Fliegen, so leicht

Stefan Gwildis und die NDR Bigband haben einen Klassiker eingespielt. Nicht mehr und nicht weniger.

Ein paar Tak­te nur braucht sie allein, die Flöte, ein paar darunter gehauchte Klänge aus der Holzsek­tion set­zen ein, dann führt das Alt die Melodie, lässt die Akko­rde des ural­ten Stan­dards offen schweben, ein leicht­es Zögern, bis Bass und Klavier mit einem dun­klen Glock­en­mo­tiv das Feld bere­it­en für einen der großen Klas­sik­er des Amer­i­can Song­books.

Es ist Chet Bak­ers ewiger Ver­such­sauf­bau, My Fun­ny Valen­tine, kom­poniert 1937 von Richard Rogers und betex­tet von Lorenz Hart für eines ihrer längst vergessen Musi­cals, Babes in Arms. Dieser Valen­tine White, um den es geht, ist im Text eine merk­würdi­ge Fig­ur, ein biss­chen ungeschickt, täp­pisch gar und nicht beson­ders ansehn­lich:

Is your fig­ure less than greek
Is your mouth a lit­tle weak
When you open it to speak
Are you smart?

Der raunende Flügel­horn­spiel­er Ches­ney Hen­ry Bak­er hat sich abgear­beit­et an diesen paar Moll-Akko­r­den von Richard Rogers, hat den ewig schweben­den Song immer wieder gespielt und einge­spielt. Er spielte ihn auch noch, als er, der vielle­icht tragis­chste unter den Jazzmusik­ern, schon alle Zähne einge­büßt und jenen kühlen Zauber­ton ver­loren hat­te, für den der immer mit James Dean Ver­glich­ene in den Fün­fzigern gerühmt wor­den war.

Die Lip­pen hiel­ten in diesen späten Jahren seines Lebens die Luft nicht mehr, es rauschte und zis­chte, und wenn er die Schlusszeile “Each Day is Valen­tines Day” sang, brach die Stimme. Die Magie von Song und Musik­er aber störte das nicht.

Auch wenn die Dro­gen ihn weit­er begleit­eten, seine grössten Erfolge, feierte er, der vor allem in Europa so spät wieder­ent­deckt wurde, in diesen let­zten Jahren. 1988 fiel er – manche sagen auch, er sprang – aus dem Fen­ster eines Ams­ter­damer Hotels. Der im gle­ichen Jahr veröf­fentlichte Doku­men­tarfilm von Bruce Weber über sein Leben heißt “Let’s get lost”.

In dem Moment, in dem der Sänger mit dem war­men Tim­bre ein­set­zt, ist diese Erin­nerung an den grossen Musik­er nicht mehr ver­loren. Aus der skur­rilen Fig­ur des Orig­inal­textes wird eine Zus­tands­beschrei­bung von Glück und Verge­hen, der Song heißt jet­zt “Das mit dem Glück­lich­sein”.

Bei ihm bleibt zunächst nur die Rhyth­mus-Sek­tion, fein geschwun­gene Besen, ein paar Shear­ing-Noten vom Pianis­ten, dann hebt das Blech der Big­band sich san­ft in die Höhe, lauter nach oben strebende Liegetöne, satt, eine dis­so­nan­ter klein­er Wis­ch­er auf der Skala nach unten auf dem Wort “schw­ere­los”. Etwas rau ist der Hauch dieser Stimme, auch wenn es in die höheren Kopfla­gen geht, dann zart und zer­brech­lich­er.

Jede Phrasierung ist textbe­zo­gen, gradlin­ig auf den Inhalt konzen­tri­ert. “Das ist wie fliegen kön­nen, so leicht …”, heißt es da und auch die Worte wer­den in diesem Moment leicht, ein kleines Zurück­nehmen in der Laut­stärke, ein Hauch ein­er Tim­bre­ver­schiebung, nach oben mod­uliert.

In der Fol­gezeile hört man ein kleines Atem­holen, ein Anlauf, um abzuheben: “Bre­ite die Arme aus”.  – “So ein­fach ist das Glück­lich­sein” heißt es zum Schluss. Dann kommt nur noch das Out­ro, das Sax­ophon übern­immt noch ein­mal, ein bißchen Tsching­dara auf den Beck­en, aus.

War nicht auch Chet Bak­er ein­er, der davon­flog vor der Welt?

Der Sänger heißt Ste­fan Gwild­is, den Text schrieb er zusam­men mit seinem langjähri­gen Wegge­fährten Michy Reincke, die Band, mit der er musiziert, ist die NDR-Big­band, jenes Orch­ester, mit dem der Trompeter sein let­ztes Konz­ert auf­nahm.

Auf dem ger­ade neu erschiene­nen Album von Band und Sänger, das so heißt wie dieses Lied, ist noch ein ganzen Dutzend ander­er Songs. Kein­er ist schlechter.

Ste­fan Gwilds & NDR Big­band:
Das mit dem Glück­lich­sein

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