Das deutsche Kordsakko

Impressionen von der Leipziger Buchmesse 2010

Cam­ou­flage
Die all­ge­meine Bek­lei­dungsvorschrift für den bun­des­deutschen Lit­er­atur­profi ist und bleibt das Kord­jack­et. In der Regel hell­braun, gele­gentlich schwarz, in sein­er Rein­form als kom­plettes Ensem­ble als Kor­danzug inklu­sive Weste. Der lan­dadelige Man­u­fac­tum-Stil ist auch in der Sai­son 2010 noch ganz weit vorne, sei es beim Feuil­letonchef oder auch bei Autoren. Das zeigt Kon­ti­nu­ität und ist auch mod­es­ozi­ol­o­gisch fest in der Intellek­tuel­len­szene ver­ankert. Min­destens ein Kord­sakko gehört zur Cam­ou­flage, um in den hellen Hallen in Leipzig nicht aufz­u­fall­en. Auf­fäl­liger  und das Gegen­teil von getarnt sind die Cos­play­er, die die Messe bevölk­ern, junge Leute in den Kostü­men ihrer Lieblings­man­gas. Ein bißchen merk­würdig, ein bißchen schrill, aber bunt. Die Irri­ta­tion ist schnell ver­flo­gen, bald hat man sich an die Mäd­chen mit Tierohren in den Haaren und weißhaari­gen Teenag­er in Matrosen­klei­d­chen gewöh­nt. Was das wirk­lich zu bedeuten hat, mag den meis­ten Messebe­such­ern ver­bor­gen geblieben sein, es ist fremd und Bestandteil des Com­ic- und Graph­ic-Nov­el Pro­gramms. Die jun­gen Leute schre­it­en mit ern­sten Mienen über die Messe, und es scheint ihnen wichtig zu sein.

Preis­box­en
Preise gibt es in Leipzig viele, der Preis der Messe ging nicht an Helene Hege­mann, was auch kein Wun­der war, nicht etwa wegen des “Skan­dals”, der Leipziger Erk­lärung oder ähn­lichem, son­dern ein­fach wegen der Belan­glosigkeit von Werk und Wirkung. Bel­letris­tik-Preisträger wurde Georg Klein, der verteilte Gänse­blüm­chen in sein­er Dankesrede und man fragte sich, ob diese Harm­losigkeit poet­is­ches Mit­tel oder beißende Ironie angesichts der Gesicht­slosigkeit des Preis­es war. Sig­nifikant war die weit­ge­hende Unfähigkeit der Jury zur freien Rede (lobenswerte Aus­nahme: Zeit-Mag­a­zin-Redak­teur Adam Soboczyn­s­ki), nicht ein­mal das abge­le­sene Manuskript der Jurypräsi­dentin Ver­e­na Auf­fer­mann war frei von gewun­de­nen Meta­phern­stil­blüten. (“Dieser Igel ist kein Hase” – ist das intellek­tueller Eiskun­st­lauf?). Für den laut­en Ver­lags-Betrieb eher unwichtig, aber viel schön­er die Nachricht des Preis­es der Lit­er­aturhäuser für Thomas Kapiel­s­ki. Der Preisträger, kein “grosss­er” Autor, ist ein orig­ineller Schreiber mit Witz und Ver­stand, schön zu sehen bei seinem kurzen Inter­view mit dem Berlin­er Lit­er­aturhauschef Ernest Wich­n­er auf dem arte-Stand. Klaus Wagen­bach erhielt dann noch den Kurt-Wolff-Preis für sein Lebenswerk, eine Ver­anstal­tung in aufgeräumter Stim­mung  – wie in seinem Wohnz­im­mer, mit vie­len Fre­un­den dabei und viele andere, die ihn offen­sichtlich mocht­en. Das war ein guter und fre­undlich­er Moment in dem wilden Mes­setrubel, mit gele­gentlich von anderen Stän­den herüber­we­hen­den Beifall­säußerun­gen, die diese Ehrung mit kleinen unbe­ab­sichtigten Akzen­ten illus­tri­erten.

Großle­sung
Mar­tin Walser las über Heine, Burkhard Klaußn­er las Heine und der Hoff­mann und Campe Ver­lag brachte ein neues Heine-Buch her­aus. Gemeint ist die Fak­sim­i­le-Aus­gabe der “Franzö­sis­chen Zustände” von 1832, ein sehr ehren­wertes ver­legerisches Unter­fan­gen, daß auf der Messe präsen­tiert wurde. Was hätte da würdi­ger sein kön­nen, als ein Essay eines deutschen Großschrift­stellers ver­lesen zu bekom­men und den Orig­inal­text von einem der weni­gen mit­denk­enden Schaus­piel­er zu hören. Der Ort war natür­lich eben­so würdig gewählt, der Lesesaal der Deutschen Nation­al­bib­lio­thek. An jedem Tisch zwei Leseläm­pchen und dahin­ter jew­eils mit zwei, drei Plätzen bestuhlt, das ist schon der “Ort Lesung” an sich. Allein, die Sache war heikel – Walser ein untadeliger und von seinem The­ma ein­genommen­er Heine-Lauda­tor, der Urtext aber ein gar sper­rig Ding und von dem gewiss schö­nen Buch sah man ein einziges Exem­plar unter Glas. Ein­nehmend war die Sache dann aber schon, kleine Ver­sprech­er des Ver­legers amüsant (“Jen­seit­snov­el­le” ist doch wohl von einem anderen Hoff­mann & Campe-Autor und nicht von Mar­tin Walser …?) und alle Anwe­senden guter Dinger über das Erlebte.

Feucht­ge­bi­et
Ein Nicht-Cord-Sakko-Träger ist Moritz Rinke. Der hat­te am Zeit-Stand eine halbe Stunde Zeit, seinen ersten Roman zu präsen­tieren. Um es gle­ich zu sagen, das war run­dum gelun­gen. Das Buch scheint ein seltenes Zeug­nis dafür, wie jemand einen Text ver­fassen kann, der Humor und auch Selb­stironie hat und trotz­dem auf spielerisch­er Art mit großen The­men umge­ht. Und der Autor ver­ste­ht auf­fal­l­end viel von Struk­tur und Dra­maturgie. Rinke und sein Buch kom­men sozusagen bei­de aus Worp­swede, es hat viel mit den feucht­en Niederun­gen des Moores zu tun, das diesen deutschen Kun­stort umgibt. Es geht um Kun­st und deutsche Geschichte, die soge­nan­nte jün­gere. Aber das oft bleierne solch eines Zeit­en­ro­mans fehlt ihm gän­zlich. Der Mann hat Dis­tanz zum Stoff und zu seinem Lit­er­a­ten­tum. So etwas wie “Als Roma­nau­tor hat­te ich plöt­zlich mit Din­gen wie der Vorver­gan­gen­heit zu tun.” hört man in der Tat nicht allzu häu­fig. Das Wort “Humor” hat übri­gens auch etwas mit Feuchtigkeit zu tun.

Zuguter­let­zt, die Büch­er:

Georg Klein: Roman unser­er Kind­heit, Rowohlt 2010
Thomas Kapiel­s­ki: Mis­chwald, edi­tion suhrkamp 2009
Hein­rich Heine: Franzö­sis­che Zustände, Hoff­mann und Campe 2010
Moritz Rinke: Der Mann, der durch das Jahrhun­dert fiel, Kiepen­heuer & Witsch 2010

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