Gastbeitrag: Kultur geht anders als Shoppen

Kommentar unseres Gastautors Anselm Lenz, Dramaturg in Hamburg

Seit Jahren, spätestens jedoch seit dem Man­i­fest “Not in our Name, Marke Ham­burg”, formiert sich ein Bünd­nis der Kul­turschaf­fend­en in Ham­burg gegen die Prozesse der Gen­tri­fizierung, “Even­tisierung” und “Durchökonomisierung” der Kul­tur­poli­tik in Ham­burg.

Für die Bürg­er und Kon­sumenten richt­en sich Fra­gen auf das Ange­bot, die Ein­trittspreise und die Qual­ität von Kul­tur in der Stadt. Dabei wer­den in der Diskus­sion immer wieder Ver­gle­iche zu Städten wie bspw. Berlin, Wien, Ams­ter­dam oder Kopen­hagen gezo­gen. Das Inter­esse an kul­turellen Biotopen, die expliz­it auch die freie Kunst‑, Kul­tur- und Club­szene ein­schließen, scheinen vielfach auss­chlaggebend für die Auswahl des Wohn‑, Arbeits- und Stu­dienortes zu sein.

Die Kul­turin­sti­tu­tio­nen
Die staatliche Kul­tur­förderung hat in Ham­burg keine alte Tra­di­tion und geht zumeist auf bürg­er­liche Ini­tia­tiv­en zurück. (dazu zählen bspw. die Grün­dun­gen der heuti­gen Staat­sthe­ater wie auch der Bücher­hallen). So ist Ham­burg als alter mit­tel-/nord­wes­teu­ropäis­ch­er Han­del­splatz und regionale Stadt­macht als aus­ge­sprochen ver­spätete Kul­turmetro­pole zu beze­ich­nen. Beispiel­haft sei hier­für die Grün­dung der Uni­ver­sität Ham­burg im Jahre 1919 genan­nt, also fast  600 Jahre nach der ersten Uni­ver­sität im deutsch geprägten akademis­chen Raum (in Prag).

“Ach, das waren noch Zeit­en, als Ham­burg unter einem Min­der­w­er­tigkeit­skom­plex litt und Kul­turstadt wer­den wollte.” schreibt Eve­lyn Fin­ger in DIE ZEIT vom 30. Sep­tem­ber dieses Jahres. Insofern ist die Kul­turferne dieser Stadt und die Frage nach dem ökonomis­chen Nutzen des kul­turellen Charak­ters ein­er Stadt hier nicht neu. Neu scheint hinge­gen zu sein, daß dieser Man­gel an kul­tureller Trag­weite Ham­burgs, ger­ade in Rela­tion zu anderen, häu­fig viel weniger reichen und kleineren europäis­chen Großstädten, der aktuellen Kul­tur­poli­tik nicht mehr pein­lich zu sein scheint. Vielmehr wird nun auf importierte Kun­st und Kul­tur geset­zt in Form von Fes­ti­vals, Events, Gast­spie­len und Musi­cals — mit den Kün­stlern ander­er Städte. Ham­burg hat­te mal den Anspruch (und bis in die späten 1980er Jahre dafür auch entsprechen­des Geld aus­gegeben), sein­er­seits und mit seinen eige­nen Kün­stlern in andere Städte auszus­trahlen.

Die Schaf­fend­en
Die Kun­st­pro­duk­tion in Ham­burg lei­det seit den 1990er Jahren unter stag­nieren­der (und sink­ender) Kul­tur­förderung. Das bet­rifft den akademis­chen Aus­bil­dungs­be­trieb genau­so wie die Förderung von freiem Kul­turschaf­fen (die in Ham­burg in Rela­tion zu bspw. Wien qua­si gar nicht vorkommt), wie auch die großen Ren­nomier­be­triebe wie die großen Staat­sthe­ater, wo hin­ter den feu­dalen Fas­saden zu teils unglaublich schwachen Kon­di­tio­nen kul­turelle Höch­stleis­tun­gen gebracht wer­den sollen. Gepaart mit den enor­men Leben­shal­tungskosten macht das Ham­burg als Stan­dort für Kul­turschaf­fende immer weniger attrak­tiv. Das Kli­ma ist inzwis­chen als teils offen feind­selig zu beze­ich­nen. Man hört soet­was wie: Wer jet­zt noch nicht in Berlin oder Wien ist, hat andere Gründe als pro­fes­sionelle.

Das Pub­likum
Das Pub­likum ist so vielfältig wie eine Stadt von zwei Mil­lio­nen Ein­wohn­ern selb­st. Die Frage nach der Zweck­mäßigkeit der Förderung der Staat­sthe­ater gegenüber der Rentabil­ität der Musi­cals stellt sich eventuell genau­so wenig oder viel wie der Ver­such Tele5 gegen Phoenix auszus­pie­len: Es sind andere Bedürfnisse und andere Auf­gaben, die zu erledi­gen sind.

Das Pub­likum sind zunächst die Bürg­er selb­st. Zum Ham­burg­er Selb­stver­ständ­nis gehört zum einen ein gelassen­er Lokalpa­tri­o­tismus für die hiesi­gen kul­turellen Größen und die Kul­turin­sti­tu­tio­nen, und  zum anderen der Anspruch als Metro­pole von inter­na­tionaler Rel­e­vanz auch entsprechend wahrgenom­men zu wer­den.

Dazu gehört expliz­it (und ent­lang sein­er kultür­lichen Veror­tung im Stadtleben als region­al ham­bur­gis­che Beson­der­heit hier sog­ar zuallererst) die ein­st­mals so genan­nte Szene, die sich stadt­geo­graphisch in St. Pauli, der Schanze und in Altona verorten läßt und sich zulet­zt ins­beson­dere durch die neue deutsche Pop­ulär­musik und die Bildende Kun­st ausze­ich­nete.

Da das Bedürf­nis zu Schaf­fen dem Bedürf­nis zu kon­sum­ieren vorgeschal­tet sein muß (ohne Pro­duzen­ten kein Kon­sum), kön­nte es sein, daß auch dem Pub­likum bei genauerem Hin­se­hen, die lokale Kul­tur­pro­duk­tion weitaus mehr am Herzen liegt, als allzule­icht angenom­men. Denn zuerst liebt man in Ham­burg seine Stadt mit seinen Biotopen und Pro­duk­tion­sstät­ten – und erst dann den Nutz- und Unter­hal­tungswert. Immer­noch ziehen Mil­lio­nen von Besuch­ern den Gang ins Kino, ins The­ater, ins Musi­cal dem pri­vat­en Kon­sum an den Bild­schir­men zuhause vor – und dabei spielt es auch eine Rolle, ob man ein Musi­cal mit Hafen­rund­fahrt anschaut oder sich der kul­turellen Szene der The­ater, Büh­nen und Konz­ert­clubs beg­ibt. Bei­des sind rel­e­vante Zugänge zu Kul­tur, let­zter­er verbindet eventuell dauer­hafter mit der Stadt und seinen Men­schen.

Die Stadt
Ham­burg ist eine der meist­be­sucht­en Städte Deutsch­lands. Das liegt nicht nur am Hafen. Das ist deut­lich mit kul­turellen Vorzü­gen verknüpft.

Ham­burg ist die größte unter den Städten Europas, die nicht Haupt­stadt ihres Lan­des sind. Der ökonomis­che und kul­turelle Anspruch Ham­burgs kann es nur sein, mit den näch­sten Metropolen wie Kopen­hagen im Nor­den, Ams­ter­dam im West­en, Berlin im Osten und, sagen wir sog­ar München im Süden, mithal­ten zu kön­nen. Nun ist in Fra­gen der Ökonomie Ham­burg seine Rel­e­vanz sich­er nicht so schnell stre­it­ig zu machen. Doch kul­turell? Die genan­nten Städte sind alle­samt klein­er als Ham­burg. Nach dem Ham­burg­er Selb­stver­ständ­nis möchte man sich doch eigentlich mit Lon­don und Wien zumin­d­est in ein­er Liga bewe­gen kön­nen. Well … das ist zuallerst eine Frage der Kul­tur.

Die Schön­heit der Chance
Ham­burg als zurück­gelehnte Großs­tadt mit dem Selb­stver­ständ­nis ein­er kon­ti­nen­tal rel­e­van­ten Kul­turstadt braucht seine eigene Kul­tur­pro­duk­tion, wenn es nicht auss­chließlich von außen beliefert wer­den und damit seine neg­a­tive Export­bi­lanz aus­bauen will. Die let­zten Exportschlager ein­er orig­inär Ham­burg­er Kul­tur­pro­duk­tion sind bespw. das Thalia-The­ater unter Khuon, das Bal­lett unter Neumeier, die“Hamburger Schule” und die damit verknüpfte ästhetis­che Prax­is von Grup­pen wie Tocotron­ic, bildende Kün­stler wie Daniel Richter und Jonathan Meese und Schaus­piel­er wie die Gruppe Stu­dio Braun.

Doch in den let­zten Jahren tut sich dem all­ge­meinen Vernehmen nach ein Loch auf. Der inter­na­tionale Ruhm ist lange verblaßt. Die bun­desweite Rel­e­vanz ist infrage gestellt. Die Antwort darauf sollte nicht Kürzung der Kul­tur, son­dern ihre Stärkung sein.

Die Schön­heit der Chance sich als kul­turelle Metro­pole mit, vere­in­facht gesagt, britis­ch­er Offen­heit, skan­di­navis­ch­er Gelassen­heit und hanseatis­chem Reich­tum gegen die (teils jährlich wech­sel­nden) nervösen Trend­metropolen zu behaupten, ist gegeben. Das Argu­ment ist auch hier­bei eben nicht ökonomis­ch­er Erfolg. Son­dern kul­turelle Rel­e­vanz in allen Aspek­ten.

Kul­tur geht anders als Shop­pen – ein Bünd­nis schmieden
Ziel ein­er neuen kul­tur­poli­tis­chen Ini­tia­tive sollte es sein, ein bre­ites Bünd­nis zu schmieden. Das kann über den Prozeß ein­er weit­gestreuten Ein­ladung zur Par­tizipa­tion, über eine offene Bestand­sauf­nahme und weit­er über eine mod­erierte Analyse hin zu ein­er konzen­tri­erten Forderung auf Verän­derung des kul­tur­poli­tis­chen Pro­fils der Stadt Ham­burg ver­laufen.

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