hirsch: “Why, let the strooken deer go weep …”

Ja, der auch.

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For­tu­na — Pun­to del­la dogana (© f/2.8 by ARC — Fotolia.com)

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