Lattenberührung

Clemens J. Setz Erzählungsband "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes"

Die suhrkamp­sche Ver­lagspräsen­ta­tion soll unzweifel­haft auf einen Großen hof­fen lassen, einen jen­er Aus­tro-Lit­er­at­en, die die deutschsprachige Lit­er­atur so bere­ichert haben, einen neuen Thomas Bern­hard – auch er ein Suhrkamp-Autor – vielle­icht. Der junge Mann mit den feingeze­ich­neten Zügen, der schmalen Brille und sein­er Unrasiertheit hat dann auch eine jen­er Viten, die inter­es­sant erscheinen – nicht nur Schreiber ist er, son­dern auch “Ober­ton­sänger und Gele­gen­heit­sza­uber­er”. Das klingt sehr schön, ein wenig skur­ril, aber geht auch durch als wel­tener­fahrend speziell. Ein inter­es­san­ter junger Autor also, zwei Romane hat er geschrieben, ein paar Preise hat er bere­its bekom­men, den größten nun mit dem Buch­preis der Leipziger Messe. Er ist vielle­icht eine der Hoff­nun­gen, auf die wir uns immer wieder ein­lassen müssen in jed­er immer wieder neu Texte mahlen­den Sai­son zwis­chen Früh­jahrs- und Herb­st­pro­gram­men, zwis­chen Leipzig und Frank­furt, jährlich.

Schon der erste Ein­stieg in den Erzäh­lungs­band “Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes” kommt großmächtig daher, Clemens J. Setz lan­det einen gewalti­gen Auf­schlag, damit ist auch sofort klar, es han­delt sich um “Lit­er­atur”! Sprach­lich hoch ange­set­zt, bildgeschwängert, meta­phern­stark (“Clownss­chminke, die man nicht mehr abbekommt …”), in ein­er gewalti­gen satzbaulichen Arabeske, die über beina­he die ganze erste Seite geht, begin­nt die Erzäh­lung “Milch­glas”. Die Innen­schau eines Knaben­lebens, unzweifel­haft pubertät­snah, ist die Folie für die minu­tiöse und dann auch gewandte und feingeze­ich­nete Hin­führung zu einem beiläu­fi­gen und wie selb­stver­ständlich entste­hen­den Gewal­taus­bruch. Die Fig­ur, der Erzäh­ler ist eigen­tüm­lich son­der­bar und eben­so eigen­tüm­lich ver­traut. Wer dabei an “Tör­leß” denkt, ist nicht auf dem falschen Weg, eine Entwick­lungs­geschichte mit ein­er neben­säch­lichen Ver­let­zung der Kon­ven­tion.

Gewalt, in alltäglich­er Ausübung, in aller Beiläu­figkeit – mitunter kommt schon das “ist doch gar nicht so schlimm” an den Leser her­an – ist Setz’ The­ma, der Erzäh­lungs­band funk­tion­iert durchgängig wie ein Vari­a­tio­nen­spiel über dieses Leit­mo­tivs, der Zer­störung von Nähe und Intim­ität. Die Fig­uren sind hin­re­ichend inter­es­sant, um nah­bar zu scheinen, ihr Leben in der Regel jedoch lang­weilig genug, um eine All­t­agsi­den­ti­fika­tion zu bieten, selb­st wenn sie sich in fer­nen Wel­ten bewe­gen (“Charak­ter IV”). Die genau geplante Kun­st­fer­tigkeit des Autors Setz liegt vor allem darin, das immer wieder ein­set­zende The­ma in Gle­ichgültigkeit aufge­hen zu lassen, das “momen­tum” ist nie über­raschend, son­dern von ein­er eher selb­stver­ständlichen Kon­se­quenz geprägt.

Nicht immer funk­tion­ieren diese Pro­jek­te der aus der Nor­mal­ität her­auswach­senden Bru­tal­ität, es gibt unan­genehme Aus­rutsch­er im Konzept. Die durch­weg pornographis­che Erzäh­lung “Die Blitz­ablei­t­erin” erstickt in ihren fast 50 Seit­en im Bemühen, der sprach­lichen Banal­ität ihres Gen­res zu entkom­men und ihr einen entschei­den­den und sich lösenden “Twist” zu geben.

Das dreigestrich­ene C (© Nathalie P — Fotolia.com)

Lei­der unter­schei­det sich dieser Ver­such nicht wesentlich von seinem Ursprung und ist damit kom­plett mißlun­gen.

Anders jedoch die Titel­erzäh­lung, beze­ich­nen­der­weise ist sie an das Ende dieses Ban­des gestellt. Hier spielt Setz sein Exper­i­ment noch ein­mal syn­thetisch durch.

Zum ersten Mal wird die Gewalt als solche for­muliert, das titel­gebende “Mahlstädter Kind” ist eine Lehm­skulp­tur, deren Kun­staffekt darin beste­ht, sie physisch zu ver­let­zen, konkrete Gewalt auszuüben. Wieder ein­mal steigt die Erzäh­lung in einen “Nor­malzu­s­tand” ein, ein junger Mann hütet die Woh­nung ein­er Frau ein, die nächt­ens auszieht, auf diese Skulp­tur einzuschla­gen. Natür­lich ist er ver­liebt in diese Frau, der Abschieds­di­a­log zu Beginn, in all sein­er Banal­ität, ist ein fein beobachtetes Stück verknif­f­en­er Kom­mu­nika­tion zweier ungle­ich­er Part­ner in der Nähe.

Was fol­gt, ist der übliche, gle­ich­wohl hoff­nungslose, Ver­such der Annäherung, der selb­stre­dend und kon­se­quent bis zur Erniedri­gung des ver­hal­ten wer­ben­den Lieb­habers führt. Über all dem schwebt die Meta­pher der Ent­gren­zung durch die Ausübung von Schlä­gen gegen die Skulp­tur. Selb­stver­ständlich scheit­ert der Wer­bungsver­such durch die fehlende Kon­se­quenz des Mannes, sich gegen das “Kind” zu wen­den. Ein ger­adezu klas­sis­ch­er Fall. Und hier stimmt dann auch die Melange zwis­chen psy­chol­o­gis­ch­er Betra­ch­tung und Bilderfind­ung, Skur­ril­ität und spielerisch­er Kon­struk­tion. Allein, das Ganze ist den­noch so indif­fer­ent in sein­er Farbe, in seinem Gefühl, daß ein schaler Nachgeschmack, eine gewisse Unzufrieden­heit bei der Lek­türe zurück­bleibt. Das ist weit ent­fer­nt von Bern­hard, von dessen Unbe­d­ingheit und sein­er Vehe­menz. Es ist brav.

Clemens J. Setz: “Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes” (Ama­zon Part­ner­link)

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