Rinke: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel

Es war im August 2002, als der Schreiber dieser Zeilen mit eini­gen Fre­un­den am Ufer eines nord­deutschen Sees auf ein­er grü­nen Wiese lag. Es war ein sehr heißer Tag, und im Gepäck war eine Aus­gabe von “The­ater heute”. Im Heft war – wie immer – ein Stück­ab­druck und aus pur­er Laune her­aus begann die Som­mer­frische-Gesellschaft dieses Stück auf ein­er Wiese im August­som­mer mit verteil­ten Rollen zu lesen. Erst auszugsweise, immer wieder unter­brochen von Gelächter und der Auf­forderung weit­er zu machen. Diese recht tsche­chowsche Szene hat es tat­säch­lich gegeben, das Stück hieß “Die Nibelun­gen” und der Autor hieß Moritz Rinke. Am Abend des so unter­halt­samen Dilet­to wurde die Pre­miere bei den Wormser Nibelun­gen-Fest­spie­len auf 3sat über­tra­gen, zugerichtet von Dieter Wedel, der vom The­ater lei­der nur so viel ver­ste­ht wie Edmund Stoiber von Rhetorik. Dafür ver­stand der Autor um so mehr von Dra­maturgie und Witz und das hob das the­atrale Cen­ter­fold aus “The­ater heute” aus den vie­len Stück­veröf­fentlichun­gen “junger Autoren” des Zen­tralor­gans der deutschen Büh­nen­land­schaft weit her­aus. Benamt als Bear­beitung Hebbelsch­er Tümeleis­chwang sich der Nation­alkracher dun­kler Epoche zu ein­er Leichtigkeit empor, die das The­ma ver­di­ent hat und aus dem eben­so dun­klen Sumpf sein­er Rezep­tion­s­geschichte her­ausholte. Für Rinkes bril­lante Beherrschung des The­ater­metiers sprechen auch die früheren, eben­so ele­gant kon­stru­ierten wie in der Ideierung orig­inellen Werke “Der Mann, der noch kein­er Frau Blöße ent­deck­te” (auch ein Rück­griff in prä­na­tionale Zeit­en) oder das Erfol­gsstück “Repub­lik Vine­ta” von 2000.

Nun hat Moritz Rinke seinen Debut-Roman mit dem etwas eige­nar­ti­gen Titel “Der Mann, der durch das Jahrhun­dert fiel” geschrieben. Das erwäh­nte Jahrhun­dert ist das let­zte, das schreck­liche deutsche Jahrhun­dert. Der Mann ist Paul Wend­land, ein – wie sein Autor Rinke – in die Haupt­stadt-Fremde gezo­gen­er Worp­swed­er, der dem Kun­st­druck des Kün­stler­dor­fes sein­er Kind­heit ent­flo­hen ist. Aus sein­er Berlin­er Emi­gra­tion muss er zur Ret­tung seines im Moor­bo­den versink­enden Eltern­haus­es zurück­kehren – kaum angekom­men muss er sich nicht nur der Baube­wäl­ti­gung des “Grund­bruchs” stellen, son­dern auch dem so ver­has­sten Moor (“Mein ganzes Leben nasse, sump­fige Füße …”). Das näm­lich gibt in schön­er Wiederkehr Skulp­turen seines einiger­maßen berühmten und ehren­werten Bild­hauer-Groß­vaters Paul Kück frei, deren Vor­bilder lokale Nazi-Größen waren. Sie tra­gen so unge­mein deutsche Titel wie Reichs­bauern­min­is­ter oder gar Reichs­bauern­führer.

Wie in den Stück­en hat das Buch ein nicht zu ver­leug­nen­des Gespür für den Ges­tus, in dem die Bewäl­ti­gung der His­to­rie sich von dräuend bleis­chw­er­er Bewäl­ti­gung­sprosa ander­er Werke ins Tragikomis­che umkehren muss. Die große Stärke dieses Romans ist es, seinem Stoff nicht in echter Weise “gerecht” zu werden.Was hat die deutsche Lit­er­atur nicht alles Ehren­wertes pro­duzieren müssen, um die beson­deren Schreck­en­s­jahre dieses “deutschen Jahrhun­derts” zu ver­ar­beit­en – Rinkeskl­itzek­lein­er Entwick­lungsro­man vor großem Hin­ter­grund ist in bester Lubitsch-Manier erschreck­end komisch. Es gibt unglaublich groteske Szenen, wie den zunächst am grüßen­den Arm der Skulp­tur scheit­ern­den Ver­such, den Reichs­bauern­führer des Nachts mit einem Treck­er ver­schwinden zu lassen und seinen anschließen­den Abtrans­port durch die Nacht. Skur­ril wiederum sind dann die Verknüp­fun­gen zur ur-deutschen Geis­tes­geschichte, so gehört auch ein “Rilkekochtopf” zum Inven­tar des Moorhaus­es.

Das mod­ernde Moor als den Grund und Boden sein­er Geschichte zu wählen, ist wirk­lich grun­do­rig­inell, eben­so wie das Auf­tauchen der ehernen Naz­i­fig­uren aus dem braunen Sumpf. Der Geschichtssumpf legt dann in Folge nicht nur die braune Ver­gan­gen­heit bloß, so ganz neben­bei trägt sich die Erzäh­lung durch die Nachkriegs­jahre inklu­sive der 68er-Zeit und bildet zudem noch ein Art Krim­i­nal-Hand­lung aus – fast zu viel der Ver­woben­heit, aber als erfahren­er Dra­maturg bekommt Rinke so etwas rel­a­tiv spie­lend in den Griff. Der Roman ist exzel­lent struk­turi­ert und wie die verge­blichen Ver­suche seines Helden, sein Erleben durch Sta­tus­lis­ten zu ord­nen, in eine erkleck­liche Anzahl an Kapi­tel und Unterkapi­tel geteilt, die zudem hüb­sch barocke Über­schriften zieren wie beispiel­sweise: “Ohlrogge kann immer noch nicht loslassen und trinkt Kaf­fee von 1933”. Eine leichte sprach­liche Ver­spieltheit ist dem Autor ohne­hin nicht abzus­prechen: “Um sie herum purzel­ten die Kinder auf die Welt, heim­sten die anderen Kück­frauen Mut­terkreuze ein, nur sie empf­ing nichts …”

Am Ende versinkt das Haus der Ver­gan­gen­heit und Paul Wend­land zieht die nassen, sump­fi­gen Füße aus dem Moor …

Jet­zt muss man nur noch wieder zur Wiese am See fahren.

Moritz Rinke:
Der Mann, der durch das Jahrhun­dert fiel

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