›Woyzeck‹, bodenlos

Ja. Da fängt »Woyzeck» mit dem Märchen von der Son­nen­blume an. Das ist nicht neu, eher kon­ser­v­a­tiv. Und stimmt ein in die »Geschichte eines Pau­pers«. Am Ende der Geschichte kommt das Märchen noch ein­mal, die Klam­mer wird geschlossen. Und dazwis­chen?

Mit Wilsons Bilderthe­ater hat­te Jette Steck­els Pre­miere let­zten Sam­stag nichts zu tun. Mit Wilsons The­ater – auss­er der Fas­sung – auch nichts. Geblieben waren die Songs von Tom Waits, der, so sagt er, wie Kurt Weill »eine schöne Melodie« nimmt und »schreck­liche Dinge« erzählt. Schreck­liche Dinge hat Büch­n­ers Stück genug zu erzählen, allein das Wech­sel­spiel zwis­chen Melodie und Geschichte funk­tion­iert über­haupt nicht. Das Thalia-Ensem­ble müht sich redlich, sin­gen kön­nen sie alle beein­druck­end, das Orch­ester im Graben unter der Leitung von Gerd Bessler ist her­vor­ra­gend beset­zt. Nun hat­te Wil­son sein The­ater einst mehrdi­men­sion­al angelegt, mit klaren Schw­er­punk­ten auf Visu­al­isierun­gen (Licht!) und Ton (Waits!). Und hier? Von der vor Jahren rev­o­lu­tionären Bildlichkeit ist nichts mehr übrig, die Bühne ist öd und leer. Das gibt Raum. Unter dem Büh­nen­him­mel ist an seine vier Eck­en ein bemerkenswertes Gebilde aufge­hängt, halb Bettgestell, halb Tram­polin, bespan­nt mit einem elastis­chen Git­ter­w­erk, das je nach Lage und Szene unter­schiedlich her­abge­lassen wird. Es dient als erweit­erte Spielfläche und hebt einen Grossteil der Aktion weg vom Boden in eine zweite Ebene, die sportive Leis­tung der dort hän­gen­den und agieren­den Darsteller ist bewun­dern­swert. Aber ohne Erde.

Schw­er fällt die szenis­che Über­set­zung, ungereimt ist da so manch­es. Nach dem stillen Anfang fol­gt gross­es Getöse, der bespan­nte Rah­men wird her­abgeklappt, in den Seilen hängt das Ensem­ble und stimmt den ersten Cho­rus an. Bald fol­gt die Bar­bi­er­szene (›Er sieht immer so gehet­zt aus.‹), da hängt der Haupt­mann mit aus­ge­bre­it­eten Armen im Netz, das Seit­en­licht wirft hüb­sche Schat­ten auf den Büh­nen­bo­den, wir sehen dadurch die Fig­ur dreimal. Gol­gatha? Der Erlös­er? Wie bitte? Oder hat das kein­er gemerkt?

Nun fol­gt Szene um Szene, dazwis­chen immer wieder Waits Num­mern. Felix Knopp, ein zier­lich­er und zugle­ich kraftvoller Woyzeck, krächzt und brüllt, so richtig schön wait­smäs­sig. Über­haupt wird immer dann, wenns mal »wahnsin­nig« wird, ziem­lich laut Musik gemacht. Auch schön, daß Woyzeck zum Spiegel der Nar­ren­fig­ur wird und bei­de im syn­chro­nen Irrentanz (so ist das doch, oder?) die Erken­nt­nis packt, daß Marie sich den Tam­bour­ma­jor erwählt hat. Irre schreien laut und zap­peln. Aha.

Und dann wieder ein Song, im Anschluss an das Zusam­men­tr­e­f­fen Woyzecks mit dem Tam­bour. Erst wird gerangelt und bedrohlich gerun­gen, Woyzeck, die arme Sau unter­liegt natür­lich. Und zum Schluss umhalsen sich die Bei­den, um gemein­sam ins muntere Lied­chen einzus­tim­men. Ja, »Bran­dewein das ist mein Leben«. Auch schön.

Und gelingt es, das Spiel ein­mal dicht zu machen, die schön gebaute und innig berührende Mord­szene an Marie ist ein klein­er the­atraler Glücksmo­ment an diesem Abend –  dann dauert es nicht lange und die Musik set­zt wieder ein. So funk­tion­iert das heute im Fernsehspiel, keine Stille sein lassen, ja kein Ver­trauen in Wirkung haben. Musik macht Stim­mung. So hangelt sich der Abend dann von Num­mer zu Num­mer, zwis­chen drin wird mal beachtlich und mal belan­g­los die Mori­tat gespielt und am Ende gibt es dann uneingeschränk­ten Beifall, nicht mal ein »Buh« war zu erah­nen.

Muß man sich nicht die ele­mentare Frage stellen: Was passiert, wenn man den bun­ten Reigen zwis­chen erzählter Geschichte und musikalis­che Ein­lage, der damals im »Black Rid­er« noch so gut funk­tion­iert hat, kom­plett seines visuellen Zaubers entk­lei­det? Schon Wil­son hat damals die Nar­ra­tion der Freis­chütz-Leg­ende eher als Leit­faden genutzt, um die Geschichte musikalisch wie visuell zu emo­tion­al­isieren. Schon damals war das bald schal, der Effekt schnell ver­raucht. Nimmt man die Geschichte nur bed­ingt war und ver­sucht sie allein durch die Musik zu emo­tion­al­isieren, was bleibt denn dann noch?

Das war ein belan­glos­er »Woyzeck«.

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