»Though ink be made of gall«

Kathrin Weßlings Debüt »Drüberleben«

Die Angst geht wohl um in der deutschen Ver­lags­land­schaft, denn das “Inter­net” bedro­ht das Buch. Also solch­es und als Kul­turgut. “If you can’t beat them, join them” – das scheint eine Devise zu sein.

Und so erfährt man denn viel aus dem aben­teuer­lichen Leben der deutschen Wohnz­im­merblog­ger, und der mehr oder weniger geneigte Leser bekommt serviert, was sich früher unter der Rubrik “Ver­mis­cht­es” im Lokalblatt fand und wo sich die Redak­tion­sprak­tikan­ten ihre ersten Sporen ver­di­enen kon­nten. Denn – wer das Blog liest, liest vielle­icht auch das Buch und find­et das genau­so dufte wie die tägliche Haus­pos­tille seines Lieblingsklicks.

Kathrin Weßlings, die Autorin des Romans “Drüber­leben”, schreibt sie seit Jahr und Tag ein gle­ich­namiges und sehr erfol­gre­ich­es Blog über ihr Leben mit ein­er Krankheit. Sie ist depres­siv. Die junge Autorin ist ein Kind ihrer Gen­er­a­tion, sie bedi­ent die Mech­a­nis­men sozialer Net­zw­erke und des Inter­nets sehr lei­den­schaftlich und nicht ungeschickt, zudem ist sie auch noch eine erfol­gre­iche Poet­ry-Slam­merin. Sie passt also genau in das Raster von Wun­schdenken und Erwartung­shal­tung nach dem jun­gen, inter­netaffinen und unmit­tel­baren Blick.

Das kann man get­rost vergessen.

Nun ken­nt die Lit­er­atur- und Geis­tes­geschichte auch jenen Topos der Melan­cholie als Bild und Mythos. Der schw­er­mütige Dichter und Denker ist aus der Vorstel­lung über das Schreiben nicht mehr wegzu­denken, von Robert Bur­tons Anato­my of Melan­choly bis hin zu den neuzeitlichen Ausle­gun­gen des berühmten Dür­er-Stich­es eines Erwin Panof­sky hat sich da ein Kon­vo­lut an dunkel­gal­ligem Papi­er ange­sam­melt, der seines­gle­ichen sucht.

Da wird viel und dur­chaus auch mit Beha­gen am leicht­en Schauer aus­gelegt und nach den Spuren des Wahns, der Läh­mung und der Verbindung zwis­chen Genie und Krankheit gesucht und gefun­den. Das ist ein beliebtes intellek­tuelles Spiel, aber es ist weit von der Welt ent­fer­nt.

All diese schöngeisti­gen Gedanken und die arabesken Bilder sind obso­let, schaut man in den kleinen Roman – über das Genre kann man sich ver­lieren – der Autorin Kathrin Weßling.

Ihre Pro­tag­o­nistin Ida Schau­mann hat es, diese Krankheit. Drüber­leben beschreibt ihren Weg in Klinik und Psy­chi­a­trie, und ist aber vor allem die Selb­stre­flex­ion eines Men­schen, der kein Zus­tand und auch kein Patient mehr sein will. Es ist – das wäre vielle­icht eine mögliche Kat­e­gorie – der Entwick­lungsro­man ein­er Psy­che.

Aber es ist, zum all­ge­meinen Glück für den Leser, kein Kranken­bericht und auch kein Selb­ster­fahrungs- oder gar Rat­ge­ber­buch, obwohl der Gedanke bei der Vita der Autorin nahe­liegen kön­nte. Es ist voller fik­tionaler Ansätze und hat Sprach­witz. Es ist tat­säch­lich Lit­er­atur.

Die sprach­liche Qual­ität, vor allem in den inneren Monolo­gen der Ich-Erzäh­lerin, ist stel­len­weise berück­end. Die atem­lose Sua­da über die Zustände eines gelähmten Lebens, der Erken­nt­nis der eige­nen Nich­tex­is­tenz, hat eigen­willige Rhyth­men.

Sie ist vor­dringlich geprägt vom Fluss der Worte und der nie ver­s­tum­menden Gedanken, vom Dauertö­nen und vom extem­po­ri­erten Sprechen:

“Ich kön­nte mich ein­fach zusam­men­reißen, mich selb­st nicht so ernst nehmen, nicht immer so schreck­lich verzweifelt sein, nicht immer gle­ich alles so drama­tisieren, ich kön­nte ein paar Tablet­ten nehmen, ich kön­nte mal wieder mehr lesen und den Fernse­her, der Fernse­her, den wollte ich ja auch endlich mal entsor­gen, ich kön­nte Fre­unde anrufen …”

Es hört nicht auf. Die Stim­men sind end­los, und sie sin­gen im Kopf der Heldin Ida Schau­mann und diesem Sog kann sich der Leser nur schw­er entziehen. Die Binnen­erzäh­lung jen­er Nacht vor der Selb­stein­weisung in die Klinik ist ein eigen­ständi­ger und stark­er Text, ste­ht gle­ich­sam als Türöffn­er vor der Entwick­lung der Erzäh­lung. Ein Ser­mon von der Unendlichkeit der Pas­siv­ität.

Solchen sprach­lich über­bor­den­den Pas­sagen sind lakonis­che, oft reportagear­ti­genBeschreiben der realen Welt ent­ge­gen mon­tiert. Der Kon­trast zwis­chen den Tex­ten kön­nte größer nicht sein, der Effekt ist zu Anfang stark und manip­u­la­tiv brem­send, flacht aber in der Entwick­lung über 300 Seit­en immer weit­er ab, mit dem steigen­den Erken­nt­nis­gewinn der Erzäh­lerin ver­schwindet auch die Fall­höhe zwis­chen Innen und Außen.

“Drüber­leben” ist ein Debüt. Das merkt man zuweilen noch in der Unaus­ge­wogen­heit  manch­er Pas­sagen, die vielle­icht die eine oder andere Kürzung ver­tra­gen hät­ten kön­nen, ins­beson­dere in den deskrip­tiv­en Teilen des Textes. Das zählt nicht.

Es ist eine starke neue Stimme, die wir da hören und es bleibt abzuwarten, was diesem ersten Text, der ja noch aus der inten­siv­en Eigen­er­fahrung schöpft – wobei: welch­er lit­er­arische Text täte das nicht? – fol­gen wird. Ein zweit­er Roman ist in Arbeit, man darf außeror­dentlich ges­pan­nt sein, wohin die Reise gehen wird.

Nein, es ist kein Blog­ger­buch. Zum Glück.

Kathrin Weßling:
Drüber­leben. Depres­sio­nen sind doch
kein Grund trau­rig zu sein
Gold­mann Ver­lag [Ama­zon Part­ner­link]

Kathrin Weßling präsen­tiert ihr Buch am
20. Sep­tem­ber im Rah­men des Har­bour Front
Fes­ti­vals auf der MS Ble­ichen. Beginn 20 Uhr

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