Lasst die Bücher im Regal

Luk Perceval folgt am Thalia Theater dem allgegenwärtigen Dramatisierungstrend

Wild Thing (Bild: HHF/© verkhovinets-fotolia.com)
Гав-гав! (Bild: HHF/© verkhovinets-fotolia.com)

Man möchte mit den “Brüdern Kara­ma­sow” auf die Couch. Nicht, weil die Fig­uren von schw­eren Vaterkom­plex­en und Pro­fil­neu­rosen geplagt sind, son­dern weil man sie sich als Buch wün­scht. Man möchte Dos­to­jew­ski­js Romane wieder lesen statt sie auf der Bühne zu sehen. Und doch: Der Name lockt. Und dann sitzt man im Thalia und ärg­ert sich, dass man nicht das Buch zur Hand genom­men hat.

Auch 2008 ver­suchte sich eine der Großen des Regi­ethe­aters an einem der großen Romane Dos­to­jew­ski­js. “Ver­brechen und Strafe“ hieß Andrea Breths ungeschönte Über­set­zung von “Schuld und Sühne”, die 2008 die Salzburg­er Fest­spiele eröffnete. Auch da spielte Jens Harz­er mit. Auch dort Stunde um Stunde, gle­ich drei Teile, mehrere Pausen, viel Text. Anstren­gung, Müh­sal, Auswe­glosigkeit in ein­er Welt ohne Gott. Bei Luk Perce­val immer­hin ein größeres Span­nungs­feld, denn in “Brüder Kara­ma­sow” darf ein­er glauben, dass es Gott gibt: der grundgute Aljoscha, der “Gottes­mann im Taschen­for­mat” wie ihn Gruschen­ka nen­nt, der jüng­ste der drei vom Vater ver­störten Brüder. Sein Gegen­pol: Iwan, der Zwei­fler, der am Leben, an der Liebe Verzweifel­nde (Jens Harz­er).

Jens Harz­ers Iwan ist ein rast­los Suchen­der, ein­er der “nicht ein­se­hen kann, warum das alles so ein­gerichtet ist”. Der vom Kind erzählt, das von den Eltern gequält und im Abort einges­per­rt wird, der nicht glauben mag an einen Gott, der Bru­tal­ität und Jäh­zorn zulässt am Unschuldigen. Dieser Iwan tut ein­er Bühne gut, auf der so viel Lärm ist. Denn hier gibt es lange Klangstäbe, die von der Büh­nen­decke baumeln, die zornig gegeneinan­der gewor­fen wer­den oder auch san­ft als Klangkör­p­er genutzt. Ein “akustis­ch­er Kos­mos”, wie es im Pro­grammheft heißt, den die Schaus­piel­er sich den­noch nicht richtig zu eigen machen.

Aber auch son­st ist hier viel Lärm. Denn sie alle sind etwas zu laut, etwas zu polterig. Das begin­nt mit dem mit­tleren der Brüder, dem später des Mordes bezichtigten Dmitrij (Bernd Graw­ert). Die wahnsin­nige Liebe zu sein­er Gruschen­ka wird geschrien, gehechelt, gespuckt, end­los zerre­det, sinn­los gebrabbelt. Wenn so Liebe aussieht, möchte man get­rost drauf verzicht­en und sich Iwan anschließen, wenn er sagt: “Kaum zeigt der Men­sch sein wahres Gesicht, ist es doch um die Liebe geschehen.

Und es geht weit­er mit Burghart Klaußn­er als Vater Kara­ma­sow, betrunk­en, lär­mend und großspurig, ein­er, dem man es gön­nt, dass ihm der Mörs­er über den Kopf gezo­gen wird. Ein­er, der im Pelz­man­tel auf der großen Glocke sitzt, die auf der Bühne ste­ht, und seine Liebe zur viel jün­geren Gruschen­ka beteuert, der Geliebten des eige­nen Sohnes. Zum Glück gewin­nt Klaußn­er unge­mein im zweit­en Teil als Ankläger, die Arme wie Fremd­kör­p­er an der Seite des Kör­pers hän­gend, die Hände verkrampft, die Stimme dumpf (kon­se­quent die Beset­zungsidee des Ermorde­ten und Anklägers in ein­er Per­son). Auch seine Suche nach Wahrheit muss scheit­ern.

Das Kabi­nett der wahn­haft Suchen­den wird kom­plet­tiert durch die Män­ner ver­schlin­gende Gruschen­ka. Wer Patrycia Ziolkows­ka als Gretchen im Faust auf dieser Bühne gese­hen hat, möchte nicht glauben, was hier passiert. Das Flat­ter­hafte der Fig­ur trägt sie im Kör­p­er, wenn sie keine Sekunde still­hält, sich räkelt, ver­führt, ren­nt, lacht und heult. Einen Moment liebt sie ihren Dmitrij – für genau eine Stunde, wie sie beteuert –, im näch­sten ver­lässt sie ihn und bit­tet ein paar Wim­pern­schläge später hündisch und auf den Knien, dass er sie zurück­n­immt. Das ist ein Roman im Zeitraf­fer, als hätte man die Vor­spul­taste gedrückt. Hun­derte Seit­en passieren hier in Minuten – sich­er ein­er der Gründe, warum Roman­drama­tisierun­gen eine Grat­wan­derung bedeuten, die oft­mals scheit­ert.

Was Harz­er in der Rolle des Raskol­nikows in “Ver­brechen und Strafe” nicht stand, die Gle­ichgültigkeit, die Ver­ach­tung des Men­schen, das Acht­lose, das macht er hier wett. Wenn er seinen Unglauben aus­führt in einem halb­stündi­gen Monolog, ruhig und doch atem­los von Gedanken zu Gedanken hechtet, fol­gt man. Das ist gedacht, Satz für Satz. “Wovon sollen wir bei­de reden in diesem flüchti­gen Moment?” fragt er den aufmerk­samen Aljoscha und sagt dabei ganz schön viel.

Man kön­nte fort­fahren, über diese 3,5 Stun­den im Thalia zu schreiben, über Glauben und Unglauben und eine Krim­i­nalgeschichte, die hier in den Hin­ter­grund gerät. Man kön­nte schreiben auch über Momente voller Zauber, wenn die kranke Lise sich ihr Leben zurechtre­det und von Teufeln träumt. Von einem zutief­st ver­wirrten jüng­sten Brud­er, der glaubt und ruht, während um ihn der Wahnsinn tobt und laszive Geliebte sich auf seinem Schoß reiben. Aber man kann es auch lassen und ihn sich noch mal vornehmen, diesen neu über­set­zten, über­bor­den­den Dos­to­jew­skij. Als Buch.

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