Double Feature bis zum bitteren Ende

Wieder einmal brachte das "Körber Studio Junge Regie" das Thalia in der Gaußstraße sechs Tage lang zum Brummen. 14 Regie-Studierende aus Hochschulen im gesamten deutschsprachigen Raum traten mit ihren Inszenierungen gegeneinander im Wettbewerb an. Am Sonntag, den 27. 3., gab es zwei Produktionen zu sehen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Regiegesichter von morgen

Ein Abend, zwei Col­la­gen. Eine über das Leben. Und eine über das Ster­ben. Jens Bluhm vom Wiener Max Rein­hardt Sem­i­nar set­zt sich in “In Euren Augen“ mit dem frem­den Blick auseinan­der. Als „Schaulust-Pro­jekt“ beze­ich­net er seine – zunächst schein­bar – lose Szenen­folge, die sich let­ztlich auf ganz wun­der­same Weise zu einem ver­schränk­ten Ganzen fügt.

Der rote Samtvorhang, lose an ein­er Wäscheleine befes­tigt, hebt sich zu Beginn nicht etwa, nein, eine junge Schaus­pielerin, die aus den Pub­likum­srei­hen kommt, stolpert in ihn hinein, reißt ihn zu Boden und stürzt. Sie gibt den Blick frei auf ein Sam­mel­suri­um aus Fen­stern, Spitzen­gar­di­nen, Wäscheleinen, Spiegeln, kurz: auf ein Archiv der Dinge, durch die wir hin­durch- und in die wir hinein­blick­en. Und da sehen wir Geschicht­en, wie der All­t­ag sie schreibt. Von der alten Dame, die beim Blick aus dem Fen­ster die Bäck­erei auf der gegenüber­liegen­den Straßen­seite ver­misst. Von der Tänz­erin, die sich die Maske vom Gesicht nimmt, kopf­schüt­tel­nd ins Pub­likum sieht und sagt: “Ich weiß nicht, wie das weit­erge­hen soll mit Ihnen und mir.” Von Par­ty­girls, die sich auf der Toi­lette tre­f­fen; und während die eine munter in den Mülleimer kotzt, spielt die andere mit ihrem Kau­gum­mi und sagt “Ich hat­te grad’ Sex auf dem Klo mit dem Pro­duzen­ten.” Die andere hört auf zu wür­gen, sieht got­ter­bärm­lich klein aus dabei und fragt ern­sthaft “Hast du schon mal auf dem Dach?” Und die erste sagt “Ne, ich bin eher der Klo­typ.”

Zu Voyeuren wer­den wir von Szenen, die wir nicht sehen wollen. Der Tier­stim­men-Experte, der vor dem Doku­men­ta­tions­film über das Paarungsver­hal­ten der Antilopen in den Pelz sein­er Gat­tin onaniert.  Um sich gle­ich danach in neuer Rolle ans Klavier zu set­zen und herzzer­reißend “For­ev­er Young” von Alphav­ille zu inter­pretieren, während die bei­den Damen des Dreier-Ensem­bles sich gekon­nt in Bor­d­stein­schwal­ben ver­wan­deln. Der Pas­sant, den sie hinein­lock­en möcht­en, ist wiederum der Tier­forsch­er, der eigentlich ins The­ater möchte. Und so gibt eine Szene die näch­ste, geben sich die Fig­uren die Klinke in die Hand, ziehen sich die Schaus­piel­er hin­ter den Spitzen­vorhän­gen um – und plöt­zlich ver­schränkt sich auf selt­same Weise die schöne Kun­st mit dem hässlichen Leben. Und die Voyeure sitzen im Pub­likum bei der Beobach­tung dieses munteren, ein wenig wiener­isch-mor­biden Reigens. Wenn dann die alte Dame vom Beginn durchs Fen­ster hin­durch abge­ht und den roten Samt hin­ter sich herzieht, ihren ganz per­sön­lichen let­zten Vorhang, entringt sich dem einen oder anderen Voyeur ein Seufz­er. Zum Glück bricht Bluhm die Melan­cholie, indem er die anderen Schaus­piel­er während­dessen ener­gisch die Bühne leer räu­men lässt. Der Vorhang kommt wieder an die Wäscheleine. Und der let­zte macht das Licht aus.

Eine halbe Stunde später: “Dreileben”, Beitrag der The­at­er­akademie Ham­burg. Das Konzept: Drei Studierende erzählen drei Lebens­geschicht­en, die nicht ihre sind. Es sind die Geschicht­en dreier Men­schen, die ster­ben wer­den. Sie sind im Hos­piz, in einem Alter­sheim, in ein­er Pri­vat­woh­nung. Regis­seur Ger­not Grünewald hat seine Schaus­piel­er zu ihnen geschickt. Er selb­st hat sie nicht getrof­fen, son­dern sich die Geschicht­en erzählen lassen und sie zu einem Ganzen mon­tiert, das – wenn wir ehrlich sind – kein Ganzes ist.  Dazu sind die Lebensen­twürfe und Ster­bens­geschicht­en der drei Men­schen auch viel zu unter­schiedlich.

Auf der Bühne ste­ht nicht viel, das sich zu einem Leben zusam­men­schus­tern ließe.

Drown­ing by Num­bers (Quelle: Thalia-The­ater)

Fünf mit Gaze bespan­nte roll­bare Rah­men gibt es, die immer wieder unter­schiedlich ver­wen­det wer­den. Für Pro­jek­tio­nen. Als Wand. Als Schaus­piel­er-Guck­kas­ten. Was ger­ade so ein­fällt. Es wird viel ger­an­nt auf der Bühne. In Mikro­phone gehus­tet, geschnalzt, gesprochen, geloopt. Das volle Pro­gramm der tech­nis­chen Möglichkeit­en aus­getestet, aus Stühlen Türme gebaut. Manch­mal wirkt das beliebig. Manch­mal entste­hen ganz wun­der­same Assozi­a­tions­ket­ten und Bebilderun­gen für das Erzählte.

Die drei Studieren­den erforschen den Tod. Sie sind jung. Sie sind gesund. Und eine von ihnen ist sog­ar schwanger. Wie soll man da über den Tod erzählen? Aber sie tun es ein­fach. Sie horchen in ihre Inter­view-Auf­nah­men hinein, den Kopfhör­er im Ohr und erzählen par­al­lel dazu, was sie hören: “Und dann hab ich sie gefragt, ob ihre Krankheit sie sehr ein­schränkt. Und sie hat gesagt, ich leb’ nicht für oder gegen meine Krankheit, son­dern mit ihr.” Das  ist erzählte Geschichte auf der Bühne. Und auf eine Weise ist man froh darüber, dass diese Men­schen einen Raum bekom­men, dass ihr Leben erzählt wird, ihre Wün­sche, Träume, Sehn­süchte, Ent­täuschun­gen. Und auf der anderen Seite ist man gereizt von diesem Exper­i­ment, dieser kühlen Ver­such­sanord­nung, die pseu­do-nüchtern auf unseren Blick auf das Tabuthe­ma Tod abzielt. Auch hier die Ver­schränkung von Kun­st und Leben – oder bess­er: Ster­ben – aber ganz bewusst entza­ubert. Gefilmt. Dig­i­tal­isiert. Kom­men­tiert. Und durch die Beat­box gejagt.

Zwei mal drei Schaus­piel­er, zwei Insze­nierun­gen, ein Pub­likum, ein Blick. Zwei ganz unter­schiedliche Sichtweisen, was The­ater aus­macht, was die Bühne kann und darf. Eine ganz nüchterne Rech­nung. Gewon­nen hat beim Kör­ber Stu­dio Junge Regie der küh­le Blick, hat die Tech­nik, hat das Gerenne und die Pro­jek­tion. Die Begrün­dung der Jury: “Die Insze­nierung behan­delt das The­ma ‘Tod’ sehr sen­si­bel, span­nend und inter­es­sant. Es entste­ht kein ‘Betrof­fen­heit­sthe­ater’, was in erster Lin­ie der Tex­tentste­hung zu ver­danken ist. Bemerkenswert sind das Recherchev­er­fahren und die unter­schiedlichen auk­to­ri­alen Erzäh­lebe­nen sowie der gekon­nte Umgang mit medi­alen Mit­teln. Ein Abend, der mutig entsch­ieden in den Dienst eines The­mas gestellt wird: Einen Ort und eine Sprache für diejeni­gen zu find­en, die keine Stimme mehr haben.”

Bei­des hat seine Berech­ti­gung. Bei­des darf sein. Die Rezensentin betra­chtet das nüchtern. Und möchte trotz­dem immer noch gern verza­ubert wer­den im The­ater. Wenn nun bei einem Wet­tbe­werb der Regiehochschulen – also der Regiehand­schriften von mor­gen – die Sprache ohne Zauber gewin­nt – sagt das etwas aus über das The­ater, das wir wollen? Muss The­ater kün­ftig nüchtern in den “Dienst eines The­mas“ gestellt wer­den? Der Vorhang bleibt offen und alle Fra­gen auch.

2 Kommentare

  1. es würde mich schon inter­essieren, was eine “auk­to­ri­ale erzäh­lebene” (Begrün­dung der Jury) ist. (wer denkt sich denn sowas aus? soll das für den man­gel an sinnlichkeit her­hal­ten? wird the­ater gedacht oder erlebt?)
    thomas

  2. Da ste­ht tat­säch­lich Konzeptthe­ater (Ham­burg) gegen ein Stück, das sich aus dem Szenen­studi­um eines Regi­es­tu­den­ten mit drei Schaus­pielschülern entwick­elt hat (Wien). Unter­schiedlich­er kön­nten die Ansätze kaum sein. Die Entschei­dung der Jury zeigt ja eigentlich nur, dass das Sicht­bar­ma­chen eines Konzeptes auf der Bühne ihren Respekt ver­di­ent. Und wenn das Konzept so gut ist, dass man ihm das “Gedachte” nicht mehr ansieht, kann es sich­er auch “erleb­bares” The­ater wer­den. Ich habe das bei dem Beitrag der Akademie allerd­ings keine Sekunde so emp­fun­den.

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