»Das Thalia ist ein Geschenk.«

Dritter und letzter Teil des grossen HAMBURGER FEUILLETON-Interviews mit dem Thalia-Geschäftsführer und Autor Ludwig von Otting

" (Photo: Stefan Albrecht/HHF)
Dicke Per­son­alak­te: Lud­wig von Otting beim Gespräch (Pho­to: Ste­fan Albrecht/HHF)

Im drit­ten Teil unseres Inter­views äußert sich Lud­wig von Otting zu Ver­gan­gen­heit und Zukun­ft in der Ham­burg­er Kul­tur­poli­tik und beschreibt seine per­sön­lichen Büh­nen­lei­den­schaften. Unseren bere­its veröf­fentlicht­en 13-minüti­gen Inter­view-Film “Der Ermöglich­er” find­en sie auf dieser Seite des HAMBURGER FEUILLETONS.

Stich­wort Ham­burg­er Kul­tur­poli­tik: Das muss natür­lich kom­men, wir haben eine hartes Jahr hin­ter uns (Anmerkung: Das Inter­view wurde im März 2011 geführt), mit den ganzen Schaus­piel­haus­quere­len, von ihnen stammt dieses sehr deftige Zitat mit dem “ros­ti­gen Nagel im Kopf”. Gab’s da ein Feed­back, kam da was zurück von der Behörde?
Nein, über­haupt nicht. So ein paar Behör­den­mi­tar­beit­er haben mir zuge­flüstert, dass sie das Klasse gefun­den hät­ten. Aber das Zitat, das muss man dazu sagen, war gemünzt auf den Finanzse­n­a­tor und auf keinen anderen,  von dessen Haushalts­di­rek­tor stammt eigentlich dieser Satz, dass er nicht ver­ste­ht, warum die Staat­sthe­ater Sub­ven­tio­nen brauchen, wo der “König der Löwen” ohne Sub­ven­tio­nen auskommt.

Die reagieren nie auf so was. Ich weiß zwar, dass ich in der Kul­turbe­hörde eine dicke Per­son­alak­te habe. Frau von Wel­ck hat mir mal irgendwelche polemis­chen Ver­fehlun­gen vorge­hal­ten, die echt 15 Jahre zurück lagen, die in der Zeitung damals zitiert wor­den waren. Das sam­meln die alles.

Ein Dossier von Otting?
Eine Per­son­alak­te. Das ist ja erst mal ein nor­maler Vor­gang. Und als ich erfuhr, dass ich eine habe – ich wusste das gar nicht – habe ich gebeten, sie mir zu zeigen, und dann haben die mir dann dieses dicke Ding vorgelegt. Dann hab ich gesagt, Leute, steckt’s wieder weg, ich will’s gar nicht sehen.

Hat sich was verän­dert, wir haben eine Wahl gehabt? Ist die Krise jet­zt vor­bei?
Sagen wir mal, wir haben ganz gute Chan­cen auf eine pro­fes­sionelle Behör­den­leitung, das macht erst ein­mal gute Laune. Aber was daraus wird, das weiß der liebe Him­mel. Ich bin da vor­sichtig. Die Gescholte­nen sind oft die diejeni­gen, denen man hin­ter­her am dankbarsten ist, und die von allen gehyped und geliebt wer­den, sind oft die, die man am wenig­sten achtet, da habe ich schon sehr ver­schiedene Sachen erlebt. Müssen wir mal abwarten

Ist die neue Kul­turse­n­a­torin Bar­bara Kissel­er so eine Art Hoff­nungsträgerin für die Ham­burg­er Kul­turszene?
Naja, die Hoff­nung wird ja, wenn man so will, vom Bürg­er­meis­ter getra­gen. Der hat tat­säch­lich der Kul­tur demon­stra­tiv den Rang eingeräumt, zu sagen, ich brauche da eine gute erste Beset­zung und hat das dann auch umgesetzt.Das macht einem schon Hoff­nung, wenn Kul­tur nicht das let­zte Ressort ist, wo sie monate­lang irgendwen suchen und dann aus irgen­deinem Winkel irgend­je­mand her­vorz­er­ren, der dann diesen Job macht.

Da haben wir ja auch eine lei­d­volle Geschichte hier in Ham­burg …
Lei­d­volle Geschichte, ja. Man kann aber auch einen sehr tollen Kul­turse­n­a­tor haben, über den man sich per­sön­lich schwarz ärg­ert, weil der vielle­icht andere Sparten oder Insti­tute bevorzugt. Wir haben gott­sei­dank mit denen nicht soviel zu tun.

Um mal die Kirche im Dorf zu lassen, die Kul­turbe­hörde muss erstens den Inten­dan­ten bes­tim­men alle 5 Jahre, dann ist das wichtig­ste Kapi­tel abgeschlossen, und dann müssen die zusam­men mit dem Auf­sicht­srat darüber wachen, das wir unser Geld anständig aus­geben, aber das ist eigentlich auch nur ein darüber wachen, und wenn wir das anständig machen, dann mis­chen die sich auch nicht weit­er ein.

Und dann gibt’s 3. immer mal  ein paar Son­der­prob­leme, am Rande und drum herum, da gibt’s in der Behörde ein paar Leute, die sehr hil­fre­ich sind, die man fra­gen kann.

Da sind sich­er etliche kom­pe­tente Fig­uren in der Behörde, die haben halt in let­zter Zeit nicht mehr sehr gut zusam­mengear­beit­et, unter den ver­schiede­nen Leitun­gen brach das alles ein und wurde immer gröss­er.

Frau von Wel­ck hat­te den Appa­rat nochmal aufgeschwellt, für eine Mil­lion neue Stellen  geschaf­fen – vol­lkom­men wahnsin­nig – das sind jet­zt hun­derte von Men­schen in dieser Behörde. Sie haben für jeden Staub­fussel ein eigenes Refer­at, ein Sekre­tari­at und so, aber der Out­put ist eher über­schaubar.

Nun gibt es offen­bar die Pläne, den Riesen­bal­lon, die Elbphil­har­monie, diesen Etat vielle­icht in eine andere Behörde zu ver­lagern. Das kann unter Umstän­den vielle­icht ent­las­ten …?
Das ist ja wurscht, wenn die das von der Brust­tasche in die Seit­en­tasche oder in die Hosen­tasche schieben.

Ham­burg muss dafür zahlen, die müssten einen Betrieb­shaushalt herza­ubern  und pro Jahr bes­timmt einen zweis­tel­li­gen Mil­lio­nen­be­trag auf­brin­gen, um diese Insti­tu­tion über­haupt vernün­ftig zu führen.

Das ist schon ein enormes Kuck­uck­sei, was sich die vorige Regierung da geleis­tet hat, ohne tat­säch­lich die Kosten zu überblick­en, ohne sie kon­trol­lieren zu kön­nen. Das ist handw­erk­lich das größte Desaster, von dem ich jemals aus so ein­er Nähe Ken­nt­nis genom­men habe.

Zurück zum The­ater – gibt es Stücke, die so richtig kleben geblieben sind über die Jahre?
Natür­lich eine ganze Rei­he von Insze­nierun­gen gibt es, die für mich per­sön­lich sehr wichtig sind, und große Erleb­nisse waren. Es gibt jedes Jahr ein, zwei Insze­nierun­gen die ich großar­tig finde. Ich bin jemand, der ins The­ater geht und an irgen­dein­er Ecke aufgeregt wer­den möchte. Ich möchte nicht beruhigt wer­den, nicht erhoben wer­den, ich möchte eine Szene sehen, die mich total über­rascht, eine Fig­ur sehen, die so ist, wie ich sie noch nie gese­hen habe in der Rolle.

Als Beispiel: Fritz Licht­en­hahn als Zettel im Som­mer­nacht­straum von Gosch in 1987. Das war keine durchge­hend geglück­te Auf­führung, aber dieser Fritz Licht­en­hahn ist mir – da gibt es einen Monolog von Zettel, wo der erwacht aus seinem Traum – der ist mir so unvergessen, dass ich häu­fig – zulet­zt übri­gens heute mor­gen – daran denken muss. Das ist ein­er der ganz großen The­ater­mo­mente meines Lebens.

Dann kom­men natür­lich Arbeit­en von Flimm, sein Platonov, auch früher schon,  in der Gob­ert-Zeit, gab es Flimm-Auf­führun­gen, “Sol­dat­en” und “Eduard II.” und so was, die für mich ein­fach zum Fun­dus dessen gehören, was meine Erin­nerung­sex­is­tenz aus­macht.  Und dann Wil­son, natür­lich “Black Rid­er”, das ist für mich mein Pro­duk­tion­s­großereig­nis gewe­sen, weil ich da auch per­sön­lich sehr stark am Zus­tandekom­men beteiligt war. Das geht hin bis zu Kriegen­burg, von dem es großar­tige Auf­führun­gen, wie “Die schmutzi­gen Hände” oder “Das let­zte Feuer” gab, die ich wahnsin­nig geliebt habe.

Mit die besten Auf­führun­gen von Kriegen­burg waren in der Gaußs­trasse, die hat, etwas pointiert gesagt, kein Men­sch gese­hen, da gab es mal so eine Rei­he von Kurzin­sze­nierun­gen, das “Mag­a­zin des Glücks”, Texte von Dea Loher. Zum Beispiel der Monolog, wo Mark­ward Müller-Elmau hin­ter ein­er Milch­glass­cheibe die Frau von Hel­mut Kohl gespielt hat, klingt nach einem schlecht­en Scherz, war’s aber nicht. Das war ein­er der bewe­gend­sten und berührend­sten Momente, die Frau, die durch ihre Lich­tal­lergie daran gehin­dert war, die Welt noch wirk­lich wahr zu nehmen …

Es gibt aber auch in dieser Ägide Insze­nierun­gen, die unge­heuer wichtig sind, ich finde der “Woyzeck” von der Jette Steck­el ist so eine Auf­führung. Ich bin sehr glück­lich, dass Luk Perce­val jet­zt hier ist, dessen “Ham­let”, dessen “Oth­el­lo”, sind  unfass­bar gute Auf­führun­gen. Ich kann mich immer wieder neu entzün­den, deswe­gen bin ich am The­ater, weil ich mich so gern in Flam­men set­zen lasse, weil ich das genieße. Ich genieße es aber auch, wenn ich heulen kann im The­ater. Wenn es richtig zur Sache geht, kön­nen sie mich Rotz und Wass­er heulen sehen, und ich amüsiere mich auchgerne. Ich liebe die Schaus­piel­er und die Regis­seure dafür, da geht so richtig mein ganzes Herzblut rein.

Bei dieser Begeis­terung, wie wird das sein, wenn sie ein­mal nicht mehr direkt an so einem Haus arbeit­en, wird das schw­er wer­den für sie?
Ich freu mich darauf, wenn ich mal endlich The­ater sehen kann, ohne dafür immer ver­ant­wortlich zu sein  oder es aus einem Konkur­renzblick zu sehen. Ich geh jet­zt schon sehr gern in andere The­ater, wo ich ein­fach entspan­nt was guck­en kann, wo ich auch Insze­nierun­gen sehen kann, die ich toll finde, wo aber die Leute raus­ge­hen in Scharen, was ja bei mir im The­ater doch ziem­liche Kopf­schmerzen macht, ich hab’s gar nicht gern, wenn die Leute die Auf­führun­gen has­sen.

The­ater ist nicht immer Herzblut, es ist auch manch­mal Galle, ich ärg­ere mich auch oft über unseren eige­nen Kram, ich genier mich oft in Grund und Boden und ich warte halt immer wieder darauf, dass ich angezün­det werde, dass es mich zu Trä­nen rührt und das passiert auch immer wieder. Ich bin  froh, wenn ich neue Insze­nierun­gen sehe, Hand­schriften ent­deck­en kann und neue Zugänge find­en kann, zu Stück­en die ich schon x‑mal gese­hen habe

Gibt es noch andere Kol­le­gen, bei denen Kun­st und Ver­wal­tung ähn­lich eng verzah­nt sind.
Die haben alle irgend­wie ne kleine Nei­gung zur Kun­st, mal mehr, mal weniger. Die meis­ten sind eher ein biss­chen trock­en natür­lich, der Typus ver­hin­dert­er Kün­stler, der ich bin, der ist nicht der Regel­ty­pus.

Wär das ein Job gewe­sen, wenn jemand gesagt hätte: Ret­ten sie das Schaus­piel­haus?
Das kam ja immer wieder, Flimm hat­te ja schon Ange­bote, das Schaus­piel­haus zu übernehmen. Als ich so Mitte 40 war, hab ich gedacht, das wär eine Auf­gabe, inzwis­chen denk ich mir, das muss ich mir nicht mehr antun.

Das ist ein schw­eres Haus, oder?
Viel schw­er­er als das Thalia, das Thalia ist ja ein Geschenk. Das Schaus­piel­haus ist eine Auf­gabe, das Thalia ist ein Geschenk.

Ein schönes Schluss­wort. Vie­len Dank für das Gespräch!
Da nich für …

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