Das Dilemma der Menschheit

Die neue Dubois-Choreographie AUGURI beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel

Alles Rasende bei Olivier Dubois. (Bild: Francois Stemmer/Kampnagel)

Dem franzö­sis­chen Star-Chore­o­graphen Olivi­er Dubois gelingt es erneut, das Pub­likum zu über­raschen, zu faszinieren und am Ende davon zu überzeu­gen, dass Tanz mehr ist als pure Ästhetik, mehr als eine per­fekt und bis ins Detail durch­dachte Chore­o­gra­phie, mehr als Ein­klang von Musik und Tanzkun­st.

Mit seinem Stück “Tragédie” ließ Dubois 2013 seine Tänz­er nackt in min­i­mal­is­tis­chen Bewe­gun­gen eine streng for­male Chore­ografie durch­laufen, begleit­et und angetrieben von der energiege­lade­nen Musik des Kom­pon­is­ten François Caf­fenne. Und auch dieses Jahr feiert Dubois seine Welt­premiere unter den pulsieren­den Klän­gen Caf­fennes, abstrakt auf ein­er fast leeren Bühne, vor ein­er unspek­takulären Kulisse.

Am Anfang von “Auguri” ist nur die Dunkel­heit. Das einzige, was die Fin­ster­n­is durch­bricht, sind die pochen­den und rauschen­den Klänge, welche immer mehr Raum ein­nehmen und den Zuschauer ein­hüllen. Nur langsam erblickt das Pub­likum vier nebeneinan­der gestellte Kuben, in einem ein liegen­der Men­sch, in einem zweit­en ein­er ste­hen­der. Dann passiert zunächst nichts. Die Kuben wer­den dun­kler, ver­dunkeln sich, wer­den wieder heller. Zu hören sind einzig und allein Caf­fenes Klänge. Herz- und Pulss­chlag, der fast unmerk­lich zu einem dro­hen­den Gewit­ter anschwillt. Erst nach und nach lässt sich hie und da ein Tänz­er erblick­en, der wie ein Blitz die Bühne ren­nend durch­schnei­det und wieder hin­ter einem der schützen­den Kuben ver­schwindet, schnell wie ein gehet­ztes Tier. Es fol­gen immer mehr der eilen­den Tänz­er. Sie kreuzen sich auf der Bühne, peni­bel darauf bedacht, sich nicht zu berühren, bis schließlich die Musik sie in dröh­nen­den und beben­den Klän­gen zum Chaos antreibt. Sie ren­nen, prallen aufeinan­der, sie schreien, einem wirren Vogelschwarm gle­ich. Nicht umson­st kommt “Auguri” von Auguri­um, dem Orakel aus dem Vogelflug.

Der Titel des Stücks lässt sich von Augur ableit­en, einem römis­chen Beamten aus der Antike, dessen Auf­gabe darin bestand, durch Beobach­tung von Vogelschwär­men den göt­tlichen Willen zu deuten. Eine Her­vor­sage ließ sich daraus her­leit­en, aus welch­er Win­drich­tung die Vögel auf einen zu oder von einem wegflo­gen, welche Flug­bahn sie nah­men und aus wie vie­len Vögeln ein Schwarm bestand. Auch ihr Schreien war ein Kri­teri­um für die Deu­tung. Ana­log zu den Vögeln der römis­chen Antike lässt Dubois seine Tänz­er über die Bühne rasen, aneinan­der­stoßen und davon­gleit­en in Rich­tung der vier Kuben, den vier Win­drich­tun­gen gle­ich. “Auguri”, das Orakel der Men­schheit?

Am Ende ist da wieder nur Dunkel­heit. Die Tänz­er sind hin­ter den Kuben ver­schwun­den. Nur langsam sieht man den einen oder anderen auf die Kante der qua­dratis­chen Instal­la­tio­nen steigen und fließend von oben auf den Boden gleit­en, bis alle erschöpft am Boden liegen und die Musik verklingt.

Was bleibt, ist ein Gefühl der Unruhe, Furcht und Erschöp­fung. Ohne Hand­lung, ohne Büh­nen­bild und ohne große Tanzkun­st insze­niert Dubois den aktuellen Zus­tand des men­schlichen Seins, unter­mauert von den paralysieren­den und aufwüh­len­den Klän­gen Caf­fennes. Die Men­schheit in einem Sys­tem des Chaos, der Rück­sicht­slosigkeit und Angst. Der Men­sch, wie er erschöpft durch sein Leben het­zt, ohne Rück­sicht auf seine Mit­men­schen, immer darauf bedacht, nicht in der Masse unterzuge­hen. Dubois stellt uns einen Spiegel auf die Bühne, in dem wir sehen, was wir nicht sehen wollen. Dazu der Klang von läh­menden Pauken­schlä­gen, dröh­nen­den Bässen und pulsieren­den Rhyth­men. Es ist weniger Tanzäs­thetik als viel Tanzphiloso­phie, mit der Dubois sein Pub­likum mitreißt in das Dilem­ma der Men­schheit.

 

 

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