Ein paar Takte nur braucht sie allein, die Flöte, ein paar darunter gehauchte Klänge aus der Holzsektion setzen ein, dann führt das Alt die Melodie, lässt die Akkorde des uralten Standards offen schweben, ein leichtes Zögern, bis Bass und Klavier mit einem dunklen Glockenmotiv das Feld bereiten für einen der großen Klassiker des American Songbooks.
Es ist Chet Bakers ewiger Versuchsaufbau, My Funny Valentine, komponiert 1937 von Richard Rogers und betextet von Lorenz Hart für eines ihrer längst vergessen Musicals, Babes in Arms. Dieser Valentine White, um den es geht, ist im Text eine merkwürdige Figur, ein bisschen ungeschickt, täppisch gar und nicht besonders ansehnlich:
Is your figure less than greek
Is your mouth a little weak
When you open it to speak
Are you smart?
Der raunende Flügelhornspieler Chesney Henry Baker hat sich abgearbeitet an diesen paar Moll-Akkorden von Richard Rogers, hat den ewig schwebenden Song immer wieder gespielt und eingespielt. Er spielte ihn auch noch, als er, der vielleicht tragischste unter den Jazzmusikern, schon alle Zähne eingebüßt und jenen kühlen Zauberton verloren hatte, für den der immer mit James Dean Verglichene in den Fünfzigern gerühmt worden war.
Die Lippen hielten in diesen späten Jahren seines Lebens die Luft nicht mehr, es rauschte und zischte, und wenn er die Schlusszeile “Each Day is Valentines Day” sang, brach die Stimme. Die Magie von Song und Musiker aber störte das nicht.
Auch wenn die Drogen ihn weiter begleiteten, seine grössten Erfolge, feierte er, der vor allem in Europa so spät wiederentdeckt wurde, in diesen letzten Jahren. 1988 fiel er – manche sagen auch, er sprang – aus dem Fenster eines Amsterdamer Hotels. Der im gleichen Jahr veröffentlichte Dokumentarfilm von Bruce Weber über sein Leben heißt “Let’s get lost”.
In dem Moment, in dem der Sänger mit dem warmen Timbre einsetzt, ist diese Erinnerung an den grossen Musiker nicht mehr verloren. Aus der skurrilen Figur des Originaltextes wird eine Zustandsbeschreibung von Glück und Vergehen, der Song heißt jetzt “Das mit dem Glücklichsein”.
Bei ihm bleibt zunächst nur die Rhythmus-Sektion, fein geschwungene Besen, ein paar Shearing-Noten vom Pianisten, dann hebt das Blech der Bigband sich sanft in die Höhe, lauter nach oben strebende Liegetöne, satt, eine dissonanter kleiner Wischer auf der Skala nach unten auf dem Wort “schwerelos”. Etwas rau ist der Hauch dieser Stimme, auch wenn es in die höheren Kopflagen geht, dann zart und zerbrechlicher.
Jede Phrasierung ist textbezogen, gradlinig auf den Inhalt konzentriert. “Das ist wie fliegen können, so leicht …”, heißt es da und auch die Worte werden in diesem Moment leicht, ein kleines Zurücknehmen in der Lautstärke, ein Hauch einer Timbreverschiebung, nach oben moduliert.
In der Folgezeile hört man ein kleines Atemholen, ein Anlauf, um abzuheben: “Breite die Arme aus”. – “So einfach ist das Glücklichsein” heißt es zum Schluss. Dann kommt nur noch das Outro, das Saxophon übernimmt noch einmal, ein bißchen Tschingdara auf den Becken, aus.
War nicht auch Chet Baker einer, der davonflog vor der Welt?
Der Sänger heißt Stefan Gwildis, den Text schrieb er zusammen mit seinem langjährigen Weggefährten Michy Reincke, die Band, mit der er musiziert, ist die NDR-Bigband, jenes Orchester, mit dem der Trompeter sein letztes Konzert aufnahm.
Auf dem gerade neu erschienenen Album von Band und Sänger, das so heißt wie dieses Lied, ist noch ein ganzen Dutzend anderer Songs. Keiner ist schlechter.
Stefan Gwilds & NDR Bigband:
Das mit dem Glücklichsein
[Amazon Partnerlink]
Hinterlasse jetzt einen Kommentar