Lass dich umarmen, Hamburg!

Sasha Waltz lädt mit über 80 Tänzern und Musikern zu einer Raumerkundung der Elbphilharmonie.

Elbphilharmonie
Wo man am besten sieht? Überall. Das Publikum ist Teil des Ganzen. Bild: Michael Zapf

Es ist eine Inbe­sitz­nahme. Neugierig und ohne Scheu nehmen die Ham­burg­er ihre “Elphi” in Beschlag. Set­zen sich auf die Trep­pen, bauen ihre Klapp­stüh­le auf, lehnen am Trep­pen­gelän­der und warten, dass es los­ge­ht. Man sieht das kleine Schwarze eben­so wie Jeans und Turn­schuhe. In fünf Minuten wird Sah­sa Waltz mit ihrer Com­pag­nie und dem Vocal­con­sort Berlin den Raum ein­wei­hen. Und so sehr die Errich­tung der Elbphil­har­monie Ham­burg im Bau­ver­lauf ges­pal­ten hat, so aufgeregt, neugierig und fast ein wenig ver­liebt scheint das Pub­likum heute.

Dann erobert die Kun­st den Raum. San­ft entspin­nt sich ein Dia­log zwis­chen Sängern des Vocal­con­sorts Berlin von Treppe zu Treppe. Es ist Fran­cis Poulenc, den Sasha Waltz mit “Fig­ure Humaine” nicht nur zum Titel­ge­ber des Abends, son­dern auch als Ein­stieg gewählt hat. Ätherisch, fast schon sakral mutet die Dop­pelka­n­tate zu Beginn an und ist doch im Zweit­en Weltkrieg ent­standen, ein Text wie ein Mah­n­mal. Aber da ist viel Hoff­nung: »Und durch die Macht eines Wortes/Beginn ich mein Leben neu/Ich bin geboren dich zu kennen/Dich zu nennen/Freiheit« heißt es dort in den let­zten Tak­ten.

Diese Zweis­chnei­digkeit sieht Sasha Waltz in der Musik eben­so wie im aktuellen Zus­tand der Welt und der dur­chaus nicht immer pos­i­tiv­en Genese der Elbphil­har­monie. “Das Werk ver­ste­ht sich als Aufruf zur Ver­söh­nung und Men­schlichkeit”, wird sie im Pro­grammheft zitiert. “Es bietet Aus­blick auf Hoff­nung, aber man muss erst durch einen Zus­tand der Düster­n­is hin­durch.” Von Düster­n­is ist hier im Foy­er zu Beginn allerd­ings wenig zu spüren. Die Fes­tlichkeit der Dop­pelka­n­tate ent­fal­tet unter der Leitung von Nico­las Fink ihre volle Wirkung, als die Mit­glieder des Vocal­con­sorts langsam zu einem Klangkör­p­er zusam­menkom­men.

Inmit­ten des Pub­likums suchen sie sich ihren Weg, während die Tänz­er nach und nach Gelän­der und Trep­pen beset­zen. Eine Mis­chung aus Ruhe und Dynamik strahlt diese Zusam­menkun­ft aus, die Menge teilt sich, um den Weg frei zu machen. Glock­en­geläut erklingt, man fühlt sich fast an eine religiöse Wei­he erin­nert, während die Tänz­er ihre Arme in die Luft reck­en und ins Leere tas­ten, als woll­ten sie ver­suchen, den Klang zu greifen. Die Bewe­gun­gen wer­den dynamis­ch­er, zu Kre­is­for­ma­tio­nen, und während das Pub­likum auswe­icht, wird es selb­st ganz organ­isch Teil des Kör­pers aus Klang und Bewe­gung.

Der Auf­takt ist gemacht, die Besuch­er bewe­gen sich immer selb­st­sicher­er zwis­chen den Kün­stlern hin­durch. Musik­er wie Tänz­er find­en sich zu immer neuen Beset­zun­gen, Duet­ten, Terzetten, Quar­tet­ten zusam­men. Die Erkun­dung des mehrstöck­i­gen Foy­ers nimmt ihren Lauf, und auf fast schon magis­che Weise wird es nir­gends zu voll oder zu eng. Alles ist im Fluss. Kün­stler wie Pub­likum nehmen den Ort in Besitz in immer neuen, schwar­mar­ti­gen For­ma­tio­nen, während draußen vor den Panora­mafen­stern die Elbe vor­bei­wogt.

Natür­lich ist hier nichts dem Zufall über­lassen. Wer genau hin­schaut, sieht die Her­ren mit Knopf im Ohr, die – stets miteinan­der im Kon­takt – das Geschehen auf unsicht­bare Weise dirigieren. Sasha Waltz´ Kom­po­si­tion der Musik­stücke und ihrer Tänz­er ist klar getak­tet, und doch spielt der Zufall eine Rolle. Nicht nur die Bewe­gung der Zuschauer schafft eine völ­lig indi­vidu­elle, unvorherse­hbare Raumer­fahrung. Auch die Tänz­er haben Raum für Impro­vi­sa­tion, wen­ngle­ich sie sich auch in einem abgesteck­ten Rah­men bewegt. Es ist eine Raumerkun­dung der Spitzen­klasse, die hier ganz unprä­ten­tiös und schein­bar völ­lig entspan­nt daherkommt. Man kann nur erah­nen, welch minu­tiöse Pla­nung dahin­ter­ste­ht, welche Wach­heit im Blick und Lauschen bei dieser Foyerbe­spielung konzep­tionell voraus­ge­gan­gen sein muss.

Mitten ins Herz

Und dann ist es so weit: Das Pub­likum darf in den Saal. Wie die Bewe­gung entste­ht, woher die geheimen Sig­nale kom­men, dass alle Bescheid wis­sen, hat fast schon etwas Mys­tis­ches. Vere­inzelt, tröpfchen­weise, dann wieder im Schwall kom­men die Besuch­er – und haben an diesem Tag den Luxus der freien Sitz­platzwahl. Es ist ein Höhep­unkt ohne das orgiastis­che Tam­tam, das bei Ein­wei­hun­gen son­st so gern geschieht. Die Ham­burg­er betreten ihren Konz­ert­saal im gedämpften Licht, und es ist erst mal ganz still. Zaghaft tastet jemand die Waben an den Wän­den ab.

Als alle sitzen, nehmen die Musik­er auf der Bühne Auf­stel­lung. In der Mitte eine Sän­gerin. Anges­pan­nte Stille. Die Musik­er in Posi­tion, andächtig, wie einge­froren. Dann lösen sie sich, und sofort tritt der bekan­nte Konz­ert-Effekt ein: Räus­pern, Rascheln, Bewe­gung im Pub­likum, bis der näch­ste Satz der Stille begin­nt. So sehr Sasha Waltz es im Inter­view im Pro­grammheft bedauert, dass alle diese Span­nung aushal­ten müssen, da vor dem offiziellen Eröff­nung­ster­min am 11. Jan­u­ar keine Musik im Saal erklin­gen darf, so stark macht genau dieser Umstand das Konzept. Zum einen, weil das Pub­likum nach der been­de­ten „Sym­phonie der Stille“ der Wirkung der eige­nen Stimme nach­spüren darf – beim Applaus wird gejuchzt und gejubelt, dass es eine wahre Freude ist. Zum anderen, weil Waltz’ Tänz­erin­nen und Tänz­er in den darauf­fol­gen­den Minuten den Klang mit ihren Kör­pern selb­st erzeu­gen. Mit dem Hoch- und Herun­terk­lap­pen der Sitze im Pub­likum, mit ihren Füßen auf dem Büh­nen­bo­den, mit ihrer Stimme, wenn Sie “Silen­cio” rufen und “Keine Fotos”.

Die Män­ner bleiben im Par­kett im Pub­likum sitzen. Sie erzeu­gen mit den Ses­seln den Rhyth­mus, ein kon­stantes Pochen, gle­ich­mäßig wie ein Herz­schlag. Die Tänz­erin­nen kom­men dazu im Rund der Bühne zusam­men. Wie Schwärme von Vögeln find­en sie sich, lösen sich voneinan­der, um neue Kon­stel­la­tio­nen zu bilden und wiederum zu lösen, dazu das Geräusch ihrer Füße auf dem Holz, die Chore­ografie hat etwas Soghaft-Hyp­no­tis­ches.

Auch wenn das Pub­likum schw­er wieder ins Foy­er zurück­zube­we­gen ist, tobt dort schnell das Leben. Draußen herrscht orgiastis­ches Chaos. Zu eksta­tis­chen Trom­melk­län­gen schreien die Tänz­er, beißen sich, wälzen sich knutschend am Boden. Der Schweiß perlt an den Kör­pern, und zwis­chen­drin erklingt das Klatschen von Fleisch auf Fleisch, wenn sich zwei aufeinan­der­w­er­fen. Da wird schon mal eine Zuschauerin aus dem Pub­likum geris­sen, im Stech­schritt durchs Foy­er geführt und am anderen Ende wieder abgestellt. Die Botschaft scheint klar: Mis­cht euch, ihr Ham­burg­er, feiert, was ihr habt, lasst es mal krachen.

Dann wird es nach und nach sehr still, und von ganz oben singt das Vocal­con­sort. Man schre­it­et hin­auf in Rich­tung Licht. Die Tänz­er ring­sum wer­den nack­ter, sie schla­gen sich, ziehen sich die Haut­fal­ten vom Kör­p­er. Vere­inzelt und separi­ert spie­len die Musik­er, alle auf einem Grund­ton, alle in ein­er Har­monie, und doch jed­er für sich. Es ist, als würde das Gebäude tief atmen. Draußen vor den Fen­stern auf der Elbe fährt ein Schiff. Und während die let­zten Tak­te des Chors verklin­gen, lösen sich die Tänz­er voneinan­der, leise läuten die Glock­en, und die Sänger nehmen sich in den Arm. Alles ist Umar­mung.

Sasha Waltz & Guests haben mit “Fig­ure Humaine” der Elbphil­har­monie ein erstes Gesicht gegeben. Es ist ein Men­schlich­es, eines, das in Dia­log tritt, der Kun­st sämtliche Töne von laut bis ganz leise abringt und keine Hemm­schwellen erzeugt. Gut gemacht, Elphi, möchte man flüstern, wenn man die Roll­treppe Rich­tung Elbe hin­un­ter­fährt.

 

 

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