Das blaue Wunder

77 Jahre nach seinem Tod erscheinen bislang unveröffentlichte Erzählungen des großen amerikanischen Autors Francis Scott Fitzgerald. Eine Wiederentdeckung.

Francis Scott Fitzgerald
Between the Devil and the deep blue Sea (Bild: Don Ramey Logan [CC BY-SA 3.0])

»I don’t want you … mhh mhhm mhhm mmh­mm … I for­give you … mmh mmh mmh mmmh … You’ve got me … mmh … mmh  … the dev­il and the deep blue sea. « – Fran­cis Scott Fitzger­ald hat Harold Arlens Schlager aus dem Jahr 1931 bes­timmt oft hören kön­nen, am ehesten vielle­icht Eddie Duchins smart-zuck­rige “jazzy” Inter­pre­ta­tion, nach der man den Slow-Fox so gut tanzen kann. Und dann ist da noch die her­rliche Indif­ferenz in diesem Song, hin- und herg­eris­sen zwis­chen  ja und nein, zwis­chen Erfolg und Mis­ser­folg, Glam­our und Depres­sion. Das käme gewiss jenen biographis­chen Klis­chees über ihn und sein wildes Leben in sein­er eben­so aufre­gen­den Ehe mit sein­er Frau Zel­da sehr nahe, mögen diese Geschicht­en wahr sein oder nicht.

Francis Scott Fitzgerald
Schon im Schat­ten: Fran­cis Scott Fitzger­ald im Jahr 1937 (Bild: Carl Van Vecht­en — Van Vecht­en Col­lec­tion at Library of Con­gress, Geme­in­frei)

Von der Mode, sich des “Großen Gats­by” stilis­tisch zu bemächti­gen, bis hin zum Ama­zon Prime Stream­ing-Schmacht­fet­zen “Z: The Begin­ning of Every­thing” mit dem Hol­ly­wood-Rehauge Christi­na Ric­ci als aus­ge­beutetes Autorenopfer Zel­da – das pop­kul­turelle Inter­esse an der Fig­ur Fitzger­ald ist auf eine eigen­tüm­liche Weise groß. Außer dem “Gats­by” jedoch, und eigentlich ist damit immer nur Robert Red­ford gemeint, oder, mit Abstrichen, Leonar­do DiCaprio, ken­nt hierzu­lande kaum jemand auch nur eine Zeile dieses Autors. Wann immer da von neuer Rezep­tion die Rede ist, ist es vor­wiegend Deko­ra­tion, voll von dün­nen blassen Mäd­chen in Hängek­lei­d­chen und “keck­em” Bubikopf, die sich Alko­hol, Sex und alt­modis­ch­er Jazzmusik hingeben, dazwis­chen der “hüb­sche” Schrift­steller, hin und her gewor­fen zwis­chen Ver­suchung und Schreibkrise. All das eignet sich aus­geze­ich­net zur Biographisierung, zur Umdeko­rierung des Autors als vor­wiegend inhalt­slos­er Star und zum längst vergesse­nen Chro­nis­ten ein­er Ära. Seine lit­er­arischen Mit­stre­it­er, allen voran sein markiger Anti-Bud­dy Ernest Hem­ing­way, wusste aber auch: »Scott, good writ­ers always come back.«

»Sie drängte sich auf mit blinzel­nden Ster­nen. Ihr Gesicht war ein Hin und Her, war ein Blick, der über eine Gren­ze geht – und eine Sil­hou­ette, ein Umriss, gese­hen aus der Ferne – weiß, fre­undlich, ungeschlif­f­en – ein Schick­sals­gesicht, geze­ich­net von jung gefocht­e­nen Kriegen und von altem weißen Glauben.«

Das ist das Come­back des Fran­cis Scott Fitzger­ald. Denn dieser Text, er stammt aus der Erzäh­lung “Zusam­men unter­wegs”, ist ger­ade erst erschienen, im Jahr 2017. Der Ham­burg­er Ver­lag Hoff­mann und Campe hat sich die Lizen­zen an bis­lang unveröf­fentlicht­en Erzäh­lun­gen und Drehbuchen­twür­fen gesichert, ein ver­legerisch­er Coup, die deutsche Aus­gabe erschien noch vor der bei Fitzger­alds altem Hausver­lag Scrib­n­er her­aus­gekomme­nen Orig­i­nalver­sion. Die Geschicht­en sind schön über­set­zt von Gre­gor Runge, Andrea Stumpf und Melanie Walz, ein Lese­bänd­chen und ein gelehrter Anhang der Her­aus­ge­berin Anne Mar­garet Daniel machen den in New­port-Blau eingeschla­ge­nen Band kom­plett. Trotz­dem lohnt sich gele­gentlich ein Blick in die Orig­inal­texte, um sich zu überzeu­gen, ob dieses schwebend-durch­läs­sige, das kraftvoll verzweifel­nde, jen­er sprach­liche Erfind­ungsre­ich­tum, der fast immer ohne das ver­gle­ichende “wie” auskommt, wirk­lich genau­so da ste­ht und nicht der Gabe eines tal­en­tierten Inter­pre­ten entstam­men. Und in der Tat, so lautet diese Stelle in “Trav­el togeth­er”, geschrieben im Jahr 1935:

»Cross­ing the two starlights there obtrud­ed the girl. Her face was a con­trast between her­self look­ing over a fron­tier – and a sil­hou­ette, and out­line seen from a point of view, some­thing fin­ished – white, polite, unpol­ished – it was a des­tiny, scarred a lit­tle with young wars, wor­ried with old white faiths …« 

F. Scott Fitzger­ald
Für Dich würde ich Ster­ben

Unveröf­fentlichte Erzäh­lun­gen
Hrsg. von Anne Mar­garet Daniel, über­set­zt von Gre­gor Runge, Andrea Stumpf und Melanie Walz | Ham­burg 2017
[ama­zon Part­ner­link]
»Trav­el togeth­er« ist die Geschichte eines Hol­ly­wood-Autors, der sich auf ein­er Recherche-Tour unter Hobos beg­ibt, jene auf den Puffern der Züge reisenden Wan­der­ar­beit­er der amerikanis­chen Depres­sion­s­jahre. Der glam­ouröse Erfol­gsautor der zwanziger Jahre bewegte sich in anderen Sujets, deren Yel­low-Press-Atti­tude, trotz all sein­er Kön­ner­schaft, zum Großteil seinen Ruhm und sein Einkom­men stützte. Fitzger­ald, der nicht mehr die exor­bi­tan­ten Hon­o­rare früher­er Tage für seine lufti­gen Short­sto­ries über “Young Lovers” abschöpfen kon­nte, war in diesen späteren Jahren auf der Suche nach einem neuen Zugang zum Schreiben. Sein wohl bester und zugle­ich erfol­glos­es­ter Roman “Ten­der is the Night” erschien eben­falls in dieser Phase. Die hier nun erst­mals vor­liegen­den Geschicht­en leg­en Zeug­nis ab von dieser Suche in ein­er anderen Zeit. Das Hol­ly­wood-Ambi­ente ist bewusst gewählt, seit 1931 verd­ingte er sich, mit Unter­brechun­gen, als soge­nan­nter Script-Doc­tor bei MGM und es taucht in diesen Spätwerken immer wieder auf.

So sind denn auch Drehbuchen­twürfe wie der kurze Text “Gra­cie at Sea” (1934), in diesem Band enthal­ten. Der Text ist eine eige­nar­tige Melange aus der deskrip­tiv­en Dis­tanziertheit eines Treat­ments und der für Fitzger­ald so typ­is­chen Akri­bie in Per­so­nen­ze­ich­nung und Dialogstärke – ein Tal­ent, das ihm den Weg nach Hol­ly­wood über­haupt erst möglich gemacht hat­te. Die Sto­ry spielt in der gewohn­ten Umge­bung ver­mö­gen­der Ostküsten­be­wohn­er, den Vater der Pro­tag­o­nistin hat man “schon lange mit Segel­re­gat­ten in Verbindung gebracht” – sein Held ist, so würde man heute sagen, ein “Berater”, ein Wer­be­fach­mann, der der Erb­fol­geregelung des Patri­archen (“… er musste die Ältere vor der Jün­geren ver­heirat­en – und siehe da, die Ältere war eine Katas­tro­phe …”) auf die Sprünge helfen soll.

Über die Ver­strick­un­gen, die aus einem solchen Plot erwach­sen, muss man hier nicht lange nach­denken, es ist Mate­r­i­al für eine Screw­ball Com­e­dy, über deren Beset­zung man sich tre­f­fliche Gedanken hätte machen kön­nen, wäre dieses Script je in die Aus­führung gekom­men. In seinen let­zten Leben­s­jahren über­ar­beit­ete Fitzger­ald diesen Entwurf noch ein­mal und reichte ihn erneut – und wiederum erfol­g­los ein. Den Schluss dieser Geschichte ist tur­bu­lent, das füreinan­der bes­timmte Paar will mit einem Boot zur ger­ade zur America’s Cup Regat­ta star­tenden Yacht des Vaters über­set­zen:

“George sitzt am Bug, auf den Knien ein Luftkissen, darauf die Schreib­mas­chine. Er muss von der Regat­ta bericht­en und gle­ichzeit­ig dafür sor­gen, dass Gra­cie wie eine Heldin aussieht. Dum­mer­weise bricht das Boot auseinan­der und sinkt. Georges Hälfte sinkt nur langsam, seine Schreib­mas­chine treibt auf dem Luftkissen immer weit­er ab.”

Dieses Bild der davon­treiben­den Schreib­mas­chine, dem Arbeits­gerät des Schrift­stellers, ist natür­lich eine Ein­ladung für jeden Inter­pre­ten – der Autor, dem sein Schreiben davon­schwimmt. Im Tex­ten­twurf wer­den Autor und Mas­chine gerettet, das Kino ver­langt nach dem Hap­py End­ing.

Es gehört nun nicht viel dazu, über­all Par­al­le­len zwis­chen Leben und Werk zu suchen und zu find­en, in der Tat ver­schwim­men die Per­son und seine Lit­er­atur immer durch seine Tech­nik der biographis­chen Selb­staus­beu­tung. Doch gibt es über den voyeuris­tis­chen Aspekt – vor allem der frühen Jahre – hin­aus, weitaus mehr zu ent­deck­en als das. Es ist der lit­er­arische Ton der begin­nen­den Mod­erne in all ihren Brüchen, ihren Dilem­ma­ta und ihrer Zer­ris­senheit, gepaart mit der Ele­ganz eines stets rin­gen­den Stilis­ten, so wie hier, zu Beginn von “Ten­der is the Night”:

»On the pleas­ant shore of the French Riv­iera, about half way between Mar­seilles and the Ital­ian bor­der, stands a large, proud, rose-col­ored hotel. Def­er­en­tial palms cool its flushed façade, and before it stretch­es a short daz­zling beach. Late­ly it has become a sum­mer resort of notable and fash­ion­able peo­ple; a decade ago it was almost desert­ed after its Eng­lish clien­tele went north in April. …«

Das erschüt­terte 20. Jahrhun­dert hat den oft bra­mar­basieren­den Jugend­fre­und Ernest Hem­ing­way zum Lit­er­atur-Nobel­preis geführt, es war eine Zeit für Helden und ihren Mythos. In diese Kat­e­gorie fällt der durch­läs­sige Fran­cis Scott Fitzger­ald nicht, auch heute nicht.

Aber als der Jaz­zpi­anist Thelo­nius Monk 1967, fast 30 Jahre nach Fitzger­alds Tod, auf dem Album “Straight, No Chas­er” den alten Teufel und die blaue See in sein­er ganzen Ambi­gu­i­tät wieder aufer­ste­hen ließ, war auch das von ihm beschriebene “Jazz Age” längst Ver­gan­gen­heit.

Wer dieser Ein­spielung genau zuhört, erfasst aber so etwas wie den Sound seines Erfind­ers, das Suchende, die Lust an Spiel, Form und Ironie, aber auch die Verun­sicherung, die in seinen Tex­ten und Fig­uren durch­scheint. Es kann gewiß nicht schaden, sich in dieser Zeit zu Beginn eines neuen Jahrtausend, das ähn­liche Verun­sicherun­gen birgt, auf die eine oder andere Weise daran zu erin­nern.

Fran­cis Scott Fitzger­ald ist eine lit­er­arische Stimme, die es nun auch hierzu­lande wieder neu zu ent­deck­en gilt, sei es in seinen Sto­ries oder in den fünf großen Roma­nen. Der Erzäh­lungs­band “Für Dich würde ich Ster­ben” hil­ft sehr dabei – oder ist ein­fach ein kleines, blau gewan­detes Lit­er­atur­wun­der.

“I don’t want you
But I hate to lose you
You’ve got me in between
The dev­il and the deep blue sea”.

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