Die geregelte Generation

Altersschwerpunkt auf Kampnagel: »Dem Weggehen zugewandt«

Großmutter, hüpf! (Foto: Kampnagel/Simone Scardovelli
Groß­mut­ter, hüpf! (Foto: Kampnagel/Simone Scar­dovel­li

Alle Worte sind Struk­tur. Alles ist Struk­tur, alles ist Rhyth­mus, alles ist Regel, ist Ablauf. Die Sprache der Alten ist die Sprache ein­er Gen­er­a­tion der Geregel­ten. Sie ergeben sich in ein­er ständig vari­ierten Floskel­haftigkeit, die Ord­nung der Dinge liegt schon im all­ge­gen­wär­ti­gen “man”, das die Dis­tanz zum Chaos der Ver­gan­gen­heit und zum Ver­fall der Gegen­wart schon regelt.

Auf Kamp­nagel kann man zurzeit das Pro­jekt “Dem Wegge­hen zuge­wandt” sehen, eine aufwendi­ge Pro­duk­tion über das Alter, die schon auf­grund ihres fast 70-köp­fi­gen Per­son­als die große Halle K6 bespie­len darf. Es ist der eine der bei­den Eröff­nungsin­sze­nierun­gen des The­men­schw­er­punk­tes zum The­ma Alter, den die umtriebige Leitung des Haus­es zeit­geist­nah in diesem Mai ein­gerichtet hat und jugendlich-flott “Old School – von Alten ler­nen” genan­nt hat.

Zu Beginn find­en sich eine Menge Bänke auf der großen Bühne, in zwei Rei­hen im Hal­bkreis ange­ord­net, die offene Seite zum Saal. Es sind klo­bige Möbel­stücke aus hellem, unbe­han­del­tem Holz. Eine jede Bank trägt einen Namenss­chriftzug, man braucht kein Namenslexikon und keinen Blick auf “Vornamen.de”, um her­auszufind­en, dass es sich nicht um die Vor­na­men von Kindern aus dem Pren­zlauer Berg han­delt. Es sind Namen ein­er Vorgänger­gen­er­a­tion, früher hieß man – da ist es wieder, das “man” – eben so. Zum Ein­lass sieht man an einem Ende des Hal­brun­des einen etwas derang­ierten Weißhaari­gen sitzen (Man­fred Andrae), die Man­schet­ten und den Kra­gen offen, stumm, offen­bar etwas ver­wirrt. Damit merken wir schon ein­mal, worum es bei den fol­gen­den fast 2 Stun­den geht.

Es treten dann auf: ein vielköp­figer Laien-Chor mit vorherrschend sil­briger Haar­farbe und merk­würdig far­ben­fro­her Gewan­dung, uner­wartet anstelle der weitver­bre­it­eten Senioren­beigevari­a­tio­nen. Und die promi­nen­ten Solospiel­er, die Fass­binder-Leg­ende Irm Her­mann mit­ten unter ein paar nicht mehr so promi­nen­ten Kol­le­gen, Volks­büh­nen­schaus­pielerin Carin Abicht, der schon genan­nte Man­fred Andrae, zwei ewige Mit­glieder des Deutschen The­aters in Berlin, Bär­bel Bolle und Ursu­la Staack und die Wig­man-Schü­lerin Fe Reichelt. Außer­dem ein vir­tu­os­es 13-köp­figes Stre­icherensem­ble aus Berlin mit dem Namen “Kalei­doskop”. Die Sache ord­net sich, der Chor stellt sich auf, Irm Her­rmann sitzt mit ein­er Kladde an einem Schreibtisch und es erklingt “Am Brun­nen vor dem Tore”, vom Bewohn­er des “Dreimäderl­haus” ist das, von Franz Schu­bert.

Es ist eine Welt des Ver­gan­genen und des Blicks zurück, in der sich Chor und Solis­ten bewe­gen, getak­tet durch Zeitze­ichen und knis­ternde Rund­funk-Ansagen. Rund­funk, das ist auch so ein Wort von früher, das find­et sich heute allen­falls im “R”, in den Abkürzun­gen von soge­nan­nten Medi­en­anstal­ten ver­bor­gen. Es geht um Erin­nerun­gen und das Verge­hen, Irm Her­mann rez­i­tiert, aus ein­er Art Tage­buch physis­chen Ver­falls und bezieht Posi­tio­nen im Büh­nen­rund. Man kann das reduziert nen­nen, oder auch weit hin­ter den darstel­lerischen Möglichkeit­en zurück­bleibend. Ihrer tat­säch­lichen Aura kann das allerd­ings nichts anhab­en.

So trist allerd­ings ist die Sache nicht, die Regis­seurin Maria Mag­dale­na Ludewig hat eine Menge Ein­fälle, sie hat ihren Laien­chor chore­o­gra­phiert, es wird viel Altes gesun­gen, die Erin­nerungs­mas­chine ange­wor­fen. Da klap­pern mal die Kaf­fee­tassen kollek­tiv, als sei’s ein Stück von Marthaler oder die Cho­ris­ten sortieren sich nach den Far­ben ihrer Hem­den, was die Beige-Abwe­sen­heit erk­lärt, es sind die Far­ben des Regen­bo­gens. Der Regen­bo­gen ist ein Sym­bol der Hoff­nung.

Ein wenig zer­fahren wirkt das alles schon, unruhig und ein wenig knirschend zwis­chen Laien­spiel und Profi­darstellern. Da hän­gen die Anschlüsse des Chores schon ein­mal leicht hin­ter­her und zwis­chen­drin sieht es dann tat­säch­lich ein­mal aus wie die Seniorengym­nas­tik in der Volk­shochschule. Aber es ist auch ein in Kauf genommenes Spiel mit der Unzulänglichkeit und damit wieder nah beim The­ma von Altern und Verge­hen.

Im Kleinen groß wird es, wenn Ram­p­enko­ryphäen wie Ursu­la Staack in die Ver­gan­gen­heit tauchen, Erin­nerungsmuster abgerufen wer­den, vor der Kulisse des Semi­no-Rossi-Klas­sik­ers “Il Silen­zio”. Und da ist es dann wieder, das “man” – “Mal wollte es doch ein­mal schön haben”. Die Ver­gan­gen­heit und die Erin­nerung mit­samt ihren starken For­mal­isierun­gen und Struk­turen geben eine Führung für das Leben, das sich dem Ende zuneigt. Dem Wegge­hen zuge­wandt, ja.

Es ist eine Gen­er­a­tion, die eigentlich schon nicht mehr lebt. Die vor dem Krieg im klein- und bil­dungs­bürg­er­lich Aufgewach­se­nen, die den deutschen Kanon zwis­chen Operette und Faust spie­lend beherrschen, die Nachkom­men Diederich Heßlings, die in den Bomben­nächt­en um ihre Kinder bangten und auch da immer die Form wahren mussten, um über­leben zu kön­nen, sind inzwis­chen fast alle tot.

Die Gen­er­a­tion der Kriegskinder hat sie abgelöst als Alte, sie sind es, die das Erbe weit­er­tra­gen. Auch sie sind mit der “Hal­tung” und der Ord­nung der Dinge aufgewach­sen, an die sie sich jet­zt klam­mern. Solche Wahrnehmungsräume macht der Abend dann eben auch auf, und damit erre­ichen sie uns, die Alten.

In ein­er der schön­sten Szenen kann man die greise Tänz­erin Fe Reichelt an der Rampe sehen, ihr tänz­erisch­er Aus­druck ist inzwis­chen auf ein paar Gesten beschränkt. Sie rez­i­tiert und wird begleit­et von einem Stre­ichtrio aus dem großen Kalei­doskop-Ensem­ble. Die drei junge Frauen tanzen an ihrer Stelle, immer wieder ein leichter Seit­sprung zwis­chen den Schrit­ten aus dem Büh­nen­hin­ter­grund, sie spie­len und sprechen ein Wort: “Groß­mut­ter, hüpf!” Es geht eben doch immer noch, zumin­d­est ein biss­chen, bis das Ende da ist.

Es wird heute und mor­gen Abend noch auf Kamp­nagel gespielt. Wir ler­nen.

1 Kommentar

  1. Der Abend hat,je länger er dauert, einen depres­siv­en und ermü­den­den Zug. Schöne Geschicht­en wer­den nicht erzählt, etwa die freuden mit den enkelkindern..Lieder spie­len auch nicht die dom­i­nante Rolle,die der Bericht bzw das Pro­gramm suggerieren.Die Kriegsgeneration,zu der ich auch gehöre, ist nicht ein­fach nur der Nachkomme von diet­rich heßling son­dern sie haben aus ihrem leben nach dem Zivil­i­sa­tions­bruch eine ziv­il-demokratis­che Ges­llschaft aufgebaut,die sich sehen lassen kann.Dass es mit zunehmen­dem Alter und mit dem Anwach­sen von demenz trau­rige Abbrüche gibt,ist wohl nicht zu vermeiden.Vergeßlichkeit kann auch heit­er­er ertra­gen werden.Was auf­fällt — Choräle, gesang­buch­lieder spie­len keine rolle ind em Stück.Dabei weiß die demen­zprax­is dass sie neben Volk­sliedern das sind,was bis zulet­zt bleibt:singe sel­ber in einem kirchlci­hen senioren­chor und immer­hin haben wir uns versprochen,an den gräbern­der ver­storebe­nen Chor­mit­glieder auch noch zu singen.Der Hin­weis auf Pina bauschs Kon­tak­thof , getanzt von Senioren,wäre ange­bracht gewe­sen. Sehr gut die mobilen Bänke,die den effekt ein­er drehbühne hat­ten

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  1. »Das Leben hat mich gelehrt« | HAMBURGER FEUILLETON

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