Habt Ihr keinen Hunger, Ihr Hamburger?

SHOWCASE BEAT LE MOT mit PARIS 1871 BONJOUR COMMUNE zu Gast auf Kampnagel

Die Revolutionäre sind ausgeflogen.
Die Rev­o­lu­tionäre sind aus­ge­flo­gen. (Bild: hhf)

Zunächst ein­mal wird man ange­brüllt, wenn man rein kommt. Ob man denn keinen Hunger hätte? Die vier Per­former von SHOWCASE BEAT LE MOT haben Coque au vin bere­it­et, es gibt Rotwein und Baguette. Man sitzt, tunkt Brot in die Sauce. “In Berlin hat dieser Teil des Stück­es fünf Minuten gedauert. Ham­burg ist eine sat­te Stadt.” Das mag stim­men. Aber es gibt auch so viel zu guck­en neben­bei. An die Wände und auf den Vorhang wer­den alte Stem­pel pro­jiziert, “Mar­seil­laise” ste­ht da, und das Essen duftet so gut.

Doch bald wird es dunkel, und man muss sich beeilen, den guten Hahn in Sicher­heit zu brin­gen und nicht zu viel zu kleck­ern dabei. Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf vier Särge. Und denen entsteigen sie, die Rev­o­lu­tionäre des Coque au vin. Nur ein­er bleibt drin, er hat offen­sichtlich keine Lust auf Rev­o­lu­tion, bis man seinen Sarg öffnet, und der ist leer. Dafür brin­gen sie aller­hand Gerätschaften auf die Bühne: Eine Flugzettel-Wurf­mas­chine, eine Akko­rdeon-Spiel­mas­chine und eine Guil­lo­tine aus rohem Holz. Sehr unrev­o­lu­tionär wird man in der ersten Rei­he darauf hingewiesen, die Hand vor die Augen zu nehmen, wenn die Flug­blät­ter kat­a­pul­tiert wer­den. Nicht, dass man sich weh tut bei der Rev­o­lu­tion! Man weiß ja, was für eine Sauerei das gab im Jahr 1789. Und später wird das Papi­er fein säu­ber­lich aufge­sam­melt. “Das darf hier nicht liegen bleiben!” Ordentliche Rev­o­lu­tionäre sind das. Sie haben verin­ner­licht, woge­gen sie demon­stri­eren und machen keinen Dreck.

Die Rev­o­lu­tionäre von heute, sie schwenken keine Fah­nen, son­dern Wür­fel, auf die ihre Botschaften pro­jiziert wer­den. Prak­tisch ist das! Man hat viel mehr Platz. Und die eine Seite des Quaders zeigt etwas anderes als die andere, wenn man den Wür­fel dreht. Vox pop­uli, vox Rind­vieh, und was schert mich mein Geschwätz von gestern! Nur noch Bruch­stücke der Botschaften sind an den Wür­fel­seit­en zu lesen. Und eins wird klar: Eine klare, eine ein­deutige Mei­n­ung, die gibt es nicht.

Oder doch? Sex sells, und so tun sie es, die vier Män­ner in Leg­gings und Jack­ett: Sie bilden einen Haufen aus Leibern an der Table Dance-Stange und dann tanzen sie zu Hip Hop, toternst und mit schwin­gen­den Hüften führen sie die Erotik der Rev­o­lu­tion ad absur­dum. Das Pub­likum juchzt vergnügt, es gibt Szene­nap­plaus. Aber die Rev­o­lu­tionäre sind müde. Ein­er lässt eine Gurke auf Rädern per Fernbe­di­enung zur Mini-Guil­lo­tine fahren und per Knopf­druck köpfen. So wird den Geis­tern von heute mit ein­er müden Dau­men­be­we­gung der Garaus gemacht.

Immer wieder wird in die Mikros gesprochen: “Liebe Hun­denar­ren, liebe Katzen­fre­unde, liebe Nazis, liebe Skate­board­fahrer, liebe Antifa, liebes Face­book, liebes Youtube, liebe Lieblingsplat­ten …” Für die Rev­o­lu­tion gibt es keine Ziel­gruppe, und so laufen die Rev­o­lu­tionäre entschlossen von einem Büh­nen­rand zum andern als hät­ten sie ein Ziel. Doch sind sie ziel­los, obwohl die Karte von Paris an den Vorhang pro­jiziert wird; man müsste doch wis­sen, wie man zur Place de la Con­corde kommt, zur Bastille oder zum Fried­hof Pere Lachaise. Aber wo laufen sie denn? Nir­gends hin. Sie set­zen sich auf Gym­nas­tik­bälle und suchen mit her­aus­fordern­dem Blick ihre Mitte. Dabei kann es schon mal zu Kol­li­sio­nen kom­men. Komisch ist das, trau­rig und sehr auf den Punkt. Alternde Heroen auf ihren Globen, ihnen gehört die Welt, und doch bringt genau die sie zu Fall.

In ein­er Art Ganzkör­per­sack in den Far­ben der Tri­col­ore rollen sie einzeln über‑, unter- und nebeneinan­der wie in Leichen­säck­en auf dem Boden. Trom­meln und Darth Vad­er-Atemgeräusche, ein unbe­holfen­er Toten­tanz der Rev­o­lu­tion. Bis das Blau, das Rot und das Weiß auseinan­der torkeln. Die Idee der Rev­o­lu­tion, nichts hält sie mehr zusam­men, sie ist längst tot. Can­can und großes Aufräu­men auf der Bühne, bis sie nackt und leer ist bis auf Särge und Guil­lo­tine. Dann wer­fen die Heroen sich noch ein Mal in Posi­tur, ein paar let­zte, klar geführte Tanzbe­we­gun­gen zwis­chen Per­fek­tion und Lächer­lichkeit. Black und großer Applaus für die vier ver­schwitzten Helden.

Dann alle ab. Bis auf einen. “Sie wis­sen ja, Sie müssen aufessen. Und nach­her würde ich die Energie ein biss­chen sparen. Und mich auf das Wesentliche besin­nen. Vie­len Dank.” Gut. Wir gehen nach Hause. Und die Rev­o­lu­tion find­et mor­gen statt. Vielle­icht.

Noch zu sehen am 10. und 11. Juni auf Kamp­nagel

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