Jetzt gibt’s im Laden Karbonaden schon und Räucherflunder

Luk Perceval erstickt mit »Jeder stirbt für sich allein» im Wohlgefallen der Betroffenheit

Wir sind ne ungelernte Republik … (Bild: Deutsche Fotothek)

Es ist eine dieser total authen­tis­chen Geschicht­en, die uns so anrühren, ja, Gänse­haut­feel­ing macht sich bre­it, wenn am Ende das Licht von unten kommt und Schaus­piel­er in den Büh­nen­him­mel ster­ben. Es macht so richtig betrof­fen und das ist gut so. Denn die Zeit­en waren so schlimm und es gab auch in diesen schlim­men Jahren Helden wie das Ehep­aar Quangel/Hampel. Der kleine Mann hat näm­lich das Herz auf dem recht­en Fleck, er ist in die Zeit­en gewor­fen und macht das Beste draus. Es gab sie tat­säch­lich, in der rauen Zeit, die Helden des All­t­ags, die bürg­er­lichen Wider­ständler, die kleinen Leute, die sich wider­set­zt haben vor dem großen braunen Unge­heuer. Wie schön, wie schauer­lich, aber zum Glück ist das ja vor­bei.

In all diesen grotesken, so ver­schleiern­den und inzwis­chen volk­stüm­lichen Euphemis­men sind imma­nent an diesem Abend, der sich über vier Stun­den erstreckt, im Ham­burg­er Thalia-The­ater, bei der the­atralis­chen Umset­zung nach Hans Fal­ladas Roman “Jed­er stirbt für sich allein”.

Das erstreckt sich auch auf das Per­son­al dieser Insze­nierung, es wären da näm­lich: das aufrechte Ehep­aar Quan­gel (Thomas Niehaus und Oda Thormey­er), das, aus Schmerz über den im Krieg erschosse­nen Sohn, seinen eige­nen Wider­stand insze­niert, in dem es regimekri­tis­che Postkarten in Berlin­er Trep­pen­häusern deponiert. Immer fein, immer beschei­den und Seit an Seit schre­i­t­end.

Dann die Eck­en­ste­her und Kleinkrim­inellen, gezwun­gen durch wirtschaftliche Not, sich der Macht anzu­di­enen. Und die Aufrecht­en, die nur ihren Job gut machen wollen, selb­st “in schwieri­gen Zeit­en”, aber doch nicht sauber bleiben kön­nen. Die kleine Kom­mu­nistin (Maja Schöne), die aufs Land, wo’s nicht so naz­i­haft zu sein scheint, flieht und sich dort den Sohn eines “ges­trauchel­ten” Scher­gen aufn­immt. Und die alle­in­ste­hende Geschäfts­frau (Gabriela Maria Schmei­de), die mit gutem Herzen den Großs­tadtganoven aufn­immt und doch ent­täuscht wird. Das ist die Beset­zung ein­er Doku­soap, alles Arche­typen eines His­to­tain­ments, das jeden TV-Seher dieser zeit­genös­sis­chen Restau­ra­tion umwabert, der Ver­gan­gen­heit­serk­lär­er Gui­do Knopp trifft auf Dres­dendiefluchtrom­mel.

Es ist zu befürcht­en, dass der Ober­spielleit­er des Haus­es, Luk Perce­val denkt, alles gut gemacht zu haben, oder, noch schlim­mer, das alles nicht ein­mal gemerkt hat, in dem Bestreben “poli­tis­ches”, gar wirk­lich richtiges, The­ater zu machen, vielle­icht sog­ar aufzuk­lären mit einem wichti­gen Stoff. Her­aus­gekom­men ist lei­der die ana­lytis­che Bequem­lichkeit der Erhard-Zeit, die völ­lige Abwe­sen­heit jed­wed­er Deut­ings­dis­tanz.

Wie das aussieht? Da ist zunächst ein­mal eine dieser Büh­nen (Annette Kurz), wie sie immer noch à la mode sind, leer, ein Rück­en­prospekt, der bis in den Schnür­bo­den reicht, ein Tisch. Dieser Rück­en­prospekt ist bestückt mit Din­gen des All­t­ags, eine stadt­planähn­liche Struk­tur der applizierten Gegen­stände wird deut­lich. Ein biss­chen angekokelt an ein­er Ecke, mit­ten­drin kann man zwei Blechtrom­meln erken­nen, wir erken­nen das Ref­eren­zsys­tem. Zwis­chen den Bildern hastet das Ensem­ble aneinan­der vor­bei, die hälft von rechts, die hälfte von links aus der Gasse. Das ist Großs­tadtleben, Bewe­gung. Der Tisch ist wech­sel­ndes Req­ui­sit, von Berlin­er Wohnz­im­mer bis Plötzenseer Guil­lo­tine reicht das Spek­trum sein­er Bilder.

In der Expo­si­tion wird dann deut­lich, wo es dra­matur­gisch hinge­hen soll. Leicht ver­schwommene V‑Effekte an der Rampe, das Reden über sich in der 3. Per­son schafft Dis­tanz und sug­geriert Real­is­mus. Die Typolo­gien der Fig­uren sind schnell klar dadurch, eben­so wie die emo­tionale Aus­rich­tung. Die Guten sind irgend­wie gewor­fen in ihre Ver­hält­nisse, die Bösen sind eben so.

Als die aufrechte Frau Quan­gel die alles aus­lösende Todesnachricht hört, zeigt sich in einem Mal die kom­plette Schwäche the­atraler Überze­ich­nung, brechungs­los rückt Oda Thormey­er ins Char­gen­tum ein, ein Auf­schrei, es fehlte nur noch das Raufen der Haare. Da will man ganz offen­sichtlich große Gefüh­le zeigen, sieht sehr deut­lich, dass da eine Schaus­pielerin sich sehr bemüht, eine Emo­tion zuzu­bere­it­en, aber es funk­tion­iert nicht.

Dass Oda Thormey­er das bess­er kann, ist ohne Frage. Dass sie das machen muss, ist um so schlim­mer. Der Reigen der Platitüde geht munter weit­er, wir haben Bar­bara Nüsse als SS-Knallcharge, die natür­lich säuft, André Szy­man­s­ki als aufrecht­en Polizis­ten, der dann am Ende, als er seinen Zeu­gen fängt, doch noch men­schelt und sich erbarmt, sprich, den armen Tropf erschiesst, damit er nicht unschuldig in die Hände der noch fin­ster­eren Mächte fällt.

Es wird berlin­ert (Alexan­der Simon) – sym­pa­this­ch­er Sound­track zum willi­gen Voll­streck­er –, und, a bis­serl schmierig, gewienert bei der Vernehmung der armen Frau Quan­gel (ebd.). Öster­re­ich hat ja auch dazuge­hört, irgend­wie.

Zum Schluss dann, nach­dem die armen Arbeit­er­wider­stand­skämpfer gen Him­mel gefahren sind, fremdbes­timmt sowieso, kommt in der Tat das ländliche Idyll, wir baumeln mit den Beinen auf dem Heuwa­gen und sind der Zukun­ft zuge­wandt. Pathetis­ch­er Real­is­mus, wenn man so will.

Schon vor einiger Zeit hat sich das Haus eines dieser Klas­sik­er angenom­men, die aus dem­sel­ben Brun­nen schöpfen, Wolf­gang Borcherts “Draussen vor der Tür”. Fal­ladas Text wird offen­bar im gle­ichen Geiste drama­tisiert, Luk Perce­val selb­st und seine Dra­matur­gin Christi­na Bellin­gen zeich­nen ver­ant­wortlich.

In sein­er ursprünglichen Roman­form ist das ein 704-seit­iges Kon­vo­lut, ein Großw­erk in der Charak­ter­isierung des Einzel­nen und der Macht­mas­chine. Das Vorhaben scheit­ert gän­zlich an sein­er Naiv­ität, an dem Glauben, man müsse nur die Abziehbilder des Grausi­gen zeigen, dann würde schon alles klar. Lei­der wird dadurch eben nichts klar, über­haupt nichts.

Denn bei­de Texte, Borcherts Schul­meis­ter­stück und diese Dra­men­fas­sung von Fal­ladas Roman, sind Meis­ter­stücke ein­er Kul­tur des kurzen Erin­nerns, die die Ursachen aus­blendet. Sie stellen fortwährend fest, sind Zus­tands­beschrei­bun­gen, aber sie stellen niemals die Frage nach dem Warum. Sie sind Diskurse ein­er Behaglichkeit des Grauens, und damit sind sie nicht bess­er oder schlechter als etwa der pop­uläre und triv­iale Thriller, ihr “thrill” ist die Betrof­fen­heit ein­er sat­uri­erten Gesellschaft. Siehe oben.

Stra­paziert ist es ja, das Brecht-Zitat, aber zulet­zt bleiben eben doch alle Fra­gen offen, und die Erken­nt­nis hinkt sehr, sehr weit hin­ter­her. Und wenn das The­ater des Jahres 2012 nicht ein­mal mehr Fra­gen zu stellen ver­mag als Tatort-Regis­seure wie Niki Stein (“Rom­mel”), dann hat es sich selb­st erledigt. Dabei will es doch viel mehr sein.

Und das macht diesen Abend zum kom­plet­ten Aus­fall, denn die Ver­hält­nisse sind eben in der Tat nicht so, und vor allem nicht so ein­fach, wie uns das alles vorge­gaukelt wird. Es ist eine Kapit­u­la­tion vor dem Poli­tis­chen unter Zuhil­fe­nahme eines poli­tis­chen Stoffes. Was ja kein Wun­der ist, nach dem ver­lore­nen Krieg.

Wir sind ne ungel­ernte Repub­lik … (Bild: Deutsche Fotothek)

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